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Flchtlingsnot an osterreichischen Turen

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Die wenigsten Österreicher haben eine Vorstellung, was sich an den steirisch-bur-genländischcn Grenzen gegen Jugoslawien gegenwärtig seit einigen Wochen begibt. Weg mit dem Vorhang: Jeder soll es wissen und bedenken können, ob er nicht so oder so helfen kann. Menschlichkeit, praktisdies Christentum sind aufgerufen.

Zunächst die Vorgeschichte:

Die sogenannten Volksdeutschen des Banats und der Batsdika wurden in Jugoslawien nach der Verjagung der deutschen Besatzungstruppen — genau so schuldig-schuldlos in ihrer Masse wie Polen und Slowenen zur nationalsozialistischen Zeit — von Haus und Hof vertrieben und in Sammellager gepfercht. Dort vegetieren sie seit fast drei Jahren und nationaler Haß, Seuchen und Hunger haben jährlich tausende Opfer gefordert. Nunmehr will sich Jugoslawien ihrer entledigen, da eine interalliierte Kommission vor einigen Monaten einige Lager besichtigt und auf menschlichere Behandlung und ordungsgemäßc Durchführung der Umsiedlung zu einem noch zu vereinbarenden Zeitpunkt gedrungen hat. Hiedurdi würden dem Staate natürlich Kosten entstehen, während er bis jetzt die Arbeitskraft der Volksgruppe ungehindert bis zur Erschöpfung ausnützen konnte. Deshalb werden laufend aus allen Lagern Transporte in zwei große Sammellager unmittelbar an der ungarisdien Grenze durchgeführt, wo den Insassen durch mangelhafte Bewachung ausreichend Gelegenheit zur Flucht geboten wird. Diese Umstände erklären das starke Anschwellen des Flüchtlingsstromes in den letzten Wochen.

Abenteuerlich und gefährlich * ist der Marsch der Tausende ohne gültige Dokumente in einer Welt der Grenz- und Zonensperren, der hundert Ausweise und Fragebögen. Eigentlich haben sie ja keine Existenzberechtigung; ihre Papiere sind ja nicht in Ordnung. Und wenn sie zehnmal nachweisen können, daß in Steiermark, Obcrösterreich oder Bayern seit Jahren ihre Angehörigen auf sie warten, ihre Söhne und Männer, die dort schon längst einen Arbeitsplatz gefunden haben.

Wie ist nun die tatsächlich Situation an den Grenzen? Staats Die Verwaltung der „Furch e“ i bereit, Geldspenden zugunsten bedürftiger Flüchtlinge entgegenzunehmen. Die Redaktion des Blattes hat mit einem Betrag von 300 S den Anfang gemacht. Die eingehenden Betiäge werden einer der einsetzenden Hilfsaktionen zugewiesen werden. grenze und steirische Landesgrenze sind von unserer Gendarmerie verstärkt bewacht und streng versperrt. Trotzdem infiltrieren jede Nacht hunderte Flüchtlinge. Im,Mai wurden im ganzen Burgenland auf sie Streifjagden gemacht und die Aufgespürten über di Grenze zurückgewiesen. Erst jene, die unter tausend Ängsten und Fährnissen in langen, beschwerlichen Naditmärschen steirischen Boden errcidit hatten, waren relativ in Sicherheit, denn dort gibt es bereits seit geraumer Zeit Registrierstellen, Sammellager und eine geordnete Flüchtlingsfürsorge. Seit Anfang Juni hat man aber auch im Burgenland die Zwecklosigkcit der Menschenjagden teilweise eingesehen und die Arbeitsämter weisen häufig Flüchtlinge als landwirtschaftliche Arbeitskräfte ein. Es bleibt die Schwierigkeit des Passierens der verschiedenen Grenzen, wobei örtliche gewissenlose Führer die Flüchtlinge oft um ihre letzten Barmittel oder Habe bringen.

Und was nun mit diesen Armen? Wir sind in aller unserer Armut gegenüber diesen habelosen Flüchtlingen noch reich. Wären sie, soweit sie überhaupt in Österreich bleiben wollen, wirklich nur unnütz Mitesser? Fehlen uns nicht 70.000 Landarbeiter? Und diese Batsdika- und Banater Sdiwabcn sind ein erprobtes Bauernvolk, das zuzupadeen versteht und gerne arbeitet. Es ist eine rein menschliche und christliche Pflidit der Nächstenliebe, sich dieser Opfer europäischer Barbarei und nationalen Wahnwitzes anzunehmen; es ist auch eine Sühne für jene Untaten, an denen auch Menschen unseres Volkes beteiligt waren und denen wir sdiweigend zusehen mußten. Darüber hinaus besteht aber noch eine besondere Verpflichtung, die sidt daraus ergibt, daß diese Volksgruppe vor zwei Jahrhunderten von Österreich an der Südgrenze der Monarchie zum Schutz und Nutzen Österreichs angesiedelt wurde und mit uns gleichspradiigen Österreichern der Alpenländer die Großtaten und Leiden unserer Geschichte geteilt und unsere österreichische Kultur mitbegründet hat. Auf keinen Fall geht es an, diese Menschen, die kein anderes End- oder Durchgangsziel haben können als Österreich, stur nach dem geltenden Gesetz von den Grenzen zu jagen, die Hände in Unsdtuld zu waschen und dem lieben Nadibarn zuzurufen: Seht ihr zi! Ihr Blut kommt über eudi!

Vielleicht könnte man aber gegenüber dem unabwendbaren Fiüditlingsstrom doch etwas mehr tun, als amtliche halbabweisende Duldung. Wahrheitsgemäß muß gesagt werden, daß sich die österreichische

bauerliche G r e n z b e v ö 1 k e r u n g gegenüber den Unglücklichen hilfreich benimmt und, soweit sie kann, mit Gastlichkeit nicht spart. Aber es müßte mehr Ordnung in diese Bewegung gebradit werden. Vielleicht könnte das Rote Kreuz und die Karitas an den wichtigsten Punkten helfend eingreifen. Vor allem aber dürfte der örtliche Klerus vor dem Problem nicht die Augen schließen. Diese Menschen sind für jedes gute Wort, für jeden Ratschlag dankbar, sie haben durch drei Jahre oft keinen Priester gesehen und keinen Gottesdienst gehabt. Ihre Not hat sie tief erschüttert und in ihrer bäuerlichen Frömmigkeit aufgewühlt, sie suchen den Sinn ihrer meist unverschuldeten Leiden, Trost, Flalt und Sinn für die Zukunft. Sollten sie nicht am Tor der Freiheit, wenigstens von den Priestern Christi und den Kündern seiner frohen Botschaft, empfangen und geleitet werden? Genügt da der Beamtenpfarrer, der sein Amt korrekt verwaltet? Ein hochwürdiger Herr, dessen Kloster einem solchen Flüchtlingslager auf zwanzig Meter gegenüberlag, gab mir auf die Frage, ob man sich um diese Menschen ein wenig kümmere, zur Antwort: „Wer kommt, wird bedient. — Für mehr haben wir keine Zeit — und außerdem weiß man auch nicht, ob das den Behörden genehm wäre.“ Ist das nicht zuwenig nadi zwei Weltkriegen und angesichts einer Völkerwanderung? Ich habe noch gefragt, wie viele von selbst den Weg ins Kloster gefunden haben. „Zwei“, war die Antwort. Es gibt aber,auch andere Geistliche. Begeistert haben Flüchtlinge von dem Pfarrer eines Grenzortes beriditet, der sie in ihren versteckten Sdieuncn aufsuchte, ihnen Mut zusprach, sich nach ihrem Schicksal und ihren Plänen erkundigte und eine ausgedehnt Korrespondenz führte, um ihnen Arbeitsplätze zu vermitteln. Diese Haltung erinnert viel mehr an den Pfarrer jenes italienischen Grenzortes, den uns der Film „Die letzte Chance“ menschlich so sympathisch und zutiefst christlich zeigt. Wir müssen angesichts der Not unserer Zeit doch endlich über die bürgerliche Korrektheit hinaus tätige und brennende Zeugen des Christentums werden.

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