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Was für eine Landesverteidigung?

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Die österreichische Öffentlichkeit wird wahrscheinlich noch vor Beginn der Sommerferien zu zwei gewichtigen Forderungen des Bundesministeriums für Landesverteidigung Stellung nehmen müssen. Die erste Forderung beinhaltet eine Ausweitung des Heeresbudgets auf zirka 7 Prozent vom gesamten Staatsbudget. Es geht dabei um die folgenden Summen:

Aus obigen Zahlen stechen insbesondere die Erhöhungen für Ausrüstung hervor, die allein soviel ausmachen wie der zusätzlich verlangte Gesamtbetrag von 1500 Millionen. Dieser sowie ein anderer hoher Ausgabeposten — für Bekleidung —, der nun statt 100 200 Millionen betragen soll, treten deshalb in Erscheinung, weil die 1955 und 1956 von den Alliierten gespendeten Hilfsgüter aufgebraucht sind. Wenn wir weiterhin Panzer, Militärflugzeuge, Kanonen und Infanteriewaffen haben wollen, müssen wir selber dafür aufkommen — vor allem aber ernsthaft prüfen, ob wir sie haben müssen und wollen.

Das Generaltruppe n-inspektorat, das vom General der Infanterie Fussenegger geführt wird, stellt sich vor allem die Aufgabe: die Truppen zu inspizieren, von ihnen das Äußerste an Leistung zu fordern und sie dennoch vor Überforderung zu schützen. Diese Truppen bestehen aus:

Erklärungen einiger Bezeichnungen für Laien: Verlängerter Präsenzdienst heißt, anstatt 9 Monate, zu denen man laut Gesetz verpflichtet ist, freiwillig bis zu 15 Monate weiter zu dienen. Z e i t v e r-pflichtung heißt, als Berufssoldat einen Vertrag mit dem Heer abzuschließen und bis zu einer Dauer von 10 Jahren zu dienen. Hierbei kann man schon wesentlich früher direkt und beamtet vom Staat angestellt werden und dann weiter im Heer oder in einem anderen Ressort des Bundes dienen. Alle vom Bund aufgenommenen Berufssoldaten (aller Grade) unterstehen dem gleichen Besoldungsschema wie die anderen Bundesangestellten. Als über deren Pensionsalter verhandelt wurde und gefragt wurde, warum den Heeresangehörigen nicht wie den Polizisten und Gendarmen eine kürzere Dienstzeit vor ihrer Pensionsreife zugesprochen werde, da sagte der hohe Beamte, der damit zu tun hatte: „Die Polizei bekommt das ja, weil sie bei jedem Wetter draußen sein muß ...“

Warum wird nun vom Verteidigungsministerium mehr Geld für sein Personal verlangt? Insbesondere, um die Kader und Äusbildner zu vermehren, an denen es sehr mangelt. Es wird von ausgedienten Dienstpflichtigen berichtet, daß sie besonders in den letzten Monaten der Wehrdienstzeit viel herumsitzen und nicht genügend ausgenützt werden. Der Grund hierfür liegt in dem Mangel an Unter- und Subalternoffizieren, die insbesondere durch eine Ausweitung der Ausbildung der Reservisten (vier Tage im Jahr vorgesehen) zusätzliche Arbeit erhalten.

Hiermit erhebt sich die Frage: Will man eine weitere Ausbildung der Reservisten, braucht man das, ist es nötig und welches Gesetz schreibt es vor? Keines. Und damit kommen wir zur zweiten Forderung, welche das Verteidigungsministerium sehr bald der Öffentlichkeit vorlegen wird: eine Novellierung unserer Wehrgesetze. Die Wehrgesetzbarkeit hat bisher eher von der Hand in den Mund gelebt und nur immer Gesetze aus den unmittelbaren Notwendigkeiten hervorgebracht. Die meisten stammen aus den Jahren 195 5 und 1956, und man kann an ihnen genau die hektische Entwicklung auf diesem Gebiet seit dem Staatsvertrag verfolgen, als das Heer und sein Ministerium aus dem Boden gestampft wurden — zu rasch, zu unorganisch, wie manche meinen...

Und je weiter die Entwicklung ging, desto umfassendere Aufgaben ergaben sich für die Landesverteidigung und desto schwieriger und langwieriger waren die nötigen Gesetze zu erstellen, da immer breitere Interessentenkreise von ihnen betroffen werden, deren Einverständnis man sich ja in einer Demokratie versichern muß, ehe man Gesetze erläßt, die sie betreffen. So wurde in diesem Jahr von der Bundesregierung der so inhaltsschwere Beschluß über den Aufbau der umfassenden Landesverteidigung gefaßt, die außer rein militärischen auch die geistigen, wirtschaftlichen und zivilständischen Maßnahmen der nationalen Verteidigung erkennen und veranlassen soll. Da genügt es nicht mehr, daß irgendwelche Vertreter von Behörden und Ministerien zusammenkommen und papierene Verordnungen erlassen, die niemand einzuhalten verpflichtet ist. Dazu braucht es Gesetz«.

Es gibt aber nur die aus der Ersten Republik stammenden gesetzlichen Grundlagen für eine allgemeine Mobilisierung (wir hatten damals bis 1936 nur ein Berufsheer und keine allgemeine Dienstpflicht und überhaupt ganz andere Verhältnisse und Erfordernisse wie heute). So gibt es keine österreichischen gesetzlichen Befugnisse, auf Grund derer man im Ernstfall von den Staatsbürgern besondere Leistungen verlangen könnte. Dazu gehören die Requirierung privater Be-förderungs- und Betriebsmittel und die Besetzung und Nutzung privater Grundstücke. In den Grenzschutzeinheiten, die jetzt gebildet werden, sollen den Reservisten an vier Tagen im Jahr Waffen- und andere Instruktionen erteilt werden. Es gibt aber auch hierfür noch keine gesetzlichen Grundlagen, die beispielsweise die Fra?en der eventuellen Vergütung entgangenen Verdienstes regeln.

Die Öffentlichkeit — das heißt iV-e Organisationen und Interessenvertretungen, wie Kammern und Gewerkschaften, aber auch die Parteien und das Parlament, werden sowohl über die finanziellen als auch über die Forderungen an die Gesetzgebung ihre Meinungen, Empfehlungen und Urteile abzugeben haben. Es wird jedoch nötig sein, daß sie sich vorher über eine Reihe elementarer Fragen Klarheit verschaffen, wie über die folgenden:

1. Sollen und wollen wir dieses Land verteidigen?

2. Was für eine Art von Verteidigung brauchen wir unter den gegebenen außen- und innerpolitischen, sozialen, strategischen und waffentechnischen Bedingungen?

3. Ist unsere bereits bestehende Verteidigungsorganisation richtig und ausreichend? Welcher Veränderungen und Verbesserungen bedarf sie?

4. Wie steht es mit den geistigen Voraussetzungen unserer Verteidigung, insbesondere a) im Heer, b) im Unterrichtswesen, c) in den Parteien?

Der Verfasser steht nicht an. seine Meinung zu diesen Fragen zu äußern.

Wofür, und wie kämpfen?

-lisXisnrs fl? änbnun snu ,nsrh hi Wir Rollen und,,.wollen dieses Land verteidigen, weil es unser Land ist und weil es allen seinen Bürgern heute ausreichende Grundlagen bietet, ihre geistigen und materiellen Aspirationen zu verfolgen.

2. Unsere Verteidigung muß die eines neutralen Landes sein, das sich von jeder militärischen, politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von auswärtigen Mächten freihalten muß. Es ist daher zu seiner Verteidigung um so dringender auf seine inneren Ressourcen und auf seine gesamte Bevölkerung angewiesen. Seine Verteidigung muß daher im Kriegsfall eine totale sein, wofür bereits in Friedenszeiten entsprechend vorgesorgt werden muß.

3. Damit ergeben sich für unser Heer die Aufgaben, an der Planung und Vorbereitung der Gesamtverteidigung, an der Erziehung und Ausbildung der Kader und darüber hinaus der gesamten Bevölkerung entscheidend mitzuwirken. Im Kriegsfall muß das Heer gemeinsam mit den politischen Kräften die Gesamtverteidigung anführen und ihren Kern und ihr Rückgrat bilden.

Das Prinzip der Grenzschutzeinheiten ist insofern richtig, als sie die enge Verbindung zwischen aktiven Einheiten und Reservisten und Zivilbevölkerung auf lokaler und regionaler Grundlage im Frieden und im Krieg ermöglichen. Es wäre jedoch verfehlt, zu glauben, daß ein Land heute noch an seinen Grenzen auf entscheidende Weise verteidigt werden kann. In einer Zeit der Landung von Fallschirmjägern, aber auch massiver motorisierter feindlicher Verbände aus der Luft, des Einsatzes von „Fünften Kolonnen“ bis zur Bildung von Quisling-Regierungen, muß die Verteidigung eines Landes wie des unseren von vornherein das gesamte nationale Territorium erfassen und überall zu gleicher Zeit von lokal und regional vertrauten, zu selbständigem Vorgehen befähigten und in ihrer Größe und Ausrüstung elastisch reduzier- und erweitbaren Einheiten betrieben werden. Nichtsdestoweniger kommt den Grenzschutzeinheiten in der gegenwärtigen Situation insbesondere moralische und erzieherische Bedeutung zu, da sie als die starken Ränder des Verteidigungsnetzes dessen immer weiterer Entwicklung ins Innere des Lan des zu förderlich sein können.

Aus dem Charakter einer solche! totalen Verteidigung ergeben sich ins besondere für deren Hauptträger, den Heer, wesentliche Konsequenzen nich nur in militärischer, sondern auch ii geistiger und staatspolitischer Hin sieht. Das Heer muß viel stärker al bisher im gesamten Leben aufscheinen und zwar ebenso sehr „unten“ al auch „oben“, in seinen Beziehungen zi den repräsentativen Institutionen de: Republik. So gehört es sich, daß zun Beispiel vor dem Amtssitz des Bundes Präsidenten nicht ein braver Wach mann, sondern ein Gardesoldat Postei steht. Man mag das als eine Kleinig keit, als eine Formalität ansehen, abe: es kann auch symbolisch betrachte werden. Wir können in diesem Land mit seiner zerklüfteten Vergangenheit unsere Geschlossenheit gar nich' genug kundtun.

Auch in den Schulen wäre hier nocl mehr zu leisten. Die Militärs be schweren sich darüber, daß di< Jugend tfci den Schulen nicht auf ihn Dienstpflicht vorbereitet wird. (Sieh&#171; auch der in dieser Nummer der „Für che“ abgedruckte Aufsatz „Ein Lehr buch der Geschichte“.) So wie viel&#171; andere in dieser Republik, stehen aucl die Lehrer dem noch unsicher und zaghaft gegenüber. Manchem von ihner könnte durch eine Nachschulung ge holfen werden.

Natürlich sind auch die Offizien und Ausbildner im Bundesheer, nich frei von dieser Unsicherheit und bedürfen grundsätzlicher Klärung und Orientierung, die ihnen die von Tagesfragen und -interessen absorbierten Politiker oft nicht geben. In den kommunistischen Armeen bringen Politkommissare den Soldaten und Offizieren bei, wofür sie kämpfen sollen. Es ist nicht gesagt, daß es staatspolitische Aufklärung nicht erst recht im Heer eines demokratischen Landes geben könne. Die Kommunisten waren übrigens durchaus nicht die ersten, die politische Aufklärung im Heer betrieben haben. Als die Engländer im vergangenen Krieg in ihren Armeen den „Educational Officer“ einführten, brachten sie damit nur die „Delegates“ von Cromwells „New Model Army“ zu neuem Leben. Hierzulande wird oft eingewendet, daß die NSFO in der deutschen Wehrmacht sich im großen und ganzen für ihre Urheber als Versager erwiesen haben. Ein demokratisches Heer sollte sich davon eher ermuntern als abschrecken lassen ...

Überhaupt wird sich mancher unserer Offiziere von Konzeptionen loslösen müssen, die er in der deutschen Wehrmacht in sich aufgenommen hat und die er heute oft noch ganz unbewußt vertritt. Das hat nichts mit Politik zu tun, wohl aber mit den grundlegend anderen Kampfzielen, die der deutschen Wehrmacht gestellt waren. Ihre wesentliche Aufgabe war — wie in den meisten Kriegen Deutschlands —, sehr schnell ins feindliche

Territorium einzudringen und den Feind bereits zu Kriegsbeginn den entscheidenden Schlag zu versetzen. Damit erhielt zum Beispiel die M o t o r i-s i e r u n g in Hitlers Armee von vornherein spezifische Bedeutung, die sie bei uns nie haben kann. Schnelligkeit ist auch in unserer auf das eigene Landesgebiet beschränkten Verteidigung nicht zu verachten. Es wird jedoch eher die Schnelligkeit sein müssen, mit der die zwei Igel den Hasen im Wettlauf besiegten. Und die Wucht der dem Gegner zu versetzenden Schläge wird nicht durch massive Panzerkonzentrationen, sondern eher durch das Prinzip des Spießrutenlaufs hervorgebracht werden, wo nicht der erste Schlag, sondern die Aufeinanderfolge vieler Rutenschläge tödlich ist. Manchem unserer Militärs, die in der „Wehrmacht“ zum großen Kriegführen erzogen wurden, mag solche Partisanentaktik unsoldatisch und „bolschewistisch“ vorkommen. Doch auch die Amerikaner haben jetzt begonnen, bedeutende Teile ihrer Streitkräfte auf Guerillakrieg einzustellen. Uns sollte das bedeutend leichter fallen, da wir nichts wollen, als uns selbst und unser Land zu verteidigen und dabei auf neue Weise an solche Vorbilder in der Geschichte des Kleinkriegs anknüpfen können, wie an den Tiroler Aufstand von 1809.

(Infolge der Fülle grundsätzliche Fragen, ist die Behandlung der materiellen Organisation des Heeres — insbesondere die technische Sektion IV -zu kurz gekommen. Das soll in einen späteren Artikel nachgeholt werden.)

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