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Der General ist tot

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Wie ein Lauffeuer ging die Trauerbotschaft in der Frühe des 8. April durchs Land: Der General ist tot! Im ganzen Lande sanken die Fahnen auf Halbmast. Der Bundespräsident 'gab in einer Radioansprache den Hinschied dem Schweizer Volk bekannt. In der St.-Niklaus-Kathedrale in Fribourg zelebrierte Monsignore Charriere, Bischof von Lausanne, Genf und Fribourg, für den protestantischen General Guisan ein feierliches Requiem. Von allen Türmen des Landes kündeten die Glocken die Trauerbotschaft allem Volke.

WER WAR GENERAL HENRI GUISAN?

Die Schweiz kennt bekanntlich nur in Kriegszeiten einen General. Seit der Gründung des Bundesstaates, das heißt in den letzten 150 Jahren, waren es vier Oberbefehlshaber: Im Sonderbundskrieg des Jahres 1847 kommandierte Guillaume-Henri Dufour die Tagsatzungsarmee von 100.000 Mann. Die Grenzbesetzung 1870/71 leitete General Hans Herzog. Im Weltkrieg 1914/18 war Ulrich Wille Oberbefehlshaber! der1 Armee. Am 30. August 1939 Wahrte dier-vereinigte Bundesversammlung den damals 65jährigen Oberstkorpskommandanten Henri Guisan zum General. Er war ein echter Sohn seiner Waadtländer Heimat. Als Milizoffizier diente er in der Armee von der Pike auf. Schon vor seiner Wahl zum Oberbefehlshaber der Armee war er dem Volke ein Begriff. Er hat als General gehalten, was man von ihm erwartete.

Vom ersten Tag an hat er seine Aufgabe geschickt und straff angepackt. Der Beginn war nicht ganz einfach. Es lagen keine Operationspläne vor, und der General mußte fast „aus dem Sattel“ den Aufmarsch der Armee disponieren und befehlen. Und da kam Henri Guisan eine Eigenschaft sehr zustatten, die ihn noch öfters auszeichnen sollte: Seine große Entschlußkraft. Er wußte, was er wollte und kleidete seinen Willen in knappe, unmißverständliche Befehle. Seine innere Sicherheit übertrug sich sofort auf die obere Führung, wie auf die Truppe und das ganze Schweizer Volk. Guisan war ganz Soldat, nicht überheblicher Abgott seiner Truppen, nicht kühner Haudegen, aber männlich-beherrschter Truppenführer. Er strahlte Sicherheit und Festigkeit aus. Er war Symbol des Widerstandswillens und der nationalen Einheit des Schweizer Volkes. Kompromißlos und klar war seine Haltung. Im Armeebefehl vom 3. Juni 1940 kam sie zum Ausdruck:

„Für sein Vaterland zu kämpfen heißt, sein Leben rückhaltlos einsetzen. Kein neues Kampfmittel und kein neues Kampfverfahren ändert etwas an dieser durch die Jahrhunderte gültigen Wahrheit. Nicht die materielle Wirkung der Waffen ist es in erster Linie, die dem Gegner den Frfolg bringt, sondern der Zusammenbruch des Kampfwillens bei denen, die noch kämpfen könnten.“ Als im Mai 1940 die französische Front zusammenbrach und die Schweiz inmitten des brodelnden Sturmes als einsame Insel dastand, da brauchte das Land einen Mann, der in diesen dunklen Tagen den Weg wies. General Guisan blieb seinem Fahneneid treu, „die Ehre, Unabhängigkeit und Neutralität des Vaterlandes zu verteidigen“.

RÜTLI UND REDUIT Seine große Entschlußkraft und ruhige Sicherheit bewies der General, als er nach dem Zusammenbruch Frankreichs den Rückzug der Schweizer Armee ins Reduit, in die Alpenstellung, befahl. Es war dies ein Entschluß von höchster Tragweite, und er mußte aus psychologischen Gründen der Truppe und der Zivilbevölkerung plausibel gemacht werden. Am 25. Juli 1940 rief der General alle höheren Truppenführer bis hinunter zum Bataillon und zur Abteilung zusammen. Als Versammlungsort war das Rütli vorgesehen. Die Rütliwiese am Ufer des Vierwaldstättersees ist für die Entstehung der schweizerischen Eidgenossenschaft bekanntlich von größter Bedeutung: sie ist für uns Schweizer ein heiliger “oden. Hier gründeten unsere Väter im Jahre 1291 im Namen Gottes den ersten Bund. Hier gelobten sie, einai.Jer beizustehen in guten und bösen Tagen. Hier schworen sie, keine fremden Vögte über sich zu dulden, sondern die Geschicke des Landes in die eigenen Hände zu nehmen, und, wenn es sein sollte, mit Gut und Blut hierfür einzustehen. Dies war der Ckt, der den moralischen Eindruck erhöhte, der den Hintergrund bildete für die neue Situation. Der General erklärte den Offizieren, weshalb er sich zur Errichtung des Reduits entschlossen hatte. Damit ein eventueller Gegner seine überlegenen Mittel, wie Flieger TtridParöef,nicht mit Erfolg hätte verwenden könnet!, wurden die Hauptstreitkräfte der Armee in einer „Igelstellung“ inmitten der Alpen konzentriert. Das Volk hat diesen schweren Entschluß des Generals verstanden. Volk und Armee waren von einem einheitlichen Verteidigungswillen beseelt.

MANN UND CHRIST General Guisan war nicht nur ein großer Soldat, er war ein ebenso großer Christ starken Gottvertrauens. Die Sorge um die Erhaltung der höchsten Werte, das Interesse für alles Menschliche, die ehrfürchtige Aufmerksamkeit für die Geschwächten und die Unglücklichen, die Liebe zu den Kindern, dies alles sind Tugenden, die einer engen Gemeinschaft mit Gott entstammen. Wie viele, mit der Erdscholle verbundene Waadtländer war Henri Guisan gegenüber zur Schau gestellten Äußerungen des Glaubens sehr zurückhaltend. Hätte er aber alles das leisten können, was von ihm gefordert wurde, wäre er das gewesen, was er war, wenn im tiefsten Innern seines Herzens das Licht des Glaubens, das Vertrauen in Gott nicht geschienen hätte? Er erwähnt es im Tagesbefehl vom 3. Juni 1940:

„Aber höher noch als die materielle und die moralische Bereitschaft ist die geistige zu bewerten. Unsere Väter waren sich dessen bewußt, die vor jeder Schlacht vor dem Allmächtigen die Knie beugten. Wenn bis heute unter den europäischen Kleinstaaten die Schweiz fast allein vor den Schrecknissen einer Invasion verschont geblieben ist, so haben wir das vor allem dem Schutze Gottes zu verdanken. Das Gottesbewufltsein muß in allen Herzen lebendig bleiben, das Gebet des Soldaten muß sich mit demjenigen seiner Frau, seiner Eltern, seiner Kinder vereinigen.“

DER LETZTE GRUSS General Guisan ist abgetreten. Ein ganzes Volk steht trauernd an seiner Bahre — trauernd und dankbar für das, was er der Armee, dem Lande in gefahrvoller Zeit war. Das Volk hat ihn nicht nur geachtet und geschätzt, sondern geliebt. Über 300.000 mögen es gewesen sein, die dem General die letzte Ehre erwiesen. Menschen aller Stände und Konfessionen nahmen in Schmerz und Trauer Anteil. Sämtliche Bischöfe der Schweiz schritten im Trauerzug mit. In einem Meer von Blumen flatterten die 458 Feldzeichen der Armee. Der General hat sie verlassen. Aber er hat den Schweizern ein Beispiel von Hingebung und Treue gegeben.

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