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Tradition: das Rückgrat jeder Armee

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Die bestausgerüstete, bestausgebildete Truppe wird ihren Aufgaben nicht gerecht werden können, wenn in ihr nicht jener Geist lebt, der ihr die Kraft gibt, allen Unbillen und Gefahren 2U widerstehen. Dieser Geist aber, den man als das vereinte Gefühl der Vaterlandsliebe, des Pflichtbewußtseins und des Vertrauens auf die eigene Stärke beschreiben kann, ist gerade in unserer heutigen Zeit und im besonderen Falle Oesterreichs keine Selbstverständlichkeit. Zuviel hatte dieses Volk in den vergangenen Dezennien zu erleiden gehabt, zu viele Enttäuschungen über sich ergehen lassen müssen, um in seiner Gesamtheit genug jener inneren Festigkeit zu behalten, die den Söhnen des Volkes, die seine Waffenträger sein werden, den Geist der unzerbrechlichen Zusammengehörigkeit, den Geist des Widerstehenwollens und des Widerstehenkönnens zu erhalten.

Noch liegen die Jahre nicht zu lange zurück, da nach dem Zusammenbruch des großen, alten Oesterreichs die Bewohner des kleinen Rumpfstaates unsicher umherblickten, um irgend etw3s, über das sie sich selbst nicht im klaren waren, zu finden und sich daran zu klammern. Sie bekämpften einander, sie schielten über die Grenze und sie erwarteten Hilfe von einer Seite, die schließlich nichts anderes tat, als ihr Land von der Karte zu entfernen und sie selbst in ein nie dagewesenes Unheil zu stürzen. Nur auf eines vergaßen sie: auf ihre eigene Kraft u bauen, auf jene Kraft, die in der eigenen großen Vergangenheit liegt. Diese Kraft aber ist es, die dem Volk und seiner Armee den Geist einhaucht, der im Frieden zum Aufbau und im Krieg zur Verteidigung unumgänglich notwendig ist.

Auf die Vergangenheit stolz sein und aus ihr Kraft für die Zukunft schöpfen heißt nicht, sich einem bestimmten politischen Kredo zu verschreiben. Welcher Franzose wäre nicht stolz auf die Armeen Napoleons, auf die Tage von Austerlitz, Jena und Auerstedt. Welcher Franzose weiß nicht, daß der unbekannte Tote beim Triumphbogen alle repräsentiert, die für Frankreich, nicht nur für die Bourbonen. nicht nur für den Kaiser und nicht nur für die Republik gefallen sind. Aus diesem Wissen um Frankreichs große Vergangenheit heraus erklären sich auch die Worte des Generals de Gaulle an dem Tage, an dem das eine Frankreich die Waffen stj-eckte, er aber als Vertreter des anderen erklärte: Frankreich habe nur eine Schlacht verloren, es werde weiterkämpfen I

Deutlicher aber als in den meisten Fällen zeigt sich am Beispiel der Sowjetunion die ungeheure Bedeutung des Weiterführens einer Tradition. Ein Regime, das versucht hatte, sich von der Vergangenheit vollkommen loszusagen, das zunächst alle Dienstgrade abschaffte, ein Regim, das versuchte, seiner Truppe einen vollkommen neuen politischen Geist einzugeben, entschloß sich, als es nahe dem Abgrund war, auf große Vorbilder zurückzugreifen und als äußerlich sichtbares Zeichen die Distinktionen und andere Uniformstücke der Armee des Zaren wiedereinzuführen und Orden zu verleihen, die den Namen zaristischer Generale tragen.

Es haben aber auch andere Staaten und deren Armeen an Traditionsabzeichen festgehalten, die anderen Epochen und oft auch anderen Regimen entstammen. So ist zum Beispiel in Italien neben den berühmten Hüten der Bersaglieri und Alpini auch der auf dem Kragenaufschlag befindliche „Aktivitätsstern“ erhalten geblieben. Weiter tragen die italienischen Offiziere auch in der Republik bei feierlichen Anlässen blaue Schärpen, wie einst in den Tagen des Hauses Savoyen.

Frankreichs Chasseurs Alpins präsentierten sich erst kürzlich, anläßlich der Einholung der alliierten Flaggen in Wien, in ihren dunkelblauen Traditionsuniformen und Baskenmützen. Aber nicht nur, das: noch immer scheinen in Berichten Dragoner, Husaren und Kürassiere auf, wenn auch die. Kavalleristen von heute längst das Pferd mit dem Panzer vertauscht haben. Man will damit aber erreichen, daß der Geist der Reiter, von gestern in den Panzersoldaten von heute weiterlebt.

Es ist in diesem Zusammenhang interessant, festzustellen, daß selbst die Amerikaner, die allgemein einerseits als der Prototyp der mechanisierten und motorisierten Gegenwart dargestellt werden und die anderseits eine nach europäischen Begriffen nur kurze Geschichte ihr eigen nennen, dennoch an Traditionen festhalten. So erinnern wir uns aus dem Koreakrieg an jene 1. Kavalleriedivision, deren Soldaten freilich vollmotorisiert waren. Und die gelben Halstücher der heutigen Constabulary-Einheiten gehen zurück auf jene, die General Custers Reiter trugen, als sie 1876 in der Schlacht bei Little Big Horn samt und sonders den Tod fanden. Die Kadetten von West Point, der Offiziernachwuchs Amerikas, aber tragen heute noch Uniformen aus dem vorigen Jahrhundert, um die Vergangenheit zu ehren und daraus Kraft für die Zukunft zu schöpfen.

Das Musterbeispiel der Ueberlieferungspflege ist natürlich Großbritannien. Es würde Seiten erfordern, um nur einige dieser Traditionen anzuführen. Interessant für uns ist es jedoch, zu erwähnen, daß die Kings Dragoon Guards, heute ein Panzerregiment, auf ihrem schwarzen Barett das Abzeichen tragen, das einst ihre Helme schmückte: den kaiserlichösterreichischen Doppeladler! Denn sie waren einst „the Emperor of Austria's own“ ... Die 1 Uniformen der Garden zu Fuß und zu Pferd, die wir bei Besuchen in London vor dem Bucking-ham-Palast und bei Whitehall sehen, die karierten Röcke der Schotten, das Pantherfell des Trommlers, die weißen Gamaschen des schottischen Black-Watch-Regiments, die Tatsache, daß das Gloucestershire-Regiment sowohl vorne als auch rückwärts auf der Kappe ein Regimentsabzeichen trägt, all das sowie die Bezeichnung der Regimenter nach ihren Grafschaften oder Oberstinhabern sind keine leeren Aeußerlichkeiten. Sie dienen dem Zweck der positiven Traditionspflege, die den Fortschritt nicht hemmt, sondern im Gegenteil zu neuen Leistungen inspiriert.

Eine Armee ohne Tradition ist eine Armee ohne jenen Geist, der neben Ausrüstung und Ausbildung vorhanden sein muß, um im Ernstfalle die Voraussetzung für die erfolgreiche Verteidigung des Vaterlandes zu bilden. Es wird daher die Pflicht der Offiziere unseres wiedererstandenen Heeres sein, den jungen Soldaten die großen Vorbilder der Vergangenheit vor Augen zu führen, damit in ihnen der Geist der Armeen des Prinzen Eugen, Dauns, Laudons, Schwarzenbergs, Erzherzog Karls, Radetzkys und Conrads lebendig werde, damit ihnen Belgrad, Kunersdorf, Kolin, Aspern, Leipzig, Custozza und der Isonzo Begriffe werden. Lind nach außen hin sollen sie an ihren modernen Uniformen die Regimentsabzeichen der Deutschmeister. Hessen, Rainer und Kaiserjäger tragen. Nicht ohne Grund hat Montgömery seiner 8. Armee in Afrika befohlen, im Gegensatz zu der' herrschenden Geheimhaltung ihre Regimentsabzeichen im Kampf zu tragen. Er wußte, was nun auch wir beherzigen sollen, daß der Vater des Sieges der Geist der Truppe ist. Lind der Geist unserer Truppe liegt im Wissen um die große Vergangenheit, im Willen, es jenen, die Oesterreich im Laufe der Jahrhunderte treu , und tapfer dienten, gleichzumachen.

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