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Beschtzer der Freiheit der Kirche

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DIE ARMEE DES PAPSTES ist heute sehr klein, in ihrer Kleinheit und ihrer Zusammensetzung ein Spiegelbild der Winzigkeit des souveränen Vatikanstaates und der Aufgabe, die derselbe an eine „Armee“ noch stellen kann. Diese ganze „Armee“ besteht nur noch aus vier Truppen; Truppen, die teils aus Söldnern, teils aus Freiwilligen zusammengesetzt sind.

Die jüngste dieser Truppen ist die „Palastehrengarde“, von Pius IX. 18 50 durch Zusammenlegung zweier städtischer Milizen ins Leben gerufen. Ihr Bestand umfaßt 500 Mann Freiwillige, in zwei Bataillone gegliedert. Kommandiert von einem Oberst, dienen in ihr „Gevatter Schneider“ und „Gevatter Schuster“ aus Tras-tevere und anderen Vierteln Roms. Die „Palastehrengarde“ macht nicht ständig Dienst, sie wird nur von Zeit zu Zeit „mobilisiert“. Ihre „Mobilisierung“ hat allerdings nichts Kriegerisches an sich, im Gegenteil, sie ist ein Zeichen, daß ein Papsthochamt oder eine andere hohe Feierlichkeit stattfindet. Denn bei diesen hat sie Spalier zu bilden und Absperrmaßnahmen durchzuführen, um dem Zug des Papstes einen ungehinderten Weg durch die Menschenmassen zu ermöglichen.

Die zweitjüngste Truppe ist die „Päpstliche Gendarmerie“, gegründet von Pius VII. im Jahre 1816. Eine ständige Truppe, die ausschließlich aus gedienten italienischen Soldaten besteht, einige hundert Mann umfaßt und ebenfalls von einem Oberst kommandiert wird. Sie versieht den gesamten Sicherheitsdienst im Vatikanstaat, den zwar räumlich klein ist, aber eine ungeheure Zahl von Gebäuden, Aemtern und Kunstschätzen beherbergt, und ständig von Tausenden von Besuchern, Wallfahrern, Bittstellern usw. aufgesucht wird.

Die dritte Truppe ist die „Päpstliche Nobelgarde“, 1801 von Papst Pius VII. gebildet aus den leichten Lanzenreitern und der leichten Kavallerie. Mit rund 70 Mitgliedern heute die kleinte päpstliche Truppe, die sich ausschließlich aus italienischen Adeligen in Offiziersrang zusammensetzt. Ihr Kapitän — immer ein römischer Fürst — hat den Rang eines Generalleutnants, ihre zwei Leutnants den von Brigadegeneralen, die somit die einzigen noch existierenden päpstlichen Generale sind; der einfache Nobelgardist hat den Rang eines Hauptmannes, Oberleutnants oder Leutnants. Ihre Aufgabe ist die einer Ehrengarde.

Die letzte und älteste Truppe des Papstes ist seine Schweizergarde, neben den englischen „Yeomen“ die älteste Garde der Welt, gegründet von Papst Julius II. vor 450 Jahren, im Jahre 1506. Sie stellt die eigentliche Leibgarde des Papstes dar, die um die Sicherheit seiner Person besorgt sein muß. Außerdem hat sie die Eingänge des Vatikans zu bewachen, so insbesondere das berühmte „Bronzetor“, und muß die Wache in der Anticatnera des Papstes stellen. Einstmals — je nach der Herkunft der Gardisten — eingeteilt in Zuger, Splothurner, Glarner, Luzerner, Urner und Unterwaldner Wacht, besteht sie heute aus drei Kompanien, die den Titel „Geschwader“ tragen. Der Gardekommandant, im Oberstenrang — heute Heinrich Pfyffer von Altishofen, aus einer uralten Luzerner Familie, die bereits vor ihm acht Kommandanten der Schweizergarde stellte — gehört stets zur „Anticamera nobile“ des Papstes, also zu seiner nächsten Umgebung, was ein Anrecht auf einen entsprechenden Platz im päpstlichen Zug und bei feierlichen Audienzen gibt. Außerdem besitzt er für die Dauer seines Dienstes in der Garde den Rang eines „Wirklichen Päpstlichen Geheimkämmerers“.

ALS AM 22. JÄNNER 1506 die neue Schweizergarde Papst Julius' II. in Rom ihren Einzug hielt, umfaßte sie nur 150 Mann. Unter Leo X. stieg sie auf 189 Mann, eine Zahl, die sie in den folgenden Jahrhunderten nur selten überschritt, wenn sie nicht gar einen viel geringeren Bestand umfaßte. Papst Pius X. verfügte, daß sie sechs Offiziere, einen Feldkaplan, 15 Unteroffiziere (ihre Feldwebel tragen noch die alte Bezeichnung „Feldweibel“) und 115 Gardisten — sie heißen „Hellebardiere“ — umfassen solle. Alle Mitglieder der Garde müssen katholische Schweizer sein, die mindestens 176 cm groß sind, aus ehrbarer Familie stammen, in der Schweizer Armee gedient haben und keine — Tessiner sind. Eine Bestimmung, die die stille Italienisierung der Garde verhindern soll. Ein Großteil der heutigen Gardisten stammt aus dem Kanton Wallis, jenem Kanton, dessen Landschaft Rilke eine Mischung von Provence und Spanien nannte und in dem es bei vielen Familien zum „guten Ton“ gehört, daß eines ihrer Mitglieder in der Päpstlichen Garde dient.

Der Gardist, der sich zu einem Dienst von zehn Jahren verpflichtet, bekommt nach seinem Ausscheiden aus der Garde eine lebenslängliche Pension in Schweizer Franken ausbezahlt, von der er zwar nicht leben kann, die aber doch einen sehr guten und sehr erwünschten Zuschuß zum sonstigen Einkommen darstellt. Auf weniger als zehn Jahre sich zu verpflichten ist auch möglich, was so mancher Schweizer Student benützt, um als Gardist in der Freizeit in Rom Musik oder Kunstgeschichte zu studieren. Denn die Freizeit des Gardisten scheint auf den ersten Blick nicht gering: einen Monat hindurch 24 Stunden Dienst und 48 Stunden frei, den anderen Monat 48 Stunden Dienst und 24 Stunden frei. Aber an den freien Tagen gibt es zur Morgenzeit Exerzieren, das nicht angenehmer wird dadurch, daß der Belvederehof des Vatikans der Exerzierplatz ist. Außerdem gibt es viel außerordentlichen Dienst, anläßlich von Papsthochämtern, Heiligsprechungen, Empfängen, Konsistorien usw. Dann sind die Lirlaube gesperrt. Bei den Papsthochämtern werden die Eingangstore zum Vatikan nur notdürftig besetzt, da alle übrigen Gardisten zum Dienst in St. Peter notwendig sind. An solchen Tagen beginnt der Tag um 3 LIhr früh, um halb sechs LIhr wird in den Petersdom marschiert. Die Rückkehr erfolgt kaum vor 12 Uhr mittags, wenn nicht noch später. Eine erstaunliche physische Leistung, die hier jeder Gardist erbringen muß, angetan mit dem zehn Kilo schweren Panzer sowie dem Helm, durch Stunden ohne die geringste Nahrung und ohne die Möglichkeit der kleinsten Bewegung — die Kniebeugen ausgenommen.

ES IST EINE VIELVERBREITETE LEGENDE, daß die charakteristische Uniform der Schweizergarde von Michelangelo oder Raffael entworfen worden sei. Alle Truppen, die der Vatikan heute besitzt, verraten durch ihre Uniform und Bewaffnung ihre Entstehungszeit — eine lebendige Uniformgeschichte seltenster Art. Die „Palastehrengarde“, entstanden 18 50, zeigt deutlich den Einfluß tles Dritten Kaiserreichs: zum blauen Uniformrock mit den roten Epauletten tragen die Mitglieder dieser Truppe das typische französische Käppi jener Tage. Die Gendarmerie und die Nobelgarde beweisen wieder ihre Herkunft aus der Zeit des ersten Napoleon: die Gendarmerie trägt zu schwarzem Waffenrock, weißer Hose und Stiefeln eine riesige Bärenmütze, der Nobelgardist zu rotem Waffenrock, weißer Hose und schwarzen Schaftstiefeln einen Helm mit Roßschweif, wie ihn noch die heutige französische Garde besitzt. Die Schweizergardisten wiederum, in Wams, Pluderhose, Gamaschen und weißer Halskrause, tragen nichts anderes als die typische Tracht der Schweizer Landsknechte zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Die Farben Blau-Rot-Gelb, in denen diese Tracht gehalten ist, sind die Farben des Hauses Medici, jenes Hauses, dem Klemens VII. angehörte, unter dessen Regierung die Garde im Jahre 1527 beim „Sacco di Roma“ fast gänzlich vernichtet wurde.

Auch die Bewaffnung der Garde ist noch die Bewaffnung der Landsknechte aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts^ eine Hellebarde oder ein riesiges Schwert — der „Zweihänder“ —, Panzer, Helm mit roten Federn (Offiziere: weiße). 1911 schenkte Kaiser Wilhelm II. der Garde Mausergewehre, die die „Hellebardiere“ manchmal auf der Wacht bei den Eingängen zum Vatikan tragen. Und die kleine Patrouille, die in diskreter Entfernung in den Vatikanischen Gärten oder im Park von Castel Gandolfo dem spazierengehenden Papste folgt, trägt jetzt schon Maschinenpistolen.

DIE PÄPSTLICHE SCHWEIZERGARDE ist die letzte Truppe, in der Schweizer heute noch unter fremden Fahnen dienen dürfen. Seit 1848 führte die Eidgenossenschaft einen immer schärferen Kampf gegen das „Reislaüfen“ ihrer Landeskinder, das Dienen in fremdem Kriegssold, ohne allerdings bis zum Ende des ersten Weltkriegs, ja des spanisches Bürgerkrieges, dieses ganz verhindern zu können. So besaß noch der letzte König von Neapel, im Volksmund „Re bomba“ genannt, vertrieben 1860, eine Armee von 20.000 Schweizern, die seinem Land ein enormes Geld kostete.

Dieses Reislaufen spielte von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis zum späten 19. Jahrhunderts eine große Rolle in dem Leben der Schweiz. Es war eine Art „Export“, der dem damals noch armen Bauernland rasch und viel Geld einbrachte. Die Schweizer galten als überaus tüchtige Kriegsleute, im 15. Jahrhundert gar als eine Art furchtbare Wunderwaffe, um die sich die Mächte — insbesondere der französische König, die italienischen Fürsten, der Kaiser und der Papst — ständig bewarben. Alle diese Mächte sicherten vertraglich den Kantonen für das Recht, in ihren Gebieten Werbungen um solche Kriegsknechte durchführen zu können, hohe Summen und Jahrespensionen zu. So verpflichtete sich Papst Sixtus IV. jedem Kanton jährlich 1000 Golddukaten zu zahlen, solange derselbe ihm die Anwerbung von Söldnern in seinem Gebiet gestattete. Der einzelne Eidgenosse wiederum, der Dienst unter fremden Fahnen nahm, hatte Aussicht auf hohen Sold und-noch höhere Beute. So war dieses Reislaufcn eine Art blutiges Hasardspiet. Aber neben der Kriegstüchtigkeit war es noch ein anderer Grund, der die Mächte immer wieder Schweizer anwerben ließ: ihre sprichwörtliche Treue, die einen Eidbruch, ein Uebergehen zum Feind ausschloß. Eben dieses Wissen um diese Treue bewog so manchen Herrscher, die Sicherheit seiner Person bald ausschließlich nur noch Schweizern anzuvertrauen. Eine Lieberlegung, der sich Papst Julius II. anschloß und die begründet war: denn er regierte zu einer Zeit, da in Italien überall der Verrat lauerte, die Dolche locker saßen und Gift leicht in die Speisen und Getränke geschmuggelt wurde.

DAS BERÜHMTE WORT aus der Schlacht bei Waterloo „Die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht“, das in dieser Form wahrscheinlich nie gesprochen wurde, hat nur bedingt Gültigkeit. Zu oft nur haben sich Garden — von den Prätorianergarden angefangen — nicht für ihren Herrn geschlagen, sondern sind zu dessen Feinden übergegangen. Niemals hat man dies von den Schweizergarden gehört. Am 10. August 1792, bei dem Sturm auf die Tuilerien, ließen sich die Schweizer Gardisten des französischen Königs niedermetzeln. Aehnliches geschah am 6. Mai 1527 in Rom, da die vereinten Deutschen und Spanier die Stadt nahmen und in einer grauenvollen Zerstörung das Rom der Renaissance unterging. Am Fuß des Obelisken am Petersplatz und am Grab des Apostelfürsten fielen von 189 Gardisten 147 getreu ihrem Eid. Nur 42 konnten sich mit dem Papst durch den noch heute bestehenden gedeckten Gang vom Vatikan in die Engelsburg retten. Dieser Tag ist der große Gedenktag der Garde, der alljährlich feierlich begangen wird, und der die päpstlichen Schweizer daran erinnert, daß sie mit Recht jenen Ehrentitel tragen, den ihnen Papst Julius II. verliehen hat: „Beschützer der Freiheit der Kirche!“ ,

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