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Keine Wohnsilos für alte Menschen

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Dezentralisierung-ein beliebtes Schlagwort in Niederösterreich -wird die zukünftige Altenbetreuung im Land nicht prägen. Dabei gäbe es ein billiges Modell dafür…

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Dezentralisierung-ein beliebtes Schlagwort in Niederösterreich -wird die zukünftige Altenbetreuung im Land nicht prägen. Dabei gäbe es ein billiges Modell dafür…

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Niederösterreich will neue Wege im Sozialbereich gehen. So der erste Eindruck beim oberflächlichen Studium des Entwurfs für ein neues Sozialhilfe-Raumordnungsprogramm. Jedermann war berechtigt, dazu Stellung zu nehmen. Zwei Wochen hindurch lag der Entwurf in Niederösterreichs Gemeinden und Magistraten auf. Da es sich im vorliegenden Fall um Konzepte für den Sozialbereich handelt, müßte es jedem Engagierten eigentlich ein Anliegen sein mitzuarbeiten — also auch Vertretern der Kirche.

Weil es insbesondere um Fragen der Betreuung alter Menschen geht, ist es eigentlich unverständ-

lieh, daß die Rückmeldungen so spärlich waren. Haben selbst verantwortungsbewußte Menschen oder solche, die sich dafür halten, zu den Schwierigkeiten des alten Nachbarn, des pflegebedürftigen Verwandten und zu den Problemen von Behinderten nichts zu sagen?

Es ist unglaublich, daß wir es nicht wahrhaben wollen, daß das Alter ein zwar unbequemer Lebensabschnitt ist, aber auch einer, den wir selbst ja auch nicht umgehen können. Alter, Krankheit, Behinderung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen, dies alles paßt nicht in unsere moderne, junge, dynamische Zeit des Konsumdenkens.

Nun, der dreizehnseitige Verordnungsentwurf für das niederösterreichische Sozialhilfe- Raumordnungsprogramm zeigt auf, wo in Zukunft die Schwerpunkte gesetzt werden: Sozialhilfeeinrichtungen sollen geschaffen und soziale Dienste angeboten werden, sodaß all jenen, die der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen, ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird.

Die besonderen Aufgaben sieht man in den Einzelabschnitten so:

• Ausbau und Errichtung von Pensionisten- und Pflegeheimen für betagte und pflegebedürftige Menschen an geeigneten Standorten,

• Betreuung der Hilfebedürftigen je nach Bedarf durch soziale Dienste (Caritas, Hilfswerk und Volkshilfe) und

1 Schaffung von Einrichtungen für Behinderte und Tageswerkstätten.

Den doch recht ansprechend und verständlich formulierten Zielen wird einige Seiten weiter in der Detailformulierung aber nicht so entsprochen, wie man es erwartet.

Im allgemeinen wird heute, besonders in Niederösterreich, gerne von Dezentralisierung gesprochen. Im Verordnungsentwurf jedoch sucht man, wenn es um Pensionisten- und Pflegeheime geht, die Begriffe kleine und überschaubare Einheiten vergeblich.

Vielmehr sollen zu den bereits bestehenden Großeinheiten weitere hinzukommen. Es ist ein unverständliches Ansinnen, Heime mit einer Bettenanzahl von mindestens 100 bis 200 Betten zu errichten. Die integrierte Pflegeabteilung sieht 40 bis 50 Prozent davon als Pflegebetten vor. Hier - so scheint es — spricht die Zunge der Verantwortlichen anders als die im Entwurf geplanten Taten. Hat man die Ergebnisse der Befragung von Heimbewohnern nicht zu wenig ernst genommen?

Einen alten Baum soll man nicht verpflanzen. Diese im Volksmund oft gebrauchte Formulierung wird auch durch diese Befragung bestätigt. Man bekommt sie auch immer wieder im Zusammenhang mit den sogenannten Heimeinweisungen zu hören. Und wir wissen, daß diese Volksweisheit stimmt. Aber wir überhören den Anruf oder — besser gesagt — wir wollen ihn nicht hören. Ein Umdenken ist da notwendig, wenn es auch nicht leicht ist.

Wir müßten ja nur aus der Geschichte lernen und Altbewährtes überdenken und übernehmen. Erinnern wir uns an die sogenannten Armenhäuser, Bürgerspitäler, die in einzelnen Städten und Gemeinden bestanden. Warum folgt man nicht diesem Weg, der sich trotz vieler Mängel über Jahrhunderte bewährt hat? Sollte man nicht in Zukunft statt der großen zentralen Heime kleine und überschaubare in den einzelnen Gemeinden errichten?

Für diese Kleineinheiten spricht einiges: Unsere älteren Mitbürger könnten in der vertrauten Umgebung verbleiben, Freundschaften, zwischenmenschliche Beziehungen, Besuche und Hilfeleistungen blieben erhalten.

Die bei Erwähnung dieses Konzepts sofort auftauchenden Proteste (wie: zu teuer, zu aufwendig!) können leicht entkräftet werden. Überschlägige Berechnungen ergeben sogar eine wesentlich günstigere Kostensituation bei den kleinen Einheiten.

Ein solches Modell wird derzeit in der kleinen Gemeinde Katzels- dorf im südlichen Niederösterreich in Angriff genommen. Geplant ist die Schaffung eines Seniorenheimes, das nicht viel größer als ein Einfamilienhaus sein wird. Es soll aus fünf Wohneinheiten bestehen, davon vier Gar- connieren für Einzelpersonen und eine Kleinwohnung für ein Ehepaar. Der Eigengestaltung soll möglichst viel Raum gegeben werden. Ein Gemeinschaftsraum und ein Garten stehen zur Verfügung. Das soll eine Alternative zu herkömmlichen Lösungen bieten. Sollten Krankheiten und Gebrechen den Bewohnern vorübergehend zu schaffen machen, so besteht neben der Nachbarschaftshilfe auch die Möglichkeit zur Hilfe durch Hauskrankenpflege oder Essen auf Rädern.

Klarerweise hat diese Art der Unterbringung ihre Grenzen dort, wo eine ununterbrochene Pflege die Unterbringung in einem Pflegeheim erforderlich macht. Und was die Kosten anbelangt, so zeigt sich, daß ein Heimplatz in diesem Modell nur etwa ein Drittel von dem kostet, womit man in einem großen Pensionistenheim üblicherweise rechnet.

Würde man nun diesen billigeren Weg der kleinen Seniorenheime beschreiten, so könnte man bei der Ausstattung und Umgestaltung der Pflegeheime großzügiger sein. Wenn nämlich mindestens zwei bis fünf Pflegebetten pro Raum aįs Norm gelten sollen, so ist schwer vorstellbar, daß sich die Zielformulierung, ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, verwirklichen läßt. Der lapidare Nachsatz, es sollten Ein- Bettzimmer zur Verfügung stehen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die angestrebte Lösung nicht optimal ist.

Positiv ist jedenfalls der im Entwurf vorgesehene Ausbau der bereits genannten sozialen Dienste wie Hauskrankenpflege,

Heimhilfe, Alten- und Nachbarschaftshilfe zu beurteilen. In sehr kompakter Form werden also im Sozialhilfe-Raumordnungspro- gramm die Weichenstellungen für die zukünftige Altenbetreuung in Niederösterreich dargestellt.

Schade, daß sich so wenige Verantwortungsbewußte, Ärzte, ortsansässige Pfarrer, die alle gerade im Sozialbereich ein großes Anliegen sehen sollten, zu Worte gemeldet haben. Es wäre hoch an der Zeit, daß wir uns alle mehr als bisher mit diesem Thema auseinandersetzen. Es betrifft uns alle.

Der Autor ist Leiter der Sozialstation Wiener Neustadt-Land und geschäftsführender Gemeinderat.

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