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Angst vor den Ostiem
„Die Ostler nehmen uns die Arbeit weg, sind Kriminelle und versauen das Land. Am Gnadenort Mariazell (Pilger- stätte Mitteleuropas) versit- zen sie nur die Gasthaus- plätze ohne Konsultation."
„Die Ostler nehmen uns die Arbeit weg, sind Kriminelle und versauen das Land. Am Gnadenort Mariazell (Pilger- stätte Mitteleuropas) versit- zen sie nur die Gasthaus- plätze ohne Konsultation."
Ist das (Vorspann) die Stimme Österreichs, die so klagt? Ist die Forderung, hinaus mit den „Ostlern" und Visumpflicht für sie, das Ende unserer (Mittel)Euro- papolitik? „Die jüngsten Maßnah- men zur Eindämmung der Wander- bewegung aus Osteuropa nach Österreich sind im Lichte des Wahl- kampfes zu sehen" - so ein hoher Beamter des Außenministeriums zur FURCHE. Er ist der Meinung, daß man vor Einführung der Visa- pflicht für Polen beziehungsweise vor dem Einsatz des Bundesheeres an Österreichs Ostgrenze andere Maßnahmen setzen und deren Wir- kung abwarten hätte müssen - be- sonders was Schwarzhandel und Schwarzarbeit betrifft.
Nun habe Österreich in Polen
„viel Kredit verspielt". Die Glaub- würdigkeit vieler Politiker - allen voran Wissenschaftsminister Er- hard Busek - sei im Land an der Weichsel schwer erschüttert. Da- von konnte sich auch der Autor dieser Zeilen in vielen Telefonaten mit polnischen Freunden und Kol- legen überzeugen. „Jahrelang hat uns Busek ein Bild von offenen Grenzen und freiem Personenver- kehr gezeichnet. Die Vision eines neuen Mitteleuropa hat Busek an der innenpolitischen Wirklichkeit in Österreich, die er für sein per- sönliches politisches Schicksal natürlich nicht aus dem Auge las- sen darf, zerschellen lassen."
Am Dienstagabend vergangener Woche, nachdem der Ministerrat gerade die Visumpflicht für Polen beschlossen hatte, gaben Außenmi- nister Alois Mock und Steiermarks Landesvater Josef Krainer im Gra- zer Schloß Eggenberg einen Cand- le-light-Empfang für Österreichs Botschafter, die sich zu ihrer Herbstkonferenz in der steirischen Landeshauptstadt eingefunden hatten. Dabei nahmen beide Politi- ker den Mund voll über die positive Bedeutung der Öffnung in Osteu- ropa. „Leere Worthülsen", so der Kommentar eines Beobachters.
Wie sehen die Probleme an Öster- reichs Ostgrenze aus, über die Magyaren, Rumänen, Bulgaren, Türken, Libanesen, Kurden und Afrikaner ins Land strömen? Nach Angaben von Zollwachebeamten des Grenzüberganges Nickelsdorf im nördlichen Burgenland versuch- ten in den letzten Wochen täglich etwa 150 Personen illegal die Gren- ze zu überschreiten, an Wochenen- den oder an Feiertagen stieg diese Zahl auf bis zu 600.
Diejenigen, die vor dem Einsatz des Bundesheeres an Österreichs Ostgrenze über die sogenannte Grüne Grenze kamen, hat man - so sie einmal österreichisches Staats- gebiet betreten hatten - kaum mehr losbekommen. In den meisten Fäl- len hatten die Flüchtlinge ihre Ausweise, Pässe und dergleichen weggeworfen oder vernichtet. Die Abschiebung erwies sich damit als kompliziert, weil Ungarn nicht bereit war, Flüchtlinge zurückzu- nehmen, bei denen nicht klar war - und wie sollte es ohne Dokumente bewiesen werden? -, daß Ungarn eigentlich das Erstasyl-Land war.
Strafen oder Stempeleindrücke in Pässe mit Einreiseverweigerun- gen - meistens für fünf Jahre - haben auf Leute, die wirklich von ihrem Land wegwollen, keinerlei ab- schreckende Wirkung: Sowohl des Passes als auch des Strafbescheids kann man sich entledigen. So nütz- ten die 1.400 Schilling für illegale Grenzüberschreiter (entspricht etwa einem Monatsgehalt für Ost- flüchtlinge) oder die 10.000 Schil- ling Strafandrohung samt Fahr- zeugbeschlagnahmung für Schlep- per nicht viel.
Grundproblem der jüngsten Zeit - so der Bezirkshauptmannstellver- treter des vom Flüchtlings(un)- wesen am ärgsten betroffenen bur- genländischen Bezirkes Neu- siedl am See, Andreas Gold, zur FURCHE -
Ungarns, Flüchtlinge, für die das Land Erstasyl-Stätte war, wieder zurückzunehmen. Das habe sich - so Gold - jetzt etwas gebessert. Ungarische Behörden akzeptierten bei Fehlen eines Passes oder ande- rer Dokumente mittlerweile auch „Indizien" - beispielsweise Rech- nungen aus einem ungarischen Kaufhaus - als Beweise dafür, daß der betreffende Flüchtling aus Ungarn gekommen sei.
Die Zahl jener, die in Österreich Geld verdienen wollen - ob legal oder illegal -, ist derart im Steigen, daß die Behörde den Einsatz des Bundesheeres an Österreichs Ost- grenze sehr begrüßt. Julius Schu- ster, der Eisenstädter Bezirkshaupt- mann, spricht von etwa 100 bis 150 illegalen Grenzgängern pro Woche für seinen nordburgenländischen Bezirk. Er sieht im „Zurückschik- ken" der illegalen Grenzgänger die Hauptaufgabe des Bundesheeres. „Sonst hätte der ganze Einsatz ja keinen Sinn. Ist der Flüchtling erst einmal da, muß ja der ganze Behör- denweg ablaufen." Deswegen soll- ten die Soldaten in erster Linie die Flüchtlinge gar nicht ins Land las- sen, wo dies nicht gehe, sie festneh- men und der Gendarmerie vorfüh- ren. Die Aktion habe sich - so Schu- ster - bereits in den ersten Tagen als Erfolg erwiesen.
Ähnlich auch Andreas Gold in Neusiedl: „Der Bundesheereinsatz hat gefruchtet." Er hätte allerdings gerne, daß die Soldaten lässig, freundlich auftreten, damit der ganzen Aktion in den Augen der Bevölkerung eine gewisse Schärfe genommen werde. So mancher Burgenländer, der es vor kurzer Zeit noch gruselig fand, bei einem Un- garnbesuch durch schwerbewaff- nete Soldaten im Grenzbereich empfangen genommen zu werden, verabscheut den Anblick des Mili- tärs - diesmal auf der eigenen Seite der Grenze. An einem „Gemma Rumänen fangen" findet kaum jemand Gefallen - zumal sich der Burgenländer als gastfreundlicher Grenzlandbewohner versteht, der jahrzehntelang Flüchtlinge aufge- nommen, versorgt, beschäftigt und
nicht selten ganz gerne wieder weitergereicht hat.
Das mitleiderregende Bild vom verfolgten und hilflosen Flüchtling hat in jüngster Zeit im Burgenland einige schwarze Flecken bekom- men. Im Grenzbereich - faktisch ist das seiner Kleinheit wegen das gesamte Bundesland Burgenland - haben Diebstähle zugenommen. Hier und da findet ein zu früh auf den Parkplatz zurückgekehrter Autofahrer seinen PKW mit einem ausländischen Kennzeichen verse- hen vor. Und es ist auch schon vor- gekommen, daß ein Baby auf dem Gehsteig lag, weil „ein Ausländer" den Kinderwagen gestohlen hatte.
Das Überhandnehmen solcher Fälle ist es, was bei der Bevölke- rung Unmut und teilweise Angst ausgelöst hat; bei einer Bevölke- rung, die seit längerer Zeit arbeits- willige Ungarn und Polen ganz gerne zu Billiglöhnen für landwirt- schaftliche Arbeiten einsetzt. Viele burgenländische Weinbauern ha- ben polnische und ungarische Ar- beiter dringend nötig. Und auch auf dem Bau schaut es ähnlich aus. Arbeit zu Dumpinglöhnen - das hat vor nicht allzu langer Zeit ein Kommentator der „International Herald Tribüne" westlichen Unter- nehmern - auch als Heilmittel zur wirtschaftlichen Gesundung des Ostens - vorgeschlagen.
Ein ungeheures Angebot - Ar- beitswillige im Osten, die's auch einmal besser haben wollen - steht einer gewissen Nachfrage hier bei uns gegenüber. Es ist natürlich nicht so, daß „alle Ostler" wegwollen. Das Spiel mit der Angst davor - auch angesichts der bevorstehen- den Probleme mit einer Reisewelle aus der Sowjetunion nach Verab- schiedung des neuen Paßgesetzes -
ist Demagogie. Zahlen müssen her. Beispielsweise, wieviele „Auslän- der" - und vor allem woher - in Österreich straffällig werden. Denn momentan schaut's so aus, als ob jede Ausländer-Straftat selbstver- ständlich von einem „Ostler" be- gangen worden sei. Wenn es stimmt, was aus dem Innenministerium drang, daß der Ausländeranteil bei kriminellen Handlungen in Wien - wo dieser Anteil naturgemäß am höchsten unter allen Bundesländern ist - 18 Prozent und jener der Polen 4,5 Prozent beträgt, dann erscheint so manche abwehrende Aktion - zumal nichts anderes ins Auge ge- faßt worden zu sein scheint - als unverhältnismäßig überzogen.
Schafft die Einführung des Vi- sumzwanges nicht erst die Proble- me, die man damit zu bewältigen vorgibt? Die Zehntausenden Po- len, die noch vor Wirksamwerden der Visapflicht schnell nach Öster- reich einreisten, wo sie sich drei Monate lange aufhalten können, sprechen eine deutliche Sprache. Will man das soziale Gefälle zwi- schen Ost und West wirklich ab- bauen, und westliche Politiker reden ja andauernd davon, dann ist Aussperren der falscheste Weg.
Daß es bezüglich der Arbeits- möglichkeiten in Österreich ent- schieden „zu wenig Information" im ehemaligen Ostblock gegeben habe, das geben sowohl Gold ;n Neusiedl als auch Schuster in Ei- senstadt zu bedenken. Bezirks- hauptmann Schuster wörtlich: „Es wäre zweckmäßig, nicht allzu viele Hoffnungen in Osteuropa zu erwek- ken. Man sollte sagen, daß es kei- nen Sinn hat, nach Österreich zu kommen." Aber hat man nicht 40 Jahre lang den Menschen im Osten den Mund nach dem Schlaraffen- land Westen wäßrig gemacht?
Gold glaubt auch nicht an die Möglichkeit, durch Integrations- programme das Problem zu lösen. „Lohndumping durch die Auslän- der schafft nur Probleme mit den eigenen Leuten."
Man wird bezweifeln dürfen, ob sich der Visumzwang für Rumänen und Polen tatsächlich segensreich für Österreich ausgewirkt hat be- ziehungsweise auswirken wird. In Sopron (Ödenburg) in Westungarn haben „Fluchtbereite" bereits zu erkennen gegeben, daß sie, sollten sie nicht über das Burgenland nach Österreich kommen, es an der Südgrenze über Jugoslawien ver- suchen werden. Und es ist zu hof- fen, daß Österreichs Bundesheer nicht über kurz oder lang an der Nordgrenze zum Einsatz kommen muß, um Polen in ihr Erstasyl-Land - nämlich die CSFR - zurückzube- ordern.
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