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Orden der Baugesellen

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Frühjahr 1961

Dreitausend Bittbriefe mit Erlagscheinen an die reichsten Österreicher verlassen das Sekretariat des Bauordens in Wien: dreitausend Briefe an Industrielle, Direktoren, Handelsunternehmer mit der dringenden Bitte, durch Spenden die Einsätze des Bauordens zu finanzieren. — Der Erfolg? Rund tausend Schilling konnte der Bauorden auf sein Konto buchen: 33 Groschen von jedem Großverdiener! Tausend Schilling. Die Briefe haben mehr gekostet ...

Sommer 1961

In Österreich haben sich 1847 freiwillige Helfer gemeldet, die für die Dauer eines Arbeitseinsatzes — im Inland zwei bis drei, im Ausland drei bis vier Wochen — ihre Kraft in den Dienst armer Familien, der Flüchtlinge oder der Kirche stellen wollen. Für 960 Baugesellen ist die Finanzierung (Verpflegung, Quartier und Fahrt) gesichert, 887 — beinahe 50 Prozent — werden auf die Einsätze im Sommer 1962 vertröstet. Rein materiell gesehen, bedeutet dieser „Ausfall“ für die Menschen, denen im Rahmen des Bauordens geholfen wird, einen Verlust von 1,5 Millionen Schilling bei dreiwöchiger Arbeitszeit im Inland. Der ideelle Verlust — sowohl auf der Seite derer, die nicht angenommen werden konnten, als auch bei den Menschen, die mit diesen Baugesellen zusammengekommen wären — kann in Geldeswert nicht ausgedrückt werden. Aus den bisherigen Erfahrungen zu schließen, bedeutet er einen unvergleichlich höheren Verlust als die eineinhalb Millionen Schilling.

Hätte jeder der „oberen Dreitausend“ 160 Schilling geopfert, dann hätten alle Einsätze durchgeführt werden können...

Herbst 1961

J An verschiedene Zeitungen^ und Institutionen ergeht die Bitte um ideelle Unterstützung: durch Zeitungsartikel und Aufrufe die Menschen mit dem Bauorden, seinen Zielen und Sorgen bekanntzumachen. Einige sagen zu, andere wieder lehnen ab. Begründung: Zu klerikal! Diese Antwort mußte der Bauorden auch aus dem Munde derer vernehmen, die im allgemeinen Wert auf gute Beziehungen zur Kirche legen. Die Idee des Bauordens wird ignoriert: Hilfe für Menschen in Not. Begründung: Zu klerikal... I Bei der Gründung des Bauordens vor neun Jahren glaubte nur einer an den Erfolg: Pater Werenfried van Straa-

ten, der Gründer. Schon der erste Einsatz ließ die Zweifler verstummen: Hundert Studenten flämischer Jesuitenkollegien arbeiteten durch vierzehn Tage insgesamt 10.000 Stunden beim Bau von Eigenheimen für Flüchtlinge, die in einem Barackenlager bei Münster leben mußten. Durch diese Hilfe konnten 48 Familien ihr Haus um ein Jahr früher beziehen. Dreizehn von ihnen wären ohne die Hilfe Pater Werenfrieds nie zu einem eigenen Haus gekommen. Inzwischen wuchs der Bauorden zu

einer der größten Hilfsaktionen für den „Bruder in Not“. Schon lange bevor die Idee eines „Friedenskorps“ entstand, hat er gewirkt. Das wachsende Interesse unter den jungen Menschen — vornehmlich Studenten — für den Bauorden erforderte eine Teilung der „Kompetenzen“ und brachte die Notwendigkeit mit sich, auch handwerklich und technisch geschultes Personal dem Bauorden zu verpflichten.

Diese Notwendigkeit führte im Jahre 1956 zur Gründung des SIBO

(Säkularinstitut des Bauordens) und in weiterer Folge zum TIBO (Technisches Institut des Bauordens).

SIBO

Man könnte das Säkularinstitut des Bauordens als einen modernen Orden bezeichnen, der sich die praktische Nächstenliebe zum Hauptziel gesetzt hat. Handwerker und Techniker leben in kleineren Gemeinschaften beisammen und werden überall dort eingesetzt, wo neben den Baugesellen, die einen Teil ihrer Ferien opfern, auch

Fachkräfte notwendig sind. Neben dem fachlichen Können darf selbstverständlich das religiöse Moment nicht zu kurz kommen: die Postulanten müssen zwei Noviziatsjahre absolvieren, in denen besonders die religiöse Bereicherung und Vertiefung im Vordergrund steht. Daneben wird auf Baustellen praktische Hilfe geleistet und auch studiert. Einmal jährlich gehen die Kandidaten auf mehrtägige Exerzitien.

Nach den Noviziatsjahren legen die Kandidaten ihr Treueversprechen ab. Dann werden sie als Gruppenführer bei größeren Projekten, als Leiter von Einsätzen in den Missionsländern oder als Techniker eingesetzt.

TIBO

Das Ziel des Technischen Instituts (der „Stammgruppe“) ist die Formung von Freiwilligen, die sich für die Objekte des Internationalen Bauordens auf mindestens ein Jahr verpflichten. Ihm obliegt die Heranbildung von Bautechnikern, Facharbeitern, Gruppenführern und administrativen Kräften.

Die Aufgaben der Mitglieder dieses Technischen Instituts sind sehr vielseitig: Sie können als technische Berater einer Bauordenabteilung in einem Land zur Verfügung gestellt werden. Als technische Leiter können sie verschiedene Baulager vorbereiten und leiten. Sie können gruppenweise in Missions- und Entwicklungsländer gesandt werden.

Die Verwaltung und Organisation des Technischen Instituts ist international: die Techniker werden vom Internationalen Sekretariat zur Verfügung gestellt, verteilt und ausgesandt.

Auch für die Kandidaten des Technischen Instituts besteht eine dreimonatige Probe- und Bildungszeit im Bildungszentrum des Bauordens. Während dieser Zeit wird an einem Bauobjekt gearbeitet. Diese praktische Schulung wird durch theoretischen Unterricht über Baukunde erweitert; dazu kommen noch zur geistlichen Weiterbildung religiöse Übungen.

Wenn der Kandidat die Bedingungen des TIBO erfüllen kann, wird ihm eine eigene Aufgabe zugewiesen. Er

verbindet sich in feierlicher Form dem Institut für mindestens ein Jahr.

Fremdwort „Idealismus“?

Der Deutsche Hans Schuberth arbeitete knapp zwei Jahre in der Stammgruppe. Nach seiner Heimkehr hielt er mehrere Vorträge über den Bauorden. Er schreibt:

„Seit ich wieder zu Hause bin, hielt ich schon einige Vorträge über den Bauorden. Wenn ich über unsere Arbeit in Deutschland und den Niederlanden, über Sardinien, Briga und Rom berichte, habe ich immer interessierte Zuhörer. Sage ich dann aber, daß wir aus Idealismus und ohne materiellen Lohn gearbeitet haben, finde ich kaum Verständnis. Das gleiche ereignet sich im Gespräch mit früheren Freunden und Bekannten. Ich wurde auch schon offen ausgelacht, weil ich fast zwei Jahre umsonst arbeitete, während andere sich ein Auto verdienten. Da ist doch die Frage berechtigt, wo die christliche Nächstenliebe und das Christentum bei diesen Katholiken zu finden sind. Inneren Reichtum kennen sie nicht. Früher war mir das nie so aufgefallen. Um so dankbarer bin ich. daß ich das Glück hatte, beim Bauorden mitarbeiten zu dürfen.“

Soweit der Brief. Dieselbe Erfahrung machen viele hundert Baugesellen alljährlich bei den Sommereinsätzen. Oft beginnt es damit, daß die Eltern und Verwandten des Baugesellen kein Verständnis zeigen. Arbeiter und Poliere schütteln verständnislos den Kopf, wenn sie nach der Entlohnung fragen. Ja, es kommt vor, daß nicht einmal die Menschen, denen die Baugesellen helfen, an die Freiwilligkeit dieser Einsätze glauben. Um so dankbarer sind sie den Helfern im weißen Arbeitskleid, wenn sie erkannt haben, daß hier der Idealismus und die Nächstenliebe junger Menschen ihnen helfen, ein Eigenheim oder eine kleine Kirche zu bekommen.

Innerer Reichtum

Im Gespräch mit Bekannten erzählen die Baugesellen, was sie erlebt h^hen: Begegnungen, Ereignisse am Rande' des Baulagers. Die Arbeit, in den Berich-' ten an das Sekretariat meist als leicht bis' mittelschwer bezeichnet, wird nur kurz gestreift. Dann erzählen sie Erlebnisse mit den Menschen in der Umgebung des Lagers, heitere und besinnliche. Nicht selten wissen sie von Flüchtlingen, die ihr bitteres Schicksal den Helfern erzählt haben: Begegnungen am Rande des Baulagers. Aber eben diese Begegnungen zählen zu den schönsten. Sie geben dem Baugesellen keine materiellen Werte, sie machen ihn innerlich reicher und reifer. In den Briefen an den Bauorden kommt der wahre Wert eines Baulagers sehr deutlich zum Ausdruck. Ein Baugeselle schreibt:

„Wie wohl die meisten fühle ich nicht, nachdem ich 14 Tage gearbeitet habe, daß ich etwas Besonderes geleistet hätte. Es scheint irgendwie umgekehrt zu sein: Ich wollte geben und habe eigentlich empfangen...“

Wieder dabei

Obwohl die Einsätze des Bauordens für den Sommer 1962 noch nicht offiziell festgelegt sind (die Termine werden erst Mitte bis Ende April bekanntgegeben), meldet das Sekretariat bereits im Jänner, daß alle Einsätze für das Ausland belegt sind. Die meisten von denen, die sich für diesen Sommer gemeldet haben, fahren bereits das zweite oder dritte Mal auf Einsatz, ein Zeichen dafür, wie sehr die Idee des Bauordens weiterwirkt. Sie formt die Baugesellen, auch wenn sie nur zwei oder drei Wochen auf Einsatz sind: Die Baugesellen lassen sich formen! Sie bauen ja „die neue Erde“, wie das Bauordenlied verkündet. Und im Gebet vor der Arbeit bitten sie: „Herr, segne die Arbeit unserer Hände. Verkürze die Zeit der Prüfung aller, die den Schutz einer Wohnung und den Trost eines Gotteshauses entbehren müssen. Steigere das Tempo unserer Arbeit. Gib uns die Opferbereitschaft, die keine Arbeit zu schwierig und keine Entbehrung zu schwer nimmt. Segne den Bauorden und alle Baugesellen und laß uns mit Liebe und Heiß bauen an der heiligen Kirche, dem lebendigen Haus Gottes; laß uns bauen auf dem Felsen, der Du selber bist, Christus, unser Herr. Amen.“

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