Pflege: Vergrault nicht die Interessierten!

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Der Personalmangel im Pflegebereich spitzt sich zu. Doch die Rede von der „Personaloffensive“ ist unglaubwürdig, wenn Ausbildungen nicht leistbar und zugänglich sind. Ein Gastkommentar.

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Der Personalmangel im Pflegebereich spitzt sich zu. Doch die Rede von der „Personaloffensive“ ist unglaubwürdig, wenn Ausbildungen nicht leistbar und zugänglich sind. Ein Gastkommentar.

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„Ich möchte unseren Bewohnern und Bewohnerinnen gerecht werden und ihnen die Zeit widmen, die sie brauchen“, sagt Marion Störinger. Ihre Kollegin Dagmar Zarembach fügt hinzu: „Es geht nicht nur um warm, satt, sauber. Das Soziale ist mindestens genauso viel wert.“ Die beiden arbeiten im „Haus für Senioren“ Wels. Überschaubarkeit, Geborgenheit und Gemeinschaft sind leitende Prinzipien in dieser Einrichtung der Diakonie. Je zwölf Personen leben in einer sogenannten Hausgemeinschaft, der Tagesablauf orientiert sich am „normalen Leben“ zu Hause.

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Pflege und Betreuung ist eine erfüllende Arbeit, darin sind sich die Mitarbeiter(innen) hier einig. Um sie gut machen und ihren eigenen Ansprüchen entsprechen zu können, wünschen sie sich vor allem eines: mehr Personal. „Jeder braucht etwas anderes, man muss eigentlich überall sein“, erzählt Dagmar Zarembach. „Da wäre es gut, wenn der Personalschlüssel angehoben würde, der ist seit 25 Jahren gleich.“ Und das, obwohl sich die Anforderungen ge­ändert haben. Die Menschen kommen immer später ins Heim, mit höherem Pflegebedarf. Und immer mehr Bewohner(innen) leben mit Demenz. Sie brauchen besondere Zuwendung. Covid hat noch eins draufgesetzt: Die Schutzmaßnahmen verändern die Arbeit mit Menschen mit Demenz, für die es so wichtig ist, ein Gesicht zu sehen, berührt zu werden.

Gesperrte Betten in Pflegeheimen

Die Pandemie hat es drastisch vor Augen geführt: Die Lage in der Pflege ist kritisch. Bis 2030 brauchen wir mindestens 75.000 zusätzliche Pflegekräfte, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Die Folgen des Personalmangels sind bereits sichtbar. In manchen Heimen sind Betten gesperrt. Mobile Dienste führen Warte­listen, Angehörige müssen die Zeit überbrücken und die Pflege zu Hause allein schultern.

Im „Haus für Senioren“ läuft noch alles. Dank des hohen Engagements der Mitarbeiter(innen), die Überstunden schieben. Aber jeder Krankenstand, jede Pensionierung, jede Karenzvertretung ist eine Belastung. Ist eine Stelle ausgeschrieben, dauert es drei bis sechs Monate, bis sie besetzt ist.

Ausbildungen und Fördermöglichkeiten sind in allen Bundes­ländern unterschiedlich. Übersicht gibt es keine.

Dabei gibt es Menschen, die in die Pflege wollen: Junge, Arbeitslose, 30- bis 40-Jährige, die sich nach Jahren an der Supermarktkasse oder auf Knien auf dem Boden beim Fliesenlegen neu orientieren möchten. Allein, nicht wenige Interessierte gehen der Pflege verloren, bevor sie überhaupt eine Ausbildung begonnen haben.

Anna zum Beispiel, die beim Googeln auf „Job plus Ausbildung“ gestoßen ist und begeistert war: Nachdem sie zwischen AMS, einer Arbeitsstiftung und Pflegeschulen im Kreis geschickt worden war, hat sie den Plan, eine Pflegeausbildung zu machen, wieder aufgegeben. Masooma, die aus Afghanistan stammt und in Österreich schutzberechtigt ist, hatte einen längeren Atem. Zwei Jahre lang hat sie es versucht, war sogar schon in einer Pflegeschule aufgenommen. Doch die Schule hat keinen Praktikumsplatz für Masooma gefunden und ihr wieder abgesagt. Jetzt macht Masooma Abendschule mit Matura.

Ein Blick auf Erfahrungen wie die von Anna und Masooma zeigt, was es braucht, um Interessierte tatsächlich in Ausbildung zu bringen: Information über Ausbildungsmöglichkeiten aus einer Hand, Deckung des Lebensunterhalts während der Ausbildung, Praktikumsplätze mit guter Begleitung.

Mit elf verschiedenen Berufen ist das Feld der Pflege und Betreuung vielseitig – aber auch unübersichtlich: Neben Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz, diplomierter Gesundheits- und Krankenpflege sowie Heimhilfe gibt es noch die Berufsbilder Fachsozialbetreuer(in) bzw. Diplomsozialbetreuer(in) jeweils für Altenarbeit oder Behindertenarbeit oder Behindertenbegleitung und zu guter Letzt Diplomsozialbetreuer(in) Familienarbeit. Auch was die Finanzierung angeht, muss man sich erst einmal auskennen am Markt der Möglichkeiten: Arbeitsmarktnahe Qualifizierung, Fachkräftestipendium, Implacement-, Arbeits- und Pflegestiftungen, Selbsterhalterstipendium, Schulbeihilfe, Studienbeihilfe, Bildungsbonus spezial, Job plus Ausbildung etc. Die Ausbildungen und Fördermöglichkeiten sind in allen Bundesländern unterschiedlich geregelt. Übersicht oder zentrale Auskunftsstelle gibt es keine, weder auf Bundes- noch auf Länderebene.

Ausbildungsgehalt als Lösung

Und dann ist da noch die Frage: Kann ich mir die Ausbildung leisten? Zwar übernehmen immer mehr Bundesländer Ausbildungskosten wie z. B. Schulgeld. Aber die Deckung des Lebensunterhalts ist ein Problem. Insbesondere für Menschen, die voll im Leben stehen und Familie haben. Berufsumsteiger(innen) müssen sich die Ausbildungszeit selbst finanzieren, die meisten Förderungen sind an Arbeitslosigkeit geknüpft. Diese Förderungen wiederum sind oft zu niedrig, etwa das Fachkräftestipendium mit 1000 Euro monatlich. Ein Ausbildungs­gehalt, ähnlich dem Modell für Polizeischüler(innen), wäre ein Lösungsansatz.

Wenn Pflegeausbildungen nicht leistbar sind und nicht zugänglich, weil man nicht durchfindet durch den Dschungel der Berufsbilder, Ausbildungswege und Finanzierungsmöglichkeiten, wird die Bresche zu groß, dass Marion Störinger, Dagmar Zarembach und ihre Kolleg(inn)en hineinspringen könnten – und die von politischer Seite gerne im Munde geführte Rede von einer „Personaloffensive“ wird unglaubwürdig.

Die Autorin ist Direktorin der Diakonie Österreich und evangelische Pfarrerin.

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