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Übersiedlung vom Trauma ins Chaos
Nach dem Friedensschluß scheint das Problem Bosnien abgehakt - aber nur für jene, die die Details nicht bedenken, vor allem die Frage: Was erwartet die Heimkehrer zu Hause?
Nach dem Friedensschluß scheint das Problem Bosnien abgehakt - aber nur für jene, die die Details nicht bedenken, vor allem die Frage: Was erwartet die Heimkehrer zu Hause?
Erstens kann das niemand in diesem Moment so ganz genau voraussagen, denn jeder individuelle Fall wird anders sein. Zweitens aber wird es ganz sicher in den allermeisten Fällen die größten Probleme in bezug auf Dach über dem Kopf, Arbeitsplatz, Einkommen, Krankenversicherung et cetera geben. Drittens wird sich das Problem der Nachbarn stellen: Wer sind sie? Was taten sie während des Krieges? Viertens - und das wird wahrscheinlich das größte Problem sein - muß sich der Rückkehrer zu einer der drei „Ethnien" bekennen.
Lebte er vorher als Moslem, Serbe, Kroate neben und miteinander den anderen, so wird im künftigen Dayton-Bosnien jeder Teilstaat darauf bedacht sein, so viele Mitbürger wie möglich als „seiner Nation" zugehörig zählen zu können. Was aber dann mit jenen Familien - vor dem Krieg waren es drei Viertel der ganzen Bevölkerung - die „gemischt" sind? Wird es Bürger „zweiten und dritten Grades" geben?
Fünftens wird es in zahlreichen Fällen vorkommen, daß diejenigen, die die ganzen Kriegsjahre an Ort und Stelle blieben, die für die Heimat gekämpft und gelitten haben, die Rückkehrer mit scheelen Augen ansehen weil sie glauben, daß das Flüchtlingsdasein im Westen leicht war
Es ist in den letzten Wochen bereits vorgekommen, daß österreichische Behörden Asylansuchen abgelehnt haben mit der Begründung: Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens sei damit zu rechnen, daß in Bosnien-Herzegowina nun Frieden herrscht, darum müsse der Antragsteller innerhalb von 14 Tagen in seine Heimat zurückkehren. Bei solchen Entscheiden wurden keine Rücksichten genommen auf individuelle Details wie Gesundheitszustand, Familienzusammenführung, Garantieerklärung oder Heimatort in Bosnien.
Selbst wenn erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden kann, daß in Härtefällen solche „Abschiebungen" rückgängig gemacht werden können, so zeugen sie doch grundsätzlich von einer ebenso leichtfertigen wie inhumanen, ja zynischen Grundhaltung der Exekutoren der Gesetze gegenüber Menschen in Not. Nie verläßt ein Mensch seine Heimat ohne triftigen Grund, immer erst dann, wenn es keine andere Alternative mehr gibt.
Die Vertriebenen und Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, die in Osterreich — oder in einem anderen Land -Aufnahme fanden, sind ohne Ausnahme zutiefst traumatisiert. Da sind die Erlebnisse, die zur Vertreibung oder zum verzweifelten Entschluß zur Flucht ins Unbekannte führten, dann die dramatischen Erfahrungen an Grenzen mit Polizei, Schleppern, mit Behörden auf dem Weg in Auffanglager, der oft viele Monate währende Aufenthalt in solchen Unterkünften. Dazu kommt dann die jahrelange Existenz in totaler Isolierung, verurteilt zur Untätigkeit, ohne klare Informationen über Zukunftsperspektiven. Viele der Menschen leben nun seit Jahren ohne einen Heller Taschengeld (zumindest in Österreich), angewiesen auf Almosen.
Als Schwarzarbeiter werden sie aufs äußerste ausgenutzt (20 bis 40 Schilling Stundenlohn) und von Ärzten oft in unglaublicher Weise vernachlässigt (von anderen hervorragend betreut). Auf Gedeih und Verderb sind sie privaten „Wirten" ausgeliefert (kein Flüchtling kann sich weder direkt noch bei zuständigen Behörden beklagen, denn er fürchtet Repressalien) deren Verhaltensweisen gegenüber den Ungebetenen, aber meist lukrativen Gästen höchst unterschiedliche moralische Normen aufweisen: Alle diese Erfahrungen zusammen haben tiefe Traumata bei den Betroffenen hinterlassen.
Sehr häufig treten die psychischen und physischen Krankheitserscheinungen in diesem Zusammenhang erst jetzt - oder noch später - zutage. Jeder von diesen Menschen ist ein Patient, auch jene, die sich scheinbar trotz allem eine mehr oder weniger unabhängige Existenz im Gastland verschaffen konnten.
Eine von den Gastländern geplante kollektive „Rückführung" in das was einmal ihre Heimat war, wäre ein neuerliches Trauma für die Flüchtlinge. Wer kann erwarten, daß solche Rückkehrer den unglaublich schweren Aufgaben, die ihnen bevorstehen, gewachsen sein könnten? Wie sollen sie konstruktive Elemente einer ganz neu zu gestaltenden Gesellschaft werden können? Auch die Bür-ger, die nicht geflüchtet sind, oder die innerhalb der Grenzen Bosnien-Herzegowinas als Flüchtlinge blieben, sind selbstverständlich traumatisierte Opfer des Krieges - aber ihnen wird jetzt zuerst geholfen, für sie werden die ersten Unterkünfte und Existenzgrundlagen finanziert.
Am 26. Jänner wollen die Innenminister' Deutschlands über die „Bückführung der Bürgerkriegsflüchtlinge" (so die offizielle Bezeichnung in Deutschland, obwohl international festgehalten wurde, daß es sich eben nicht um einen Bürger-, sondern um einen Aggressionskrieg gegen die Zivilbevölkerung handelt) beraten.
Man muß hoffen, daß Österreich einen Innenminister hat (oder haben wird), der sich einer solchen Tendenz nicht anschließt, sondern seine Verantwortung darin sieht, in erster Linie den Flüchtlingen zur Rückkehr -nicht Rückführung - finanzielle und moralische Hilfe anzubieten, und zwar nur jenen, die genau wissen, wohin sie wollen und können. Darüber hinaus aber sollte die Aufgabe der geplante Reratungsstelle für die Flüchtlinge, unter denen derzeit eine enorme Unruhe ausgebrochen ist, die von Euphorie bis zur Ritterkeit über den Verlust der wahren Heimat, der eigentlichen Identität reicht, darin bestehen, daß zur Geduld aufgerufen wird.
Ein wesentliches Element für das Verhalten Österreichs in dieser neuen Situation sollte aber auch sein, daran zu denken, welches Rild, welche Erinnerung an Österreich die Flüchtlinge mit sich in die „Heimat" tragen.
Die Autorin ist
Initiatorin und Leiterin des „Kulturni Center" für bosnische Flüchtlinge in Österreich Sie ist seit einem Jahr tätig und hat sich zur Aufgabe gesetzt, durch Kommunikation und kulturelle Angebote die Flüchtlinge aus ihrer Isolation und Perspektivelosigkeit herauszuführen.
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