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Wieviel Militär ist notwendig?

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Durch die Abrüstung im Osten kommen auch dem österreichischen Bundesheer die Feinbilder abhanden.

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Durch die Abrüstung im Osten kommen auch dem österreichischen Bundesheer die Feinbilder abhanden.

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Seit dem Zusammenbruch des Sowjetreiches gehen dem österreichischen Bundesheer die unmittelbaren potententiellen Feinde ab. Die massiven sowjetischen Truppen in den ehemaligen Satellitenstaaten des Sowjetimperiums haben sich längst zurückgezogen. Die nunmehr als eigenständige Staaten wiedererstandenen Nachbarländer können sich keine überdimensionierten Heere mehr leisten und rüsten ab.

Horst Pleiner faßt die Entwicklung des Militärs in den Staaten des ehemaligen Ostblocks zusammen: „Bisher eindeutige Ausrichtungen nach Westen werden durch flächen -hafte Verteilung oder gleichmäßige Ausrichtung nach mehreren Richtungen ersetzt, die Präsenzstärke wird abgesenkt. Die Offensivmöglichkeiten am Boden sind erheblich reduziert worden oder weggefallen, die Vorwarnzeiten haben sich für militärische Auseinandersetzungen wesentlich verändert.”

Zwar wurde die Mobilisierungs-stärke des Bundesheeres von 200.000 auf 120.000 Mann plus 30.000 Mann Reserve reduziert, die Ausrüstung mit Waffen hingegen wurde in den vergangenen Jahren stark erweitert und modernisiert. Die größten Anschaffungen, soweit sie rekonstruierbar sind, waren:

■ 54 neue schwere Panzerhaubitzen M 109 A5 um zirka eine Milliarde Schilling. 102 gebrauchte M 109 A2 beziehungsweise A3 von der britischen Rheinarme. Diese sollen noch auf die aktuelle Version A5 nachgerüstet werden.

■ 500 Fliegerabwehrraketen Mistral (3500 Höhenmeter), die von 67 mobilen Werfern am Boden aus gestartet werden können (1,5 Milliarden Schilling).

■ Panzerabwehrraketen

■ Luft-Luft-Raketen, ausgerüstet für die Draken-Jagdbomber.

■ Ein digitales Fernmeldenetz („Fernmeldemilliärde”), das zu den modernsten der Welt zählt.

■ Mobile Radarstationen von Thompson, mit denen Tiefflieger bei jedem Wetter geortet werden können, um 1,6 Milliarden Schilling.

■ Computergesteuerte Schieß- und Gefechtssimulatoren.

■ 68 Radpanzer Pandur um sieben Millionen Schilling je Stück wurden bereits in Auftrag gegeben.

Angesichts eines eher bescheidenen Militärbudgets von etwa 20 Milliarden Schilling im Jahr, ist der Ausbau des Bundesheeres beachtlich. Neue, besser ausgerüstete Truppenverbände wurden aufgestellt: Die Aufklärungstruppe wurde mindestens verdreifacht, vier mechanisier-

te Jägerbataillone wurden geschaffen und sechs zusätzliche Panzerartilleriebataillone. Österreichs Generäle haben nunmehr keinen Grund, Minderwertigkeitskomplexe zu haben (siehe Majcen-Interview).

Doch ist die Wunschliste der Militärs noch lange nicht erfüllt. Sie verlangen nämlich bis zur Jahrtausendwende:

■ 1000 Radpanzer, Ersatz eines Teils der Schützenpanzer durch Kampfschützenpanzer.

■ Schwere Luftabwehrraketen (für Höhen über 3500 Meter).

■ Weiterreichende Panzerabwehrraketen.

■ Bewaffnete Hubschrauber (nicht zu verwechseln mit - wesentlich teureren - Kampfhubschraubern, die über keine Transportkapazitäten verfügen).

■ Neue Helme und Splitterschutzwesten für die Soldaten.

» Wilfried Schiffinger, Pressesprecher im Verteidigungsministerium, räumt allerdings ein, daß auch das Heer am Sparbudget knabbern müsse. Bei den nadpanzern würden auch 400 bis 500 Stück reichen. Mit einem Ersatz der schon jetzt veralteten Draken-Jagdbomber rechnet Schiffinger erst nach der Jahrtausendwende.

Österreich hat nun, von Deutschland, Italien und der Schweiz abgesehen, keinen Nachbarn mehr, der mit einer bedeutend größeren und stärkeren Armee angreifen könnte. Doch hartgesottene Militaristen propagieren in Militärzeitschriften und in Reden neue Bedrohungsbilder (siehe auch Fasslabend-Interview). Das neu entdeckte „subjektive Si-cherheitsgefühl” der Bevölkerung soll dort als Rechtfertigung herhalten, wo rationale Argumente fehlen.

Erweiterte Bedrohungen

Verteidigungsminister Werner Fasslabend sah Anfang 1993 Österreich in einer Randlage: „Die Alpenrepublik ragt wie eine ,westliche Halbinsel' in die europäischen Krisenregionen und wäre daher aufgrund ihrer exponierten Lage von Eskalationen jeder Art unmittelbar betroffen.” Oberstleutnant Herbert Bauer vom Militärkommando Tirol bezeichnete Österreich gar als „südöstlichen Frontetaat gegenüber einer Unzahl von Bedrohungen”” Ein Glück, daß Österreichs Nachbarstaaten solches Gerede nicht ernst nehmen. Außenminister Alois Mock hätte alle Hände voll zu tun, um den Schaden wieder gut zu machen.

Selbst namhafte Militärs rechnen nicht mehr mit einem direkten Angriff auf Österreich. Nicht einmal die (Rest)Jugoslawische Volksarmee hat je derartige Ambitionen an den Tag gelegt. Nun müssen „submilitärische Bedrohungsbilder” als sinnstiftende Klammer herhalten.

Nicht nur Terrorismus und Atomgefahren, technische Katastrophen, Umweltverschmutzung werden heraufbeschworen, sondern auch „Bevölkerungsexplosion in den Entwicklungsländern, extreme wirtschaftliche Unterschiede zwischen den Industriestaaten des Nordens und den Entwicklungsländern, die Gefahr von Energieknappheit, mögliche, gravierende Störungen des Weltklimas ...” und so weiter, werden von Minister Fasslabend an die Wand gemalt.

Fasslabend warnt vor dem „Entstehen eines Flächenbrandes”. Bloß: Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist aus keinem der rund 200 kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen und in Staaten ein „Flächenbrand” entstanden. Weil alles irgendwie mit allem vernetzt sei, würden uns auch entfernte Konflikte wie im Kaukasus bedrohen.

Feind Flüchtung

Kurz gesagt: Damit wir weiter im Wohlstand leben können, müssen wir uns die Menschen aus den Entwicklungsländern vom Leibe halten und uns den billigen Import von Rohstoffen von dort sichern. Fassl-aberid fordert die „Zusammenarbeit aller stabilen und prosperierenden Staaten Europas”.

Der Assistenzeinsatz an der österreichisch-ungarischen Grenze zur Abwehr unbewaffneter Zivilisten wird daher als logische Aufgabe gesehen. Pressesprecher Wilfried Schiffinger sieht keinen Platz für Zweifel: „Wollen Sie, daß 150.000 Menschen aus Bangladesch zu uns kommen?”. Und das, obwohl die vor Jahren von der „Kronen Zeitung” angekündigten ein bis vier Millionen Russen noch immer nicht an Österreichs Grenze angelangt sind.

Österreichs Nachbarstaaten

Tschechien, Slowakei, Ungarn, Kroatien und Slowenien übernehmen jedoch bereitwillig die Rolle des Vorpostens und schotten ihre Grenzen nach Osten beziehungsweise Süden ab, weil auch sie in die Europäische Union und in die NATO wollen. Obwohl das Innenministerium schon eine zivile Grenztruppe aufbaut und immer weniger Flüchtlinge an die gut bewachten Pforten klopfen, möchte das Bundesheer nicht auf seinen Einsatz an der Grenze verzichten.

Militärgegner haben eine Unterschriftenliste gestartet, in der die Soldaten an der Grenze aufgefordert werden, dem Befehl zum Einsatz an der Grenze nicht zu gehorchen. Schon 1.000 haben unterschrieben.

gegen rund 80 hat die Staatsanwaltschaft mit mäßigem Erfolg prozessiert.

Österreichs Jugend sieht immer weniger Sinn im Militär. Diverse Umfragen sprechen davon, daß zwei Drittel der Jugend den Militärdienst ablehnen. Peter Steyrer von der Arbeitsgemeinschaft Wehrdienstverweigerung und Gewaltfreiheit rechnet nicht damit, daß auch nach einer Verlängerung des Zivildienstes auf zwölf Monate die Jugend plötzlich zum bequemeren Übel Militär strömt.

„Kriegsmüde” Jugend

Steyrer stellt eine härtere Gangart der Militärs gegen militärunwillige Jugendliche fest. Mußten früher Studenten für einen Aufschub der Einberufung eine Inskriptionsbestätigung vorlegen, so müssen sie nun den Studienerfolg mit Zeugnissen nachweisen. Post- und Bundesbahnbedienstete werden auch nicht mehr ohne weiteres vom Militärdienst befreit Die von der Regierung willkürlich festgesetzte Planziffer von 34.000 Präsenzdienern dürfte doch gehalten werden.

Seit 1989 zeigt das Militär immer öfter Präsenzdiener nach dem Militärstrafgesetz an. Nach einem Tiefstand von 950 Anzeigen im Jahre 1989 setzte das Militär 1992 einen Höchststand mit 1238 Anzeigen. Jeder fünfzehnte Beklagte wird gar doppelt oder mehrfach wegen desselben Delikts angezeigt. Vier Fünftel der Verurteilungen werden wegen Fernbleibens vom Heer ausgesprochen. Diese Zahlen stammen nicht vom Militär, das sich beharrlich über die inneren Zustände ausschweigt, sondern kamen erst durch eine parlamentarische Anfrage an den Justizminister an das Licht der Öffentlichkeit.

Was fehlt, ist eine sachliche Auseinandersetzung über reale Gefahren und effektive, sprich möglichst kosten- und personalgünstige Abwehr dieser Gefahren. Das Bundesheer entzieht sich weiterhin einem offenen, demokratischen Diskurs. Von der Pressestelle des Verteidigungsministenums konnte die FURCHE nicht einmal zusammenfassendes Zahlenmaterial über Ausrüstung und Personalaufbau des Bundesheeres bekommen. Ausführliche, jährliche Berichte, wie wir sie von anderen Ministerien gewohnt sind, gibt es nicht. In einer Demokratie sollte die Rechenschaftepflicht gegenüber dem Volk als Souverän über die Verwendung von Steuergeldern auch für das Militär gelten.

Durch die ldeologisierung des Bundesheeres setzen Österreichs Militärs ihre Glaubwürdigkeit gehörig aufs Spiel.

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