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Grenzen des finanziell Machbaren

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FURCHE: Überspitzt formuliert: Wieviel Gesundheit werden wir uns anno 2000 noch leisten können?

ROLAND MERMON: Zuerst geht es um die Gesundheitsvorsorge, die heute fast wichtiger wäre als die Behandlung. Ich würde eine ausgeweitete Vorsorge mit einem erweiterten Untersuchungsprogramm begrüßen. Es gibt bereits eine Ge-sundenuntersuchung, sie wird aber wenig in Anspruch genommen und der Untersuchungsblock ist meiner Meinung nach etwas zu klein. Es werden bestimmt Ausweitungen von Schnelltests stattfinden, mit Trockenlabors, wo man einfach mit Papierstreif chen viele Tests machen kann, wofür man jetzt noch ein relativ aufwendiges Labor braucht. In Zukunft werden bestimmt nicht invasive Untersuchungsmethoden vorgezogen werden. Die Endoskopie wird etwas zurückgedrängt werden, Röntgenuntersuchungen sollen zurückgedrängt werden, wenn neuere Methoden reif sind. Das ist wieder eine rein finanzielle Sache.

FURCHE: Welche technischen Weiterentwicklungen werden in den nächsten zehn Jahren die Kosten beeinflussen?

MERMON: Beispielsweise auf dem Gebiet der Magnetresonanz-Tomographie. Sie geht davon aus, daß alle Vorgänge im Körper Energie verbrauchen und hochfrequente Ströme minimale elektromagnetische Felder erzeugen. Man ist bereits imstande, diese Felder zu messen. Das ist die technische Basis der Magnetresonanz-Tomographie. Und die Geräte zweiter, dritter Generation werden bestimmt billiger werden.

FURCHE: Kann man das auch für andere Gebiete der apparativen Medizin sagen?

MERMON: Steinzertrümmerer der dritten Generation sind bereits wesentlich billiger als die der ersten und wesentlich besser. Hier wurde eine nicht-invasive Maßnahme gefunden, die'der Operation gleichwertig ist.

FURCHE: Wie weit wird die Ver-billigung gehen?

MERMON: Sie wird Grenzen haben, weil immer mehr Apparate und Methoden erfunden werden. Ich glaube, wir werden an eine Grenze des finanziell Machbaren stoßen. Nun habe ich aber einige Vorschläge, die nicht teuer sind, die Medizin aber wesentlich verbessern könnten.

FURCHE: Was schlagen Sie vor?

MERMON: Das erste wären die Vorsorgeuntersuchungen. Da wäre mein Wunsch, daß die Betriebe allen Mitarbeitern einmal im Jahr einen Vormittag frei geben, an dem sie verpflichtet sind, die Vorsorgeuntersuchung durchzuführen. Die niedergelassenen Ärzte und die Kassenambulatorien könnten das ohne weiteres verkraften, und die Arbeitgeber auch. Man sollte gesetzlich festlegen, daß der Arbeitnehmer einmal pro Jahr zur Vorsorgeuntersuchunggeht. Diezweite Kostenwelle, die auf uns zukommt, ist die Altersmedizin. Es gibt Altersspitäler, es gibt Rehabilitationsstationen für alte Leute, die den Zweck haben, sie wieder für das Leben zu Hause zu remobilisieren.

Alte Menschen, die zu Hause leben, oft alleinstehend, und die nicht mehr fähig sind, allein die Wirtschaft zu führen, kommen auf vier bis sechs Wochen ins Spital, werden herzmäßig und auch psychisch aufgemöbelt, die Gelenkserkrankungen werden gebessert, dann können sie mit Hauspflege, mit Essen auf Rädern, wieder nach Hause entlassen werden.

FURCHE: Natürlich verursacht auch das Kosten.

MERMON: Die Kriegsangst ist gesunken, es wäre durchaus vorstellbar, daß der Militärdienst alternativ auf Zivildienst für die, die es wollen, und Militärdienst für die, die es wollen, aufgeteilt wird. Daß diese Zivildiener im Spital und in der Heimpflege für alte Leute arbeiten können. Das hätte auch einen großen erzieherischen Effekt, der Kontakt zwischen jungen und alten Menschen würde gestärkt und die jungen Leute würden ein Gefühl dafür bekommen, was Zuwendung bedeutet. Im Sinne der Gleichberechtigung müßten Frauen zu diesem Einsatz genauso herangezogen werden wie die Männer, weil sie zum Teil sogar besser dazu geeignet sind. Es ist nicht einsichtig, daß Männer sechs oder acht Monate Dienst für den Staat leisten und Frauen nicht. Es kämen meiner Meinung die Frauen um 18 Jahre in Frage, die kinderlos sind, sie würden selbstverständlich mit der ersten Geburt ausscheiden. In den Spitälern sollte die seelische und menschliche Betreuung wesentlich verstärkt werden. Auch das ginge nur mit mehr Personal, auch das wäre finanziell nur tragbar, wenn der Zivildienst einspringen könnte. Die Schwestern müßten ein höheres Ausbildungsniveau bekommen, das hieße, daß sie etwa wie anglikanische Schwestern auch ärztliche Verrichtungen tun und daß der Zivildienst eher dazu da ist, menschlichen Kontakt aufzunehmen.

FURCHE: Kann man die politische und die gesamtgesellschaftliche Bereitschaft abschätzen, solche Vorschläge ernsthaft zu erörtern?

MERMON: Ich glaube, sie ist jetzt noch nicht da, sie wird aber vielleicht kommen, wenn wir einfach vor Problemen stehen, die auf einem anderen Weg nicht lösbar sein werden. Mein Lösungsvorschlag ist noch nicht akut, er wird es meiner Meinung in fünf bis zehn Jahren absolut sein.

FURCHE: Das heißt, daß medizinische Entwicklung als Teil gesellschaftlicher Entwicklung zu sehen ist?

MERMON: Richtig, und es wäre sozialpolitisch gesehen im Sinne des Gesellschaftsvertrages. Die alten Leute haben für die Ausbildung der jungen gezahlt und die jungen pflegen im Alter die alten.

Zu einem anderen Punkt, der von vielen Patienten an mich herangetragen wird, vor allem von jüngeren, mit einem gehobenen Bildungsniveau. Sie wollen vollwertige Partner der Ärzte sein. Das heißt, sie wollen nicht in Unwissenheit gelassen werden, was mit ihnen geschieht und sie sind für eine weichere und alternative Medizin. Sie sind nicht unbedingt gegen die Schulmedizin, aber sie wollen die sanftere Altemativ-Medizin mit eingebunden sehen. Ich glaube, es ist eine Aufgabe für die nächsten zehn bis 20 Jahre, daß sich die Schulmedizin und die Alternativmedizin versöhnen und zu einer Ganzheitmedizin werden, die ja heute schon im Wilhelminenspital praktiziert wird. Es gibt bereits ein Primariat für Ganzheitsmedizin, wo chronisch erkrankte, auch Krebs-Erkrankte, sowohl schulmedizinisch als auch psychisch als auch alternativ-medizinisch behandelt werden - mit sehr gutem Erfolg. Diese Abteilung beweist, daß beide Wege durchaus miteinander verbindbar sind, wobei der Haupterfolg die wesentlich bessere psychische Lage der Patienten ist, die ja in der Schulmedizin nie berücksichtigt wird. Die Medizin geht auf die statistische Heilung oder Besserung aus, aber nicht, wie sehr der Patient unter dieser Therapie leidet. Gerade in der Krebsmedizin beobachtet man, wie die Krebserscheinungen unter einer Therapie zurückgehen, man beschreibt aber selten die Nebererscheinungen und verschweigt oft, daß die Überlebenszeit nicht verlängert wird. Das heißt, daß

unter einer aggressiven zytostatischen Therapie der Primärtumor zurückgeht, die Metastasen zurückgehen, daß der Patient deswegen aber nicht länger lebt, weil durch Abfall des Immunsystems letzten Endes keine höhere Überlebensrate festzustellen ist. Es gibt natürlich Krebserkrankungen, wo mit Zytostatika gradiose Fortschritte gemacht wurden.

FURCHE: Wie steht es um die Ausbildung der Ärzte? . MERMON: Die Spitäler sind ein Ausbildungs-Nadelöhr, vor allem in punkto Facharztausbildung. Wir haben den paradoxen Zustand, daß eine Medizinerschwemme besteht, aber ein Mangel an Fachärzten. Bedingt durch den Mangel an genügend Ausbildungsstellen. Die Ausbildung zum Facharzt ist sehr lang, meiner Meinung müßte sie nicht so lang sein, wenn sie intensiver und straffer geführt würde. Das heißt: Primarärzte und Ausbildungsärzte müßten geschult sein, zu unterrichten und auszubilden, sie dürften nicht nur fachlich geschult sein. Sie müßten dafür genügend Zeit haben, sie dürften mit der rein medizinischen Tätigkeit nicht überbelastet werden. Primarund Ausbildungsarzt sollten auf Zeit bestellt werden und wie in Amerika sollte ein gegenseitiges Zeugnis ausgestellt werden. Der Primarius, die Ausbildungsärzte sollten ein Zeugnis über die Auszubildenden abgeben und die Ausgebildeten über ihre Ausbildner. Spitäler, die hier schlecht abschneiden, bekommen keine auszubildenden Ärzte mehr, was einen schweren finanziellen Nachteil bedeutet, denn diese Ärzte bekommen in den ersten drei Jahren sehr geringe Gehälter.

Die Facharztprüfungen werden in den USA vor einem großen Gremium abgelegt, das heißt, man bekommt nicht wie bei uns automatisch nach drei bis fünf Jahren das Facharztdekret. Es wird bei uns bereits auf freiwilliger Basis gemacht, es soll verpflichtend eingeführt werden. Das zweite ist, daß neben den niedergelassenen Ärzten die Ambulatorien bleiben. Sie bedeuten eine gesunde Konkurrenz, Leistungsvergleich, sie tragen zur Kostendämpfung bei.

Sie stellen einen Leistungsansporn sowohl für die Ambulatorien als auch für die niedergelassenen Ärzte dar, nicht hinter diesem Konkurrenzpartner zurückzubleiben. Das kann nur ein Vorteil für den Patienten sein. Es ist daher vor allem in den Ambulatorien eine höhere Spezialisierung anzustreben.

FURCHE: Wieviel davon hat Chancen, bis zum Jahr 2000 realisiert zu werden?

MERMON: Das hängt davon ab, wie sehr sich die maßgeblichen Leute der Situation und der Möglichkeiten bewußt werden, die auf uns zukommen. Die Lösung läßt sich bestimmt nicht von rein ärztlicher Seite finden und nicht von rein finanzieller, verwaltungstechnischer, sondern nur in enger Zusammenarbeit. Die Ärzte müßten sehr genau aufgeklärt werden über die finanziellen Probleme, über die sie heute meist sehr wenig wissen. Ich glaube, es bedarf einer konstanten Aufklärung, wie hoch die Kosten sind, die man durch einzelne Maßnahmen setzt.

Das sind hochpolitische Maßnahmen. Es sollten die Politiker in die medizinische Problematik ebenso eingeführt werden wie die Ärzte ins Finanzielle und Verwaltungstechnische. Hier gibt es ein Informationsmanko auf allen Seiten. Das Kostenbewußtsein bei den Ärzten ist noch immer zu schwach ausgeprägt, wobei es durch Einsparungen nicht zu einer Verschlechterung des Patientenservice kommen muß.

Es müßte auch dem Patienten nahegebracht werden, wie teuer Medikamente und Untersuchungen sind. Es gibt gleichwertige Präparate mit Preisunterschieden bis zu 100 Prozent. Wir haben Listen zur Einsicht für die Ärzte aufgelegt, wo sie unter identen Präparaten das billigste auswählen können.

Primarius Dr. Roland Mermon leitet das Allgemeine Fachambulatorium der Wiener Gebietskrankenkasse in Wien 3., Strohgasse 28. Mit ihm sprach Hellmut Butterweck.

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