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Flüchtlinge und Asylrecht in Österreich

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Als der ungarische Staatsangehörige Tibor Zergenyi, Bediensteter der in Österreich als Privatbahn geltenden ungarischen Linie Raab—ödenburg—Ebenfurth am Dannerstag, dem 19. September, in Eisenstadt erschien, um den Mitgliedern der ungarisch-österreichischen Grenzkommission aus freien Stücken zu erklären, sein „Fluchtversuch sei nur eine „b'soffene G'schicht" gewesen, wollte man diese Version des „brutalen Menschenraubs von Wallern" in der Öffentlichkeit kaum glauben. Zu oft kommt es an den Ost- und Nordgrenzen Österreichs zu Tragödien, die allein schon deshalb nicht bagatellisiert werden dürfen, weil Maschinenpistolen sprechen und Menschen getötet werden. Manchmal glückt eine Flucht, manchmal scheitert sie an der Wachsamkeit der kommunistischen Grenzer, manchmal endet ein Fluchtversuch nur deshalb fragisch, weil auf österreichischer Seife die Grenze nur ungenügend bewacht ist.

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Als der ungarische Staatsangehörige Tibor Zergenyi, Bediensteter der in Österreich als Privatbahn geltenden ungarischen Linie Raab—ödenburg—Ebenfurth am Dannerstag, dem 19. September, in Eisenstadt erschien, um den Mitgliedern der ungarisch-österreichischen Grenzkommission aus freien Stücken zu erklären, sein „Fluchtversuch sei nur eine „b'soffene G'schicht" gewesen, wollte man diese Version des „brutalen Menschenraubs von Wallern" in der Öffentlichkeit kaum glauben. Zu oft kommt es an den Ost- und Nordgrenzen Österreichs zu Tragödien, die allein schon deshalb nicht bagatellisiert werden dürfen, weil Maschinenpistolen sprechen und Menschen getötet werden. Manchmal glückt eine Flucht, manchmal scheitert sie an der Wachsamkeit der kommunistischen Grenzer, manchmal endet ein Fluchtversuch nur deshalb fragisch, weil auf österreichischer Seife die Grenze nur ungenügend bewacht ist.

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Die Öffentlichkeit erfährt nur von solchem Fällen, in denen die Flucht entweder gelungen oder aber unter dramatischen Umständen gescheitert ist. Wieviele Fluchittnagödiien aber sind ibloß deshalb nicht bekannt geworden, weil man hinter scheinbar harmlosen Vorgängen aus Gedankenfaulheit oder mangelnder Hilfsbereitschaft nichts anderes vermuten will als „b'soffene G'schddhiben“, in die man sich besser nicht einmischt?

Um eine klare Rechtsstellung

Folgende Thesen können kaum widerlegt werden:

1. Es gibt in den kommunistischen Ländern noch immer Menschen, die — wenngleich politisch kaum engagiert — dem System ihrer Heimat entfliehen wollen und dafür auch schwere Risken auf sich nehmen. (Für normal denkende Menschen eine Selbstverständlichkeit, die nicht besonders erwähnt werden müßte, gäbe es in manchen Amtsstuben nicht eine Mentalität, wonach jeder Flüchtling ohnehin nur ein leichtfertiger Abenteurer ist.)

2. Nach wie vor stehlt „Republikflucht“ in den kommunistischen Staaten (dies gilt für Jugoslawien und neuerdings für die CSSR nur noch sehr bedingt) unter schwerer Strafdrohung. Selbst die Vorschubleistung wird geahndet, da sonst kaum eigene Landsleute, ja manchmal sogar Kollegen utad Freunde, mit offener Gewalt gegen Flüchtlinge vorgingen.

3. Manche österreichische Beamte stehen in einem derart guten Verhältnis zu ihren Kollegen von „drüben“, daß sie eher deren Beteuerungen als den eigenen Beobachtungen folgen, wenn sie dadurch Schpre-( reien ersparen zu können glauben.

4. Wenn jedoch eine,.Flü(hüiugs- tragödie offenbar wird, gilt die ungeteilte Sympathie sowohl der Zivilbevölkerung als auch der mit dem Fall befaßten Beamten den Flüchtlingen.

Handelt es sich beim Fall des Heizers Zergenyi um eine Bagatelle, die außer zwischenstaatlichen nur strafrechtliche Konsequenzen nach sich zog, so folgt einer echten Flucht außer den persönlichen Nöten des Betroffenen noch eine Reihe komplizierter anderer Probleme.

Die Vereinten Nationen, denen, oft nicht zu Unrecht, in vielen ihrer Agendem Versagen nachgesagt wird, haben auf dem Gebiet des Flüchtlingswesens Enormes geleistet. Österreich ist, noch bevor es den Staatsvertrag und damit seine volle Souveränität errang, mit Wirkung vom 30. Jänner 1955 der im Juli 1951 in Genf verabschiedeten Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge beigetreten. Damit hat es sich der Pflicht unterworfen, Flüchtlingen eine besondere Rechtsstellung einzuräumen, die der Rechtsstellung von Inländern nahezu gleichkommt. Die Schwierigkeit liegt nun darin zu ermitteln, wer als Flüchtling

im Sinne der Genfer Konvention anzusehen ist. Diese Schwierigkeit wurde bis heute noch nicht restlos überwunden.

Allerdings ist es dem Vorgänger des jetzigen Innenministers, dem Tiroler Staatsanwalt Dr. Franz Hetzenauer, gelungen, Durchführungsbestimmungen für die Anwendung der Genfer Konvention zu erarbeiten, die heute — 13 Jahre nach der Ratifizierung dieser Konvention — die Rechtsstellung des Asylwerbers bis zur Anerkennung als sogenannter Konventionsflüchtling erheblich verbessern. Bis zur Verabschiedung dieses „Bundesgesetzes vom 7. März 1968 über die Aufenthaltsberechtigung von

Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55 1955“ wurden Asylwerber nach den (naturgemäß diskriminierenden) paß- und fremdenpolizeilichen Vorschriften behandelt. Es kam — besonders unter dem Innenminister Franz Olah — zu schweren Pannen, die für ęiie Betroffenen oft jahrelangen Kerker, in einem Fall nachweislich sogar Tod bedeuteten.

Legistische Vorarbeiten

Zwei Zeitungen — der katholische „Volksbote“ und das damals noch existierende „Neue Österreich“ — nahmen sich dieser Pannen kritisch an, was dazu führte, daß Bundeskanzler Dr. Josef Klaus, der damalige Staatssekretär im Innenministerium Franz Soronics und unter solch massivem Druck auch Minister Franz Czettel die Zügel strafften: Im Innenministerium

wurde ein sogenannter Asylbeirat geschaffen, der Wiener Vertreter des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge wurde mehr als bis dahin herangezogen, die Arbeiten für das erwähnte Durchführungsgesetz wurden energisch aufgenommen.

Vieles wendete sich zum Besseren. Schon 1966 erhielt der Bundeskanzler die höchste Auszeichnung für Verdienste um das Flüchtlingswesen, den Fridtjof-Namsen-Ring.

Als im Frühjahr 1966 der UN-Flüchtlingshochkommissar, Prinz Saddrudin Aga Khan, Wien besuchte, besprach Dr. Hetzenauer mit ihm seine Vorstellungen über das Konventionsdurchführungsgesetz und fand für seine Zielsetzungen nicht nur Verständnis, sondern auch Anerkennung für die Weitherzigkeit der beabsichtigten Bestimmungen. Das Ministerium, allen voran Staatspolizeichef Dr. Oswald Peterlunger, dem vielfach die zumindest mittelbare Schuld an früheren Flüchtlingspahnen zugeschrieben wird, erledigte nunmehr mit zähem Eifer die legistischen Vorarbeiten, und am 6. Juni 1967 konnte der Gesetzesentwurf dem Ministerrat zur Verabschiedung vorgelegt werden. Peterlunger war es auch, der unter Hetzenauer und Soronics persönlich initiativ komplizierte Einzel-

fälle zum Besten für die betroffenen Flüchtlinge wendete.

Nicht mehr hinter Gittern

Der entscheidendste Fortschritt im neuen Gesetz über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen besteht darin, daß dem Asylwerber während des Feststellungsverfahrens Parteienstellung im Simne eines ordentlichen Verwaltungsverfahrens zukommt. Früher — das wurde bereits kurz angedeutet — war er ein sich illegal in Österreich aufhaltender Ausländer, dem kein gesetzlicher Rechtsschutz zustand. Früher — die Eliminierung dieser Praxis ist ein weiterer Fortschritt des neuen Gesetzes — erhielt der Flüchtling keineswegs eine Aufenthaltsbewilligung, sondern vielmehr sofort ein Aufenthaltsverbot, das lediglich durch einen Exekutionsaufschub gemildert war. Dieser Exekutionsaufschub lief oft und oft ab, ehe noch das Feststellungsverfahren abgeschlossen war. Entwürdigende Verhöre, Betteleien, Vorladungen, Untersuchungen und so weiter waren damn notwendig, um einen neuerlichen — abermals befristeten — Exekutionsaufschulb des Aufenthaltsverbotes zu erwirken.

Da nunmehr das Flüchtlingsfeststellungsverfahren ein ordentliches Verwaltungsverfahren ist, steht dem Asylwerber jetzt der volle Instanzenzug offen, sollte er sich durch eine Entscheidung geschädigt fühlen. In jeder Instanz muß der Vertreter des Flüchtlingshochkommissars angehört werden. Auch die Beiziehung eines Dolmetsches in allen Phasen des Verwaltungsaktes wurde nun zur gesetzlichen Norm. Weiters muß der Asylwerber während des Feststellungsverfahre'ns nicht mehr in Schubhaft genommen werden.

Anders ausgedrückt: Der Asylwer- ber, der früher die Entscheidung praktisch im Gefängnis (meistens im Lager Traiskirchen) abwarten mußte und damit die erste Bekanntschaft mit der freien Welt paradoxerweise hinter Gittern machte, ist heute tatsächlich ein freier Mensch mit einem Ausweis, der ihm schwarz auf weiß den Aufenthalt in Österreich gestattet.

Trotzdem entspricht auch die jetzige Regelung noch nicht dem Ideal. Noch immer wird die Eigenschaft als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention nicht von unabhängigen Richtern festgestellt, sondern von weisungsgebundenen Beamten. Dies führt zur Entwicklung einer Routinepraxis, die im einzelnen Asylwerber den „Fall“ und kaum mehr den Menschen mit seinem persönlichen Schicksal sieht. Noch immer ist es für den Flüchtling schwierig, während der Dauer des Feststellungsverfahrens außer der Aufenthalts- auch eine Arbeitsbewilligung zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zu erlangen, wenn zum Beispiel die Fremdenpolizei gemäß Paragraph 10 Abs. 2 Ziff. 2 der Verordnung über ausländische Arbeitnehmer vom 23. 1. 1933, DRGB1. I S 26 „Bedehken“ äußert. Daß dies nicht nur ein theoretischer Einwand ist, sondern in der Praxis tatsächlich zu Komplikationen führen kann, bewies erst jüngst wieder ein Fall, der dann allerdings durch

das persönliche Eingreifen des schon genannten Sektionschefs Dr. Peterlunger positiv erledigt wurde. Auch wird gerne zwischen politischen und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden, obwohl diese Differenzierung keineswegs den Normen der Genfer Konvention entspricht. Flüchtling im Sinne der Konvention ist nämlich, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen “ Nirgends ist festgelegt, daß diese Verfolgung nicht auch in einer wirtschaftlichen Diskriminierung liegen könnte, wie etwa in der Ver- hä'ngung eines Arbeitsverbotes, Studienverbotes oder im Zwang, einen bestimmten — und keinen anderen — Beruf auszuüben.

Touristen oder Flüchtlinge?

Als in der Nacht vom 20. auf 21. September Truppen von fünf Warschauer-Pakt-Staaten in die CSSR einmarschierten, war Österreich auf einen ähnlichen Flüchtlingsstrom wie 1956 aus Ungarn gefaßt. Ein Ostblockdiplomat äußerte erst vor wenigen Tagen die Meinung, daß es tatsächlich zu einem solchen Flüchtlingsstrom gekommen wäre, hätten die Invasionstruppen erst Monate später den Einmarschbefehl erhalten. Nach Meinung dieses Diplomaten hätte nämlich die „Konterrevolution“ in der CSSR bis dahin derartige Fortschritte gemacht, daß es zu Kämpfen gekommen wäre. Dies wlfederttin hätte feihe erige Päralfeltf zum Ungarn des Jahres 1956 hergestellt.

Polizei, Gendarmerie, Rotes Kreuz, V erkehrsministerium, Flüchtlingshilfsorganisationen und so weiter waren vorbereitet Tatsächlich kamen lediglich an die 2000 Asylwerber, wenn sich auch zeitweise bis zu 30.000 Tschechen und Slowaken in Österreich aufhielten. Wieviele von ihnen in anderen Ländern Asylansuchen stellten, kann zur Zeit noch nicht einmal geschätzt werden. Es ist jedenfalls eine erkleckliche Zahl. Nicht nur das österreichische Volk, auch die österreichischen Behörden verhielten sich in diesen Tagen vorzüglich. Die Ansuchen tschechischer und slowakischer Asylwenber wurden und werdem bevorzugt behandelt. Es ist kein einziger Fall bekanntgeworden, in dem sich Behörden unrichtig oder auch nur ungeschickt verhalten hätten. Allerdings — und hier müßte raschest Abhilfe geschaffen werden — führt paradoxerweise die weltweite Auf- nahmebereitsehaft für Flüchtlinge aus der CSSR zu einem schwerwiegenden Nachteil für eine nicht unbeträchtliche Zahl von Flüchtlingen:

Die kanadischen und australischen Einwanderungsbehörden helfen rasch. Innerhalb weniger Tage können Flüchtlinge per Flugzeug nach Australien oder Kanada gebracht werden. Diese Flüchtlinge stellen ihr

Asylansuchen erst im Aufnahmeland, da sich das Verfahren in Österreich über den Abreisetermin hinziehen würde.

Nun — nach der ersten spontanen Hilfsbereitschaft — wird von Behörden, offiziellen und offiziösen Stellen nur noch solchen Flüchtlingen Quartier gegebem, die um Asyl angesucht haben, da es sich sonst rechtlich um „Touristen“ handelt, die keiner karitativen Unterstützung bedürfen. Auswanderer nach Kanada oder Australien stehen daher praktisch bis zu vier Wochen auf der Straße, sirid'JIge WM en, höfen oder auf Parklbänken zu schlafen. Eine Weisung ddš

Ressortchefs oder ein entsprechendes Ersuchen von höchster Stelle an die hierfür vorhandenem Organisationen würde sicher von Erfolg begleitet sein. Raum steht zum Beispiel im Wiener Arsenal genügend zur Verfügung.

Solange es auf der Welt Krieg gibt, wird es das Flüchtlingsproblem geben. Nicht nur das: Solange es totalitäre Regime gibt, wird es Menschen geben, die diesem Regime für immer den Rücken kehren wollen. Österreich befindet sich am Rande des Einflußbereichs der größten totalitären Weltmacht. Österreich hat daher nicht nur die durch den Beitritt zur Genfer Konvention völkerrechtlich deklarierte, sondern darüberhinaus die zutiefst menschliche Pflicht, Verfolgten die offene Hand entgegenzustrecken. Es sollte nicht immer der spektakuläre Aufmarsch sowjetischer Panzer sein müssen, der Behörden und Bevölkerung des freien Österreich zu Musterknaben in Hilfsbereitschaft macht. Viel wichtiger — freilich auch viel unbedankter, weil unbekannter — ist es, jenen Menschen jeder, zeit die Tür zu öffnen, die „zwischendurch“ — sei es mit einem Reisepaß legal, sei es unter dramatischen Umständen illegal — die Freiheit suchen. Erst wenn das Selbstverständlichkeit sein wird, haben wir das Lob der Welt für unsere Haltung wirklich verdient.

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