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Soldat und Mensch

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Einige in der Aussprache über unser künftiges Bundesheer geäußerte Befürchtungen lassen erkennen, .daß wir doch allzusehr unter Eindrücken stehen, die wir aus persönlichen Erlebnissen mit einzelnen Angehörigen der Wehrmacht empfangen haben. Was während der letzten Kriegsjahre auf den Kasernenhöfen sich manche Hohlköpfe an frecher Anmaßung gegenüber der Mannschaft geleistet haben, wäre in normalem Dienstbetrieb eines regulären Heeres kaum möglich gewesen. Vergessen wir doch nicht, daß nationalsozialistische Schlagworte auch in die Wehrmacht eingedrungen sind und daß infolge hoher Verluste an den Fronten Mangel an guten Offizieren und Unteroffizieren herrschte. Die Wehrmacht der letzten Kriegsjahre hatte wenig gemein mit der deutschen Armee von 1914 und noch viel • weniger mit dem vielsprachigen Heer Oesterreich-Ungarns.

Machen wir uns frei von den Krampfvorstellungen des in einer österreichischen Truppe von vorn he rein undenkbaren „Null-Acht-Fuffzehn“ und von der Verblendung, daß die meisten Soldaten am Luderleben eines Landsknechtes Gefallen finden.

Wir dürfen getrost an die Tradition jener Getreuen anknüpfen, die im November 1918 noch immer die Grenzen ihrer Heimat verteidigten. Der in den langen Friedensjahren vor 1914 gepflegte soldatische Geist der Treue und der Hingabe an eine große gemeinsame Aufgabe, dessen Bewahrer und stärkste Stütze das Berufsoffizierskorps war, gründete sich auf die menschlichen Beziehungen zwischen Offizier und Mannschaft, zwischen Vorgesetzten und Untergebeneil. So stand dieser Geist in vollem Einklang mit dem Sinngehalt des Dienstreglements (1. Teil), dessen Fassung auf Erzherzog Karl, den Sieger von Aspern, zurückgeht.

Dienstreglement? Ein Uneingeweihter mag sich darunter ein Sammelsurium starrer Formeln für den öden Kommißbetrieb vorstellen. Doch wie groß wäre seine Ueberraschung, schon beim Lesen der ersten Kapitel über die „Pflichten und Verhaltungen des Soldaten“ erkennen zu müssen, wieviel echtes Menschentum aus dieser Vorschrift leuchtet! Unter den vom „Kriegerstand unzertrennlichen Tugenden“ wird vor allem die Gottesfurcht genannt, welche „die Grundlage eines moralischen Lebenswandels und eine Aneiferung zur treuen Erfüllung der Pflicht“ ist. Wir können auf den Inhalt der Abschnitte, die von der „Moralität des Kriegsmannes“ handeln, nicht eingehen, wollen aber jene Bestimmungen streifen, welche den Schutz der Würde des Menschen im Auge haben.

Im Abschnitt „Beschwerden“ wird durch gesperrten Druck hervorgehoben: „Es ist eine der vornehmsten Pflichten jedes Vorgesetzten ... daß er begründeten Beschwerden abhelfe. Kein Vorgesetzter ist berechtigt, eine Beschwerde, die gegen ihn selbst gerichtet ist, zu erledigen.“ — Unter „Behandlung der Untergebenen“ wird gesagt, daß sie „gerecht und wohlwollend, dabei konsequent und der Eigentümlichkeit- des einzelnen angepaßt“ sei. „Der Vorgesetzte bemühe sich, seine Untergebenen nach ihren Charaktereigenschaften, Geistesgaben und Neigungen kennenzulernen, zeige Teilnahme für sie ...“ — Und schließlich schrieb dieses Reglement dem Untergebenen vor, nach gründlicher Erwägung aller. Umstände den Gehorsam nicht zu leisten, „wenn ein Befehl klar und offenbar gegen die beschworene Eidespflicht, die Wohlfahrt des Staates oder den Dienst gerichtet wäre, desgleichen, wenn er eine durch das Strafgesetz verbotene Handlung verlangen würde“! — Also kein Kadavergehorsam! Und dieses Gesetzbuch wurde vor 150 Jahren geschrieben, als es in Europa, abgesehen von England, noch keine Demokratie gab, man nichts von Tiefenpsychologie noch von einer Theorie der Menschenführung wußte, geschrieben offenbar von Soldaten, allerdings von österreichisch e n !

General C. B a r d o 1 f f, der auch Jurist war, nannte einmal das österreichische Dienstreglement ein Gesetzbuch, mit dem man „nicht nur eine Armee aufbauen könnte, das vielmehr für manche Völker und Staaten heute noch in seinen allgemeinen Grundzügen ein fester Boden wäre, denn es enthalte ewige Wahrheiten, sittliche Forderungen höchster Ordnung“. Liegt in diesen Urteilen nicht schon die Antwort auf viele Fragen, die heute im Zusammenhange mit der Aufstellung des Bundesheeres aufgeworfen werden?

Eine dieser Fragen lautet: Welche Ausbildung soll man dem Berufsoffizier geben? Grundsätzlich könnte man erwidern, der vorzügliche Geist, der in Altösterreichs Truppen herrschte, sei der beste Beweis dafür, daß der Berufsoffizier seiner Aufgabe gewachsen war, ergo — Nein; seit damals ist ein halbes Jahrhundert vergangen, das nicht nur unerhörte technische Fortschritte, sondern auch tiefgreifende Veränderungen im geistig-seelischen Bereich gebracht hat.

Rufen wir uns immerhin in Erinnerung, daß damals die weitaus größere Zahl der Berufsoffiziere aus Kadettenschulen hervorging. Ihr Lehrplan ähnelte dem einer Oberrealschule, doch genossen die Zöglinge gleichzeitig eine vollständige militärische Ausbildung, die sehr viel Zeit in Anspruch nahm und an die physische Leistungsfähigkeit große Anforderungen stellte. Als Erzieher und Lehrer fungierten qualifizierte Truppenoffiziere, die allerdings keine Lehramtsprüfung abgelegt hatten und nach Ablauf einiger Jahre wieder zu ihren Stammkörpern einrückten. Damit war neben der Aufrechterhaltung guter Zucht auch die zweckmäßige Ausbildung der Zöglinge zum Offiziersberuf gewährleistet. Der Verfasser muß hier der Versuchung widerstehen, das Lob dieser Männer zu singen, derer er heute, nach vielen Jahren, noch in Verehrung und Dankbarkeit gedenkt. Von seinem Jahrgangskommandanten, einem Hauptmann ungarischer Herkunft, dem Typus des altösterreichischen Offiziers, sei aber das Wichtigste gesagt. In seinen Vorträgen aus Geschichte sprach er oft mit Begeisterung über die Idee und die historische Sendung Oesterreich-Ungarns als deren Träger. Ebenso verstand er es, seine Zöglinge in väterlichen Worten zur Reinheit der Seele und des Leibes zu ermahnen. Und wie ernst und eindringlich verwies er auf die Pflichten — nicht auf die Rechte — des Offiziers gegenüber, der Mannschaft! Wenn etwa nach einem langen Marsch in Sand und Sonnenglut die Truppe ins Quartier käme, habe sich der Offizier vor allem von der Unterbringung und Verpflegung seiner Soldaten zu überzeugen; erst dann dürfe er an seine Ruhe denken.

Dennoch genügt diese Ausbildung heute nicht. Viele Offiziere litten nämlich schon damals unter den Lücken ihrer Bildung, um deren Schließung sie sich bemühten. Man darf selbst von einem strebsamen Soldaten nicht erwarten, daß er sich in seiner Freizeit wieder nur mit militärwissenschaftlichen und Berufsfragen befaßt. Er bedarf vielmehr, auch im Interesse des Dienstes, einer geistigen Anregung, welche auch die Lektüre wertvoller Belletristik allein nicht zu bieten vermag. Aus eigener Erfahrung hat der Verfasser die Ueber-zeugung gewonnen, daß z. B. der Weg zum Selbstunterricht in irgendeiner Disziplin jenen Kameraden leichter fiel, die eine gute humanistische Bildung erhalten hatten. Eine solche Bildung wird den Offizier befähigen, höheren Ansprüchen an seine Tätigkeit als E r-z i e h e r der Mannschaft zu genügen, sie wird ihn seinen Beruf auf einer höheren Ebene erleben lassen.

Um dieses Ziel zu erreichen, könnten Erziehung und Ausbildung in einer Schule mit militärischem Dienstbetrieb nach dem Lehrplan eines Oberrealgymnasiums bis zur Hochschulreife vor sich gehen. Während dieser vier Jahre wäre ein elfter Schulmonat — etwa in einem Sommerlager — für die militärische Ausbildung vorzusehen. Den systematischen militärwissenschaftlichen Unterricht in ihrer Waffe würden die jungen Männer in einer zweijährigen Akademie erhalten; gleichzeitig hätten sie fallweise schon an den Uebungen des Bundesheeres in entsprechender Funktion teilzunehmen. Durch die ganze Studienzeit wäre die Ausbildung in den wichtigsten Sportzweigen so zu betreiben, daß der Offizier auch auf diesem Gebiet seiner Mannschaft als Lehrer und Vorbild dienen könnte. Zur Fortbildung der Offiziere sollten neben den bekannten Uebungen auf dem „Kriegsspielplan“ Vorträge über verschiedene Wissensgebiete (soldatisches Ethos, sittlich religiöse Fragen) mit nachfolgender Diskussion veranstaltet werden.

In keiner anderen europäischen Armee hat sich das Verhältnis des Offiziers zur Mannschaft so menschlich und daher gesund gestaltet, wie in der Altösterreichs. Haben wir also Vertrauen zu unserer eigenen Wesensart und bemühen wir' uns nur darum, daß unser Bundesheer eine Inkarnation österreichischen Geistes werde!'

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