Chemotherapie mit mehr Lebensqualität

19451960198020002020

Die Diagnose Krebs erleben viele wie ein Todesurteil. Ergebnis: ein psychisches Trauma. Wichtig daher: Jede zusätzliche Belastung ist so gering wie nur möglich zu halten. Ein Ansatz dazu ist die ambulante Chemotherapie.

19451960198020002020

Die Diagnose Krebs erleben viele wie ein Todesurteil. Ergebnis: ein psychisches Trauma. Wichtig daher: Jede zusätzliche Belastung ist so gering wie nur möglich zu halten. Ein Ansatz dazu ist die ambulante Chemotherapie.

Werbung
Werbung
Werbung

Neunzig Prozent aller gängigen Tumortherapien wären heute ambulant durchführbar", meinte Wolfgang Halbritter, niedergelassener Facharzt für Innere Medizin mit dem Zusatzfach Hämato-Onkologie, anläßlich eines Onkologie-Expertenmeetings, das im Juni in Wien stattfand.

Das Meeting unter dem Vorsitz des Krebsspezialisten Professor Heinz Ludwig, Vorstand der "Ersten Medizinischen Abteilung mit Onkologie" am Wiener Wilhelminenspital, befaßte sich mit den Möglichkeiten der Verringerung von Nebenwirkungen, die im Zuge von Chemotherapien auftreten, und mit den Vorteilen von ambulant angewandten Krebstherapien.

Für Krebspatienten bedeuten längere Klinikaufenthalte und die früher zum Teil enormen Nebenwirkungen der Therapien eine zusätzliche Belastung zur Diagnose "Krebs".

Moderne Monosubstanzen, wie etwa Gemcitabine, haben es möglich gemacht, daß es heute beim Großteil der Patienten weder zu Übelkeit noch zu Haarausfall im Zuge der Therapien kommen muß.

Professor Ludwig verwies auf Studien, die die bisher übliche Standardtherapie (eine Kombination aus vier Substanzen) mit den neuen Monosubstanzen vergleichen. Das Ergebnis zeigt eine gleichwertige Effizienz mit deutlich geringeren bis fast gar keinen Belastungen für den Patienten. Ludwig: "Das bedeutet eine ganz deutliche Erhöhung der Lebensqualität".

Wolfgang Halbritter: "Wegen der enormen Nebenwirkungen der eingesetzten Medikamente war bis vor einigen Jahren fast immer auch ein stationärer Aufenthalt des Patienten notwendig. Die Situation hat sich in den letzten zehn bis 15 Jahren aber sehr zum Positiven verändert. Heute wären 80 bis 90 Prozent der gängigen Tumortherapien ambulant durchführbar, immer vorausgesetzt, daß die Behandlung in den Händen besonders qualifizierter Ärzte liegt. Krebsbehandlung erfordert ja nicht nur spezielle Sachkenntnisse, sondern auch langjährige Erfahrung im Umgang mit krebskranken Menschen und eine ganzheitliche Betrachtungsweise. Krebs und seine Behandlung ist ja nicht nur auf einzelne Organe oder Organsysteme beschränkt, es ist immer der ganze Mensch betroffen."

Österreich: Viel zu wenige Spezialisten Im Gegensatz zu vielen westlichen Staaten, darunter auch unsere Nachbarländer Schweiz und Deutschland (wo heute bereits 30 bis 40 Prozent aller zystostatischen Therapien im niedergelassenen Bereich erfolgen), gibt es in Österreich bis heute keinen einzigen niedergelassenen Krebsspezialisten mit Kassenvertrag.

Dieses Manko wird bundesweit auch im Spitalsbereich nicht durch entsprechende Strukturen wettgemacht. Ganz im Gegenteil! Eine aktuelle Untersuchung der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin im Rahmen des EU-Projektes "Teaching Cancer Care in General Practice" hat gezeigt, daß die Mehrzahl der Krebspatienten in Standard- und Bezirkskrankenhäusern behandelt wird und nur wenige in spezialisierten Abteilungen von Schwerpunktkrankenhäusern oder Universitätskliniken. Das bedeutet, daß nur ein Bruchteil der Patienten durch onkologische Spezialisten adäquat betreut wird.

Niedergelassene Onkologen könnten nach Meinung Halbritters diese Lücken im Versorgungssystem füllen und einen Großteil der fachärztlichen Betreuung von Tumorpatienten übernehmen.

Nach der Behandlung an den Arbeitsplatz Leider gibt es in Österreich aber bis zum heutigen Tag auf dem Gebiet der onkologischen Versorgung große Lücken. Da es keinen einzigen niedergelassenen Onkologen mit Kassenvertrag gibt, müssen Patienten zu einem Wahlarzt gehen und 20 Prozent Selbstbehalt zahlen.

Im Wiener Wilhelminenspital werden täglich fast die Hälfte der Tumorpatienten, also 40 bis 50 Personen, ambulant behandelt. Auch das Wiener AKH hat einen großen Prozentanteil (bis zu 80 Prozent!) von Patienten, die ambulant behandelt werden. Seit zwei Jahren gibt es dort eine sogenannte "onkologische Tagesstation", von der aus die Patienten abends nach Hause gehen können. Universitätsassistent Thomas Schenk, der viele Krebspatienten im AKH ambulant betreut hat: "Dank der Neuerungen in der Therapie als auch durch die heute mögliche Unterdrückung der Therapie-Nebenwirkungen können Patienten gelegentlich auch unmittelbar nach Verabreichung der Infusion - mit Verspätung - an ihrem Arbeitsplatz erscheinen.

Wir bemühen uns auch unsere Patienten dahingehend zu unterstützen, daß sie das Beste aus dieser Phase ihres Lebens machen können. Wir geben ihnen dabei das größte Maß an Freiheit und Geborgenheit. Mit Freiheit meine ich nicht nur die physische, sondern auch die seelische Freiheit, die sich nur dann einstellt, wenn im Leben des Betroffenen auch anderes als die Fixierung auf seine Krankheit eine Rolle spielen darf.

Mit Geborgenheit meine ich, daß die Patienten neben der Sicherheit die das Spital bietet, auch weiterhin die Vertrautheit der ihnen bekannten Umgebung und die Nähe geliebter Menschen erfahren können."

Neben den psychischen Vorteilen für den Patienten durch eine ambulante Behandlung, spielt auch der Kostenfaktor eine nicht zu unterschätzende Rolle. Professor Richard Pötter, Vorstand der Universitätsklinik für Strahlentherapie und Strahlenbiologie am Wiener AKH und Teilnehmer des Expertenmeetings: "Die ambulante Therapie ist selbstverständlich mit deutlich weniger anfallenden Kosten verbunden als eine stationäre. Allerdings werden im Vergütungssystem des österreichischen Gesundheitswesens ambulante Leistungen die im Spital erbracht werden, in der Regel mit einem äußerst geringen finanziellen Anteil vergütet.

Es wird üblicherweise die Gebühr für einen Krankenschein für ein Quartal verrechnet, unabhängig von der tatsächlich erbrachten Leistung. Somit stehen Einnahmen von wenigen hundert Schilling für eine ambulante Behandlung den Einnahmen von mehreren zehntausend Schilling für stationäre Behandlung gegenüber. Eine derartige Struktur ist für eine kostengünstige Betreuung onkologischer Patienten sicher sehr ungünstig. Eine Änderung könnte nur dann erfolgen, wenn auch eine leistungsorientierte Vergütung ambulanter Leistungen im Spitalswesen möglich wird. Das ist zumindest politisch in einer nicht genau definierten Zukunft vorgesehen."

Ambulante Krebstherapie könnte in Zukunft auch für Patienten die nicht in unmittelbarer Nähe von Spitälern oder onkologischen Zentren leben, durchgeführt werden. In den Nachbarländern Schweiz und Deutschland wird dies bereits seit über 15 Jahren praktiziert.

Eine dezentrale Versorgung mittels "onkologischer Kooperationsgemeinschaften" (ein interdisziplinäres Forum von Ärzten und Therapeuten verschiedener Fachrichtungen unter der Koordination des "onkologisch verantwortlichen Arztes," der mit den Ärzten der Region (außerhalb und innerhalb des lokalen Krankenhauses) eng zusammenarbeitet. Gemeinsam mit einer Onkologie-Schwester könnte dann auch - gemeinsam mit den Ärzten - eine kompetente Hauskrankenpflege sichergestellt werden.

Die Vorteile dieses Systems sind: n Eine wohnortnahe, qualifizierte ambulante Therapie kommt den Bedürfnissen des Patienten entgegen und entlastet das lokale Krankenhaus.

n Ein ständig verfügbarer Ansprechpartner für lokale Ärzte wäre die Person des onkologisch verantwortlichen Arztes, der auch die Schulung aller an der Betreuung des Krebspatienten mitwirkenden Personen übernehmen könnte.

Das gilt vor allem für palliative und supportive Therapiemaßnahmen, wie Schmerztherapie und die Begleittherapie zytostatischer Behandlungen.

n Eine sinnvolle Koordination aller komplementären Therapiemaßnahmen.

Ein System, das viel weniger kosten würde Durch die Etablierung eines solchen "onkologischen Netzwerkes" wäre für den Patienten eine kontinuierliche hochqualifizierte Betreuung in allen Phasen seiner Erkrankung gewährleistet, und zwar unabhängig von den Grenzen der Versorungsbereiche. Die Kommunikation zwischen Spital und niedergelassenen Ärzten wäre wesentlich verbessert.

Für eventuell notwendige Spezialtherapien und als qualitätssichernde Maßnahmen würde der lokale Onkologe engen Kontakt mit einem großen onkologischen Referenzzentrum halten.

Dieses System wäre, wie schon gesagt, auch durch die Einsparung unnötiger Krankenhausaufenthalte wesentlich kostengünstiger!

Halbritter, Verfechter und Befürworter dieses Konzepts wundert sich, daß die Krankenkassen hier nicht schon längst unterstützend kooperieren: "Solange sich unser Gesundheitssystem aus zwei Töpfen finanziert, und der Beitrag der Sozialversicherungen für die Spitäler pauschaliert und gedeckelt wird, passiert genau das Gegenteil einer Unterstützung. Jeder Versuch, Leistungen in den niedergelassenen Bereich zu verlagern, wird von den Kassen massiv abgeblockt.

Auch wenn es - global gesehen - wesentlich teurer ist, bringt es - aus der Sicht der Sozialversicherer - finanzielle Vorteile, wenn so viele Patienten wie möglich im Spital behandelt werden, auch wenn die echten Bedürfnisse der Betroffenen dabei auf der Strecke bleiben. Unser so hochgepriesenes Gesundheitssystem ist also das größte Hindernis bei der Verbesserung der derzeitigen Situation. Es ist unbegreiflich, warum nicht endlich Bedingungen geschaffen werden die es möglich machen, daß die Gesundheitsleistungen dort erbracht werden, wo sie aus humanitären und wirtschaftlichen Gründen auch sinnvoll sind."

Bleibt die Frage, wessen Wohl hier wohl im Mittelpunkt der Überlegungen für ein menschenwürdiges Leben von Krebspatienten steht?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung