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Verzweiflung als Geschäft

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Österreichs Sicherheitskräfte reagieren mit Re-kord-Aufgriffen von illegalen Einwanderern auf bayrische Kritik. Der grausamen Welt der Menschenhändler werden technische Lösungen aber nicht gerecht.

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Österreichs Sicherheitskräfte reagieren mit Re-kord-Aufgriffen von illegalen Einwanderern auf bayrische Kritik. Der grausamen Welt der Menschenhändler werden technische Lösungen aber nicht gerecht.

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Österreichs Exekutive setzt bei der laufenden Schwerpunktaktion dennoch ganz auf die technische Hilfe, die mit wenig Aufwand Atemluft hinter LKW-Planen und in Hohlräumen von Zugwaggons registriert. „Wir können uns von den Bayern ja nicht dauernd vorwerfen lassen, eine Emmentaler-Grenze zu haben”, begründet Rudolf Goljar, Sprecher von Innenminister Karl Schlögl, die „Aktion scharf”. Bayerns Innenminister Günter Beckstein hatte in der Vorwoche in der ZiB 2 bezweifelt, daß Österreich seine EU-Außengrenzen - ohne jene zur Schweiz sind es über 1.200 Kilometer - Schengen-konform kontrollieren könne. Das Schengener Abkommen sieht den Abbau der Grenzen zwischen den Unterzeichnerindern, darunter Deutschland und Osterreich, bei rigoroserer Kontrolle der Außengrenzen vor. Das Geplänkel Beckstein-Schlögl gibt einen Vorgeschmack auf kommende Schuldzuweisungen. Besonders Staaten mit langen Süd-küsten wie Spanien, Italien und Griechenland dürften den Abwehr-Druck ihrer EU-Partner zu spüren bekommen.

Bei seiner Österreich-Schelte kam Beckstein die Chronologie der Ereignisse zu Hilfe: Schon am 25. Eebruar wurden im bayrischen Grenzpolizei-Revier Passau 51 Kurden bei dem Versuch geschnappt, illegal nach Deutschland weiter -zureisen, am 8. März folgten 18 Personen in einem von Österreichs Behörden unbehelligten LKW.

Drei Tage; später schlagen Schlögls mit Nachtsichtgeräten, Fahrrädern und Wärmekameras ausgeschwärmte Beamte schwerpunktmäßig zu: Ein Gendarm der Mautstelle Schönberg am Brenner entdeckt unter dem Ladegut eines dicken Brummers 52 türkische Kurden. Tags darauf schnappen Grenzgendarmen im kärntnerischen Rosenbach 95 Personen, darunter ein fünf Monate altes Raby, nach zehntägiger Odyssee aus dem fernen Kurdistan. Das ist trauriger Österreich-Bekord.

Im Schnitt wurden in den ersten Wochen dieses Jahres pro Tag fast 30 Grenzgänger gefaßt, im Vergleichszeitraum des Vorjahres nur die Hälfte. Dabei hatten die Grenzkon trollore schon 1996 mit 9.940 Aufgriffen mehr Erfolg als im Jahr davor (6.168). Neben besserer Ausstattung der Grenz hüter setzt die Bundesregierung im Anti-Schlepper-Abschnitt des sogenannten „Integrationspakets” auf den seit März auf drei Jahre I laft erhöhten Strafrahmen und auf die Möglichkeit, ein entsprechend präpariertes Fahrzeug künftig aus dem Verkehr zu ziehen. Außerdem sollen geschleppte Asylsuchende offenbar dazu bewegt werden, ihre Verstecke schon an der Grenze zwecks Asylantrag zu verlassen. Das erleichtert die Bückschiebung in sogenannte sichere Drittstaaten. „AVir befürchten ein Pingpong-Spiel”, sagt Michael Chalupka, Direktor der evangelischen Diakonie, der die Lebensrealität der Betroffenen aus den jährlich 3.000 Gesprächen seiner Berater kennt.

„Asyl an der Grenze” verschließt die Augen vor der psychischen Situation der Migranten: So vertraut etwa jemand, der in seiner Heimat verfolgt wird und sich für teures Geld irgendwie raus- und nach Europa reinschaffen läßt, hier nicht dem erstbesten Uniformierten seine Fluchtgründe an. Die meisten Asylwerber stellen, einmal illegal eingereist, den Antrag erst irgendwo in Österreich. Sie werden nach Schlögls Plänen zu Schutzsuchenden zweiter Klasse. Denn ihnen soll das nun fürs Asyl-verfahren vorgesehene Aufenthaltsrecht „nur unter bestimmten Umständen gewährt werden”.

Nicht immer haben die Geschleppten Asylgründe. Doch auch wenn sie wegen der persönlichen wirtschaftlichen Misere in Ost- und Südosteuropa oder dem Chaos krimineller Bandenkriege in Liberia nach Europa kommen, verausgaben sich die meisten, um die geforderten bis zu 100.000 Schilling pro Person zu zahlen. „Die haben ihr letztes 1 Iemd hergegeben. Die müssen ja triftige Gründe gehabt haben”, meint Melita Sunjic, Sprecherin des UN-Flüchtlingshochkommissärs in Wien, und fordert Interesse für „das dahinterlie-gende Schicksal dieser armen, geknickten Menschen”. Oft machen sie für den Schritt in ein erträumtes besseres Leben Schulden bei Verwandten. „Das macht es noch schwerer für sie, wieder zurückzugehen”, berichtet Chalupka von der „Scham, als Versager zu gelten”.

Nicht eben besser geht's jenen, die sich von einer kriminellen Organisation auf Pump hereinbringen lassen. Das scheint vor allem ethnisch wie sprachlich Isolierte, also etwa

Chinesen, aber auch junge Frauen aus Lateinamerika und Osteuropa zu betreffen. Mit kolportierten sklavenähnlichen Arbeiten und Prostitution müssen sie die Schulden für den Transport oft über Jahre abarbeiten. Versprechungen von lukrativer Arbeit etwa als Tänzerin hatten sie in eine Abhängigkeit gelockt, in der sie mit psychischem Druck, Gewalt und der angedrohten Anzeige bei den Behörden gehalten werden.

Wenn Verzweiflung der einen sich mit der Skrupellosig-keit der Schlepper-Netze paart, endet das nicht selten tödlich: „United”, eine Nicht-Regie-” rungsorganisation (NGO) für Migranten und Flüchtlinge mit Sitz in Amsterdam, listet aus Berichten von Hilfsorganisationen und Medien die Todesopfer auf: seit 1993 über 700, zum Teil nationalitäten-und namenlose, Verzweifelte. Ghanesen erstickten auf einem Frachtschiff in Frankreich an Pestiziden, Türken erfroren, aus Tschechien kommend, im deutschen Erzgebirge. Der dramatischste Fall ereignete sich am vergangenen Christtag bei Malta, als 280 Pakistani, Srilankesen und Inder bei einer Schiffskollision umkamen.

Ob das Geschäft mit dem Transport Illegaler nach Österreich tatsächlich boomt - allein bei den Aufgegriffenen wird jährlich knapp eine Milliarde kassiert —, läßt sich mangels ausreichender Zahlen aus dem Innenministerium nicht klären. Dennoch teilen viele Experten den Eindruck eines hohen niederösterreichischen Sicherheitsbeamten, der nicht genannt werden will: „Der Zu- . wanderungsdruck ist momentan gigantisch.”

Das ist plausibel, hat sich doch die Abkapselungspolitik der Schengen-Unterzeichner mittlerweile herumgespro- , chen. Und neue Gesetze bieten Schleppern Gelegenheit für neue Werbefeldzüge oder Preiserhöhungen. So erwies sich eine Legalisierungsaktion für längst in Spanien lebende Fremde als Marokkaner-Magnet (FlJRCHK 45/96). Auch Schengen ist auf dem Weg, ein solcher Pull-Faktor, wie das die Migrationsforschung nennt, zu werden. „Wir sind besorgt”, sagt etwa Diakonic-Chef Chalupka, „daß wir mit immer rigoroserer Kontrolle immer mehr Abschottung produzieren. Diese Politik hat durchaus ihren Anteil am Ansteigen der organisierten Kriminalität, weil man anders gar nicht mehr hereinkommt in dieses Europa.”

Selbst bei der Exekutive setzt sich langsam die Erkenntnis durch, daß Europa die Verzweifelten nicht aussperren kann. „Lückenlose Überwachung wird nicht möglich sein”, sagt der Spitzenbeamte aus Niederösterreich, „außer wenn wir einen Eisernen Vorhang mit Selbstschußanlagen machen.” Nachsatz: „Aber selbst da sind immer wieder welche rübergekommen.”

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