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1200 AKH-Betten würden reichen

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Wie geht es mit dem Wiener AKH weiter? Nach einem Mediziner (FURCHE 38) kommt heute ein Soziologe zu Wort. Er meint: 1000 bis 1200 Betten würden reichen.

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Wie geht es mit dem Wiener AKH weiter? Nach einem Mediziner (FURCHE 38) kommt heute ein Soziologe zu Wort. Er meint: 1000 bis 1200 Betten würden reichen.

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Alle sogenannten „Folgeeinrichtungen” städtischen Wohnens, in summa die Infrastruktur, sind Funktionen des Gesamtorganismus der Stadt und keine unabhängigen Variablen. Standorte von Schulen, Spitälern, Freizeiteinrichtungen usw. sind weitgehend abhängig von der Bevölkerungsverteilung im Raum, der Dichte der Wohnbebauung und anderen Faktoren. Eine Planung von Folgeeinrichtungen ohne präzise Berücksichtigung der vorhandenen bzw. zu erwartenden Stadtstruktur wäre unsinnig.

Für das Gesundheitswesen Wiens bedeutet das zunächst die Überlegung, welche „medizinischen Versorgungsräume” vorhanden sind oder, bei Feststellung von Mängeln, welche neu zu schaffen wären.

Da die meisten Lebensbedürfnisse in Wien innerhalb des jeweiligen Stadtbezirks gedeckt werden, sind auch Spitäler für Pflege- und Akutfälle in diesen Gebieten in genügender Größe anzusetzen. Die Grenzen der Krankenhausbezirke müßten mit den Bereichen anderer Versorgungsangebote übereinstimmen. Ein „Spitalsbezirk” sollte etwa einem Stadtbezirk entsprechen.

In Wien ist aus historischen Gründen die Streuung der Gesundheitseinrichtungen höchst ungenügend, da sie im Zentrum und im Westen der Stadt konzentriert sind, während die Neubaugebiete unterversorgt blieben.

Der vom Wiener Gemeinderat beschlossene „Zielplan für die Krankenversorgung” stellt demnach in der Flächeneinteilung ein kaum ernst zu nehmendes Kurio-sum dar. Ohne die räumliche Verteilung der Bettenkapazität zu verändern, wurden künstlich vier medizinische Versorgungsräume gebildet, die, ohne Rücksicht auf geographische Gegebenheiten, quer über die Donau hinweg, spitalsreiche mit spitalsarmen Bezirken verbinden.

Die hier genannten urbanisti-schen Rahmenbedingungen wurden bei der AKH-Planung leider nicht berücksichtigt. Zwar gelten sie, hinsichtlich der Regionalisie-rung, vor allem für Fälle der medizinischen Standardbehandlung, aber auch weitgehend für einen Großteil der medizinischen Problemfälle, wie sie in „Schwerpunktkrankenhäusern” behandelt werden.

Folgen nicht berechnet

Nach internationaler Ubereinstimmung der Medizinsoziologen sind die Ansprüche hilfesuchender Patienten in der Regel recht bescheiden: Helfende Instanzen sollen möglichst leicht erreichbar sowie finanziell erschwinglich sein. Neben der erwarteten fachlichen Leistung wird aber auch ein Mindestmaß emotioneller Anteilnahme von Ärzten und Pflegepersonal verlangt. Gerade letztere scheint aber bei zunehmender Größe der Behandlungsstation notwendigerweise abzunehmen. Damit ist ein weiteres Argument für möglichste Beschränkung der Klinik- und Spitalsgröße gegeben. Je größer eine Einheit im medizinischen Versorgungssystem wird, um so schwieriger wird auch die persönliche Kommunikation.

Eine Reihe weiterer Probleme entsteht in Großkrankenhäusern aus der mangelnden Koordination verschiedener Spezialberufe und unterschiedlicher Organisationsabläufe, die durch räumliche Distanz noch potenziert werden. So arbeiten z. B. Mediziner, Psychologen, Sozialarbeiter, aber auch verschiedene Fachärzte voneinander isoliert, wodurch Lücken und Widersprüche bei Betreuung des singularen Falles entstehen.

Ähnlich sind die Probleme mangelnder Kommunikation zwischen dem ambulanten und dem stationären Behandlungsbereich.

Der Bauplatz des AKH war im Anschluß an das historische Gebäude vorgegeben. Seine Lage ist in mehrfacher Hinsicht günstig. Der Standort liegt zentral im Stadtraum, nahe dem theoretischen Bevölkerungsschwerpunkt und unweit der Universität. Die

Verkehrsverbindung ist durch Gürtelstraße und Stadtbahn gegeben.

Fraglich ist allein, welche Auswirkungen das neue AKH als Verkehrserreger haben wird.

Mit 20.000 und mehr Kraftfahrzeugen pro Tag ist der- Gürtel schon jetzt überlastet. Zwar gibt es keine genaueren Prognosen, doch ist für das neue AKH eine starke Zunahme des Individual-verkehrs zu erwarten.

Personal (5000), ambulante Behandlung (täglich 5000?) und Besucher (3000 bis 5000?) werden zyklischen Stoßverkehr auslösen. Der Verkehrsanfall wird, trotz gleitender Schichtablöse weitgehend von der Bettenzahl abhängig sein: Je größer, umso höher aber der Kostenaufwand für Verkehrseinrichtungen.

Unter „Größe” wird hier nicht so sehr das Bauvolumen, sondern die Bettenkapazität als Maßzahl verstanden. Denn, je Krankenbett wachsen die Folgewirkungen. Derzeit kommen auf ein Bett 1,5 Angestellte, in der Folge werden es mehr sein (USA 5 bis 6). Pro Bett auch ein bis zwei Besucher und damit Parkplatz. Pro Behandelten eine gewisse Zahl ambulanter Nachbehandlungen usw.

1000 Betten Reserve?

Die Bettenzahl hat nicht nur nach außen Wirkungen, sondern auch hinsichtlich des „inneren Verkehrs” (Aufzugsbelastung, Zufahrt zu über 30 Operationssälen, Versorgung und Entsorgung, Personalbewegungen, Erholungsspaziergänge). Unseres Wissens sind die angedeuteten Folgen des Bettenbestandes noch nicht eingehend berechnet oder am Computer simuliert worden.

In jedem Fall erscheint es plausibel, bei kleinerer Bettenzahl eine geringere Wahrscheinlichkeit von Komplikationen anzunehmen. Aus der mathematischen Statistik ist bekannt, daß bei Großtechnologie und Großorganisation die Wahrscheinlichkeit von Pannen sprunghaft zunimmt. Bei 20.000 sensiblen Feuermeldern etwa sind tägliche Fehlalarme schon hochwahrscheinlich.

Abgesehen von den prognostizierbaren technischen Pannen (die Reparatur einer verklemmten Sonnenjalousie von außen dauerte sechs Monate) steigen mit der Größe auch die finanziellen Kosten sprunghaft.

Die absolut notwendige Bettenzahl im AKH läßt sich nicht durch Addition von Klinikangaben bzw. durch Aufsummierung von Wunschvorstellungen ermitteln. Sie ließe sich an Hand objektiver Erhebungen und verbindlicher Richtzahlen, nach durchschnittlicher Morbididät und typischen Krankheitsverteilungen für den Osten Österreichs aber ungefähr eingrenzen.

Im Rahmen meiner begrenzten Informationsmöglichkeiten, ohne Apparat und ohne Forschungsfinanzierung für diese Frage, nehme ich mit guten Gründen die Hypothese an, daß 2.170 Betten für diesen Zweck zuviel sind und 1.000 bis 1.200 genügen würden — so lange, bis diese Annahme eindeutig widerlegt wird. Der Rest des Baukörpers ist stille Reserve oder kann inzwischen in anderer Art verwendet werden.

Univ.-Prof. Erich Bodzenta ist Vorstand des Institutes für Soziologie der Grund- und Integrativwissenschaftlichen- Fakultät der Universität Wien.

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