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Damit sie nicht in ein Heim müssen

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Was früher die Familie bewältigte, wird heute in Institutionen erledigt: Kinder werden in Kindergärten und -krip-pen, Kranke im Spital, Alte in Pflege- oder Altersheimen betreut. Eine Initiative in Niederösterreich setzt erfolgreich gegenteilige Akzente.

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Was früher die Familie bewältigte, wird heute in Institutionen erledigt: Kinder werden in Kindergärten und -krip-pen, Kranke im Spital, Alte in Pflege- oder Altersheimen betreut. Eine Initiative in Niederösterreich setzt erfolgreich gegenteilige Akzente.

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Die heute dominierende Kleinfamilie ist wirklich vielfach überfordert, wenn es darum geht, eine Person längere Zeit hindurch etwas intensiver zu betreuen. Viele Leute trauen sich eine solche Hilfestellung — etwa in der Nachbarschaft — auch gar nicht mehr zu.

Um hier Abhilfe zu schaffen, wurde vor zehn Jahren das Niederösterreichische Hilfswerk gegründet.

Einen ersten Eindruck von dem, was in den Jahren seines Bestehens entstanden“ ist, bietet ein Blick auf die Statistik: Das Werk war 1986 in 322 Gemeinden mit seinen Diensten vertreten. Im Vorjahr wurden 207.000 Einsatzstunden geleistet, die im Monatsschnitt etwa 1.300 Personen zugute gekommen sind.

Wem wird dabei geholfen? Der Schwerpunkt der derzeitigen Hilfe liegt eindeutig bei der Betreuung alter und pflegebedürftiger Menschen. Sie sind ja die Hauptleidtragenden der heute gängigen isolierten Lebensweise. Initiativen gibt es auch in Sachen Kinderbetreuung: Kennwort Tagesmütter. Unter der Bezeichnung „Bunter Schirm“ sind weiters Bemühungen zusammengefaßt, ge-gef3hrdeten Jugendlichen (etwa infolge von Arbeitslosigkeit oder Verwahrlosung) zu Hilfe zu kommen.

Wie ist diese Hilfe nun aber konzipiert?

• Sie kommt zu den Menschen und erspart damit Anstaltsbetreuung, sie wird vorbeugend geleistet, um nachträgliche „Reparatur“ zu ersparen, und

• sie soll möglichst von privater Initiative getragen sein, um staatliche Zwangsbeglückung zu minimieren.

Diese Grundsätze klingen gut. Wie aber lassen sie sich so umsetzen? Einerseits stützt sich das Hilfswerk auf die Selbstlosigkeit hilfsbereiter Personen, aber nicht nur auf sie. Damit auch eine gewisse Regelmäßigkeit gewährleistet ist, wird in den Einsatzorten eine Organisation aufgebaut, die sich auf Fachkräfte stützt und den freiwilligen Helfern für ihren Einsatz ein Entgelt bietet.

Damit entsteht folgende Konstellation:

• Fachkräfte und Nachbarschaftshelfer arbeiten zusammen. Dadurch trauen sich viele Freiwü-lige überhaupt erst zu, die pflegebedürftige Nachbarin zu betreuen, damit sie nicht ins Heim muß. • Die Kosten für die Hilfe werden nicht nur aus öffentlichen Quellen aufgebracht. Auch der Hilfeempfänger trägt einen Teil der Last. Das erleichtert ihm vielfach, die Hilfe anzunehmen, wird er doch auf diese Weise nicht zum Almosenempfänger gestempelt.

Was die Pflege kostet? Das hängt vom Einkommen des Hilfeempfängers ab. Den zu zahlenden Stundensatz ergibt eine einfache Rechnung: Vom Netto-Mo-natseinkommen des Hilfeempfängers zieht man 2.300 Schilling ab. Ein Prozent dieses Differenzbetrages wird dann für eine Einsatzstunde verrechnet.

Daß sich dieses System bewährt, zeigt die Entwicklung der Finanzgebarung des Hilfswerks. Von 1984 bis 1988 sind die Einnahmen und Aufwendungen von 19 bzw. 17 Millionen Schilling auf rund 51 angestiegen. Vor allem aber ist der Anteil, den die Hilfeempfänger durch ihre Beiträge aufbringen, im selben Zeitraum von 21 auf 36 Prozent gestiegen, was zur Entlastung der öffentlichen Budgets beiträgt.

Bemerkenswert ist auch der Umstand, daß die Kosten für die Wiener Zentrale anteilsmäßig sinken: Statt 24 Prozent (1984) werden es heuer nur mehr 13 Prozent sein.

Damit wird ein weiteres Merkmal des Konzepts deutlich: Gesetzt wird auf die lokale Initiative. Das Subsidiaritätsprinzip kommt zum Zug: Was auf örtlicher Ebene geschehen kann, wird an Ort und Stelle geregelt. Die Zentrale erbringt nur jene Leistungen, die die lokalen Möglichkeiten übersteigen: Ausbildung, Information und vor allem Personalwesen und Entlohnung der angestellten Fachkräfte.

Im Gespräch mit den örtlich Verantwortlichen wird deutlich, wie sehr sie sich selbst mit dem Anliegen identifizieren: Sie sprechen nicht vom Nö-, sondern etwa vom Kremser oder Perch-toldsdorfer Hilfswerk. Sie verstehen sich nicht* als Außenstelle, sondern als Träger des Anliegens.

Dementsprechend trägt jedes

Hilfswerk den Stempel der Menschen, die dort tätig sind.

In Perchtoldsdorf beispielsweise ging die Initiative vom derzeitigen Obmann Egon Jungwirth aus, der das Sozialreferat der Bezirkshauptmannschaft Mödling leitet und mit der Materie bestens vertraut ist. 1981 startete er das Projekt auf der Basis des in der Wiener Zentrale entwickelten Konzepts.

Bescheiden waren die Anfänge: „Mit zwei freiwilligen Mitarbeiterinnen haben wir begonnen. Sie wurden stundenweise besoldet. In einem Dienstverhältnis stehen ja nur die Fachkräfte, etwa die Krankenschwestern. Solche zu finden, war in unserem Raum schwer. Das ist erst in einem zweiten Schritt gelungen“, berichtet Jungwirth aus der Gründungsphase.

Aus diesen kleinen Anfängen ist in nur wenigen Jahren ein beachtliches Werk geworden: „Heute haben wir fünf Angestellte, davon eine Krankenschwester, 15 freie Mitarbeiter, und wir betreuen 74 Personen“, zieht Hans Haberl, der stellvertretende Obmann, Bilanz.

Ganz anders ist die Geschichte und die Struktur des Kremser Hilfswerks. Es hat sich aus einer Vorläufer-Organisation entwik-kelt, die in der Nachkriegszeit materielle Hilfe an Notleidende vermittelt und sich später der Betreuung alter Menschen zugewandt hat.

Als der derzeitige Geschäftsführer Erich Hackl, Schuldirektor und Gemeinderat, seine Aufgabe übernahm, wollte er den Tätigkeitsbereich des bestehenden Werkes erweitern.

1983 wurde mit dem NO-Hilfswerk gemeinsam die Sozialstation Krems gegründet. Ihre Tätigkeit nahm sie durch den Einsatz einer bis dahin für die Gemeinde arbeitenden Krankenschwester auf. Auch in Krems: Welcher Aufschwung! Heute leiten dort sechs Krankenschwestern den Einsatz von 30 bis 35 Nachbarschaftshelferinnen (von denen es anfangs nur vier gab). Derzeit werden in Krems 130 bis 150 Personen betreut.

Bedenkt man, daß unter diesen

Menschen sicher zehn bis zwölf sind, die ohne Hilfswerk-Betreuung in eine Anstalt müßten (bei Krankenhaustagessätzen von 2.000 Schilling), so ergibt sich allein daraus in Krems eine Ersparnis an öffentlichen Mitteln von 600.000 Schilling im Monat.

Beachtliche Zahlen. Aber sie sind nicht alles. Noch wichtiger erscheint mir der menschliche Hintergrund, auf dem sich die Arbeit des Nö-Hilfswerks abspielt. Schon sein Geschäftsführer Erich Fidesser, der Motor des ganzen Unternehmens, strahlt etwas Missionarisches aus. Sein Elan prägt das Geschehen spürbar. Aber vor allem auch in der Begegnung mit den Mitarbeitern und Verantwortlichen spürt man ihr persönliches Engagement und Interesse.

Es überwiegen eindeutig die Frauen. Sie sind es, die das Werk tragen. Ihre Motivation ist vielfältig.

So erzählt etwa die diplomierte Krankenschwester Margit Steiner aus Krems: „Mein Hauptmotiv war anfangs die Teilzeitbeschäftigung, da ich wegen meiner Kinder aufgehört hatte, zu arbeiten. Man braucht aber auch viel Liebe und Idealismus.“

Sie würde nicht mehr im Spital arbeiten wollen vor allem wegen der Selbständigkeit der Arbeit und der individuellen Pflege des Patienten.

Und die freiwilligen Sozialhelferinnen? Sie versorgen die Pflegepersonen mit all jenem, wozu keine medizinische Spezialausbildung erforderlich ist, kümmern sich um den Haushalt, gehen einkaufen, helfen beim Aufstehen oder beim Schlafengehen...

Ilse Geldner, Nachbarschaftshelferin aus Krems, wollte einen helfenden Beruf haben und hat das Hilfswerk über einen Krankenpflegekurs kennengelernt, den Schwester Margit geleitet hat. Sie betreut derzeit drei Personen, was sie täglich zwei bis drei Stunden beschäftigt.

Wie man bei den betreuten Personen aufgenommen wird, will ich wissen. Das sei sehr unterschiedlich, manche freuten sich, andere seien sehr zurückhaltend, ja skeptisch. Nach einer gewissen Anlaufperiode stelle sich aber meist eine gewisse Vertrautheit ein.

Jedenfalls ist es eine schwere Arbeit, berichtet Rosemarie Pa-minger, die Einsatzleiterin Perchtoldsdorf. Sie lädt Frauen, die sich für eine Mitarbeit interessieren, ein, sich zunächst einen Einsatz anzusehen. Viele überlegen es sich dann. „Die Arbeit ist teilweise recht schwer und außerdem psychisch belastend. Man muß das erst aushalten können, Schwerkranke und Menschen, die nicht mehr gesund werden, zu pflegen.“

Diese Art von Belastung fällt bei den Tagesmüttern weg, berichtet Elisabeth Czepak, die Tagesmutter-Kontaktperson in Krems. Bei ihr sind derzeit genügend Frauen gemeldet, die bereit sind, ein Kind tagsüber zu betreuen. Nach Prüfung der räumlichen Gegebenheiten, des Leumunds und der Gesundheit der im Haushalt der Pflegemutter lebenden Personen wird dieser vom Jugendamt eine Pflegestellenbewilligung erteilt.

„Die Pflegemutter kann sagen, wie viele Kinder sie nehmen kann. Manche nehmen sogar drei“, berichtet Czepak. Der Vorteil des Modells: „Bei der Tagesmutter bleibt die Nestwärme eher erhalten, das Kind wird viel persönlicher betreut als etwa in der Krab-bel-Stube“, ergänzt Erich Hackl, dessen Anliegen es ist, auf lange Sicht die Krabbel-Stube und zwei von drei Kinderhorten in Krems durch den Einsatz von Tagesmüttern überflüssig zu machen.

Bleibt noch über die Aktion „Bunter Schirm“ zu berichten, die 1984 in Krems entstanden ist. „Wir wollen jungen Menschen helfen, die schwerwiegende Probleme in der Familie, am Arbeitsplatz oder mit dem Alkohol haben“ erzählt Gerhard Zaruba, der Kremser Verantwortliche. Dank der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, den Schulen oder Ärzten werden die freiwilligen Helfer der Aktion auf jene Jugendlichen aufmerksam, „die zwar noch nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, aber sonstige Alarmsignale zeigen“.

13 Frauen und drei Männer aus den verschiedensten Berufen betreuen auf diese Weise 17 Jugendliche, treffen sie mindestens einmal wöchentlich, versuchen, ihr Vertrauen zu gewinnen und ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Ein wertvolles Angebot, das meist gut angenommen wird. „Aber zwangsbeglückt wird niemand“, betont Zaruba.

Adresse des NO-Hilfswerks: Reichsratsstraße 11,1010 Wien, Tel.: 0222/486 486.

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