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Sündenbock des Sozialstaates?

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Ehe auf die Hauptprobleme unseres Verkehrs eingegangen wird, soll der wenig problematischen zwei Sektionen I und IV des Verkehrsministeriums gedacht werden, für deren Behandlung uns im ersten Artikel kein Raum übrigblieb.

Zu Wasser und in der Luft

Üblicherweise ist in jedem österreichischen Ministerium die Sektion I die Präsidialsektion, die mit der inneren Organisation und Verwaltung und sozusagen den Eigeninteressen des Ministeriums beschäftigt ist. Dies gilt auch im Verkehrsministerium, jedch nur für einen Teil der Sektion I, der unter der Bezeichnung A das eigent-

liehe Präsidium bildet. Es gibt jedoch auch einen Teil „B - Besondere Verkehrsgebiete“, dessen Tätigkeit wie die der übrigen drei Sektionen nach außen gerichtet ist. Seiner Abteilung 3 obliegt die allgemein-staatliche Betreuung und Förderung aller Verkehrsteile sowie des Fremdenverkehrs und die Finanzierung und Kreditierung der Verkehrssparten. Die Abteilung 4 widmet sich der wissenschaftlichen Fundierung des Verkehrswesens. Die Abteilung 5 jedoch ist unsere Adrnira lität — die Oberste Schiffahrtsbehörde; wir haben eine Binnen- und Seeschifffahrt, wobei letztere nicht etwa die auf dem Bodehsee ist (wo die ÖBB tatsächlich eine eigene Linie betreibt), sondern die österreichische Schifffahrt auf der hohen See. So besitzt zum Beispiel die VÖESt. eigene Schiffe, die zwischen Hamburg und Amerika eigenes und fremdes Frachtgut befördern. Die Abteilung 6 des Verkehrsministeriums ist die Oberste Behörde für Kraftfahrlinien und Straßenbahnen, seien sie nun staatliche, kommunale oder private, und ist mit deren Koordinierung und zum Beispiel so heiklen Fragen wie die des Güterverkehrs auf der Straße — des ewigen Zankapfels zwischen ÖBB und privaten Frachtern — beschäftigt. Die Abteilung 7 ist die Oberste Behörde der Zivilluftfahrt, ihr obliegt unter anderem die Organisation, der Flugsicherheitsdienst und die internationale Koordinierung des Luftverkehrs.

Letztere ist um so nötiger, als die österreichischen Flughäfen bereits von 22 ausländischen und elf österreichischen Flugunternehmungen angeflogen werden. Unter den letzteren befinden sich außer der AUA eine Reihe kleinerer Unternehmen, die sich Rundflügen, Sportflügen, dem Frachtverkehr, Reklameflügen, Charter- und Taxiverkehr und anderem widmen. Der Berichter möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß Hubschrauber, welche ein ideales Verkehrsmittel für ein so kleines und gebirgiges Land wie Österreich sind, noch große Entwicklungsmöglichkei-ten in unserem Lande haben. EHe Abteilung 8 des Verkehrsministeriums ist mit dessen Mitarbeit an verschiedenen internationalen Organisationen, insbe-

sondere der CEMT, über die noch sehr Interessantes zu berichten sein wird, beschäftigt.

Hinweis auf spätere Behandlung

Wenn man von der gloriosen Geschichte der Elektrifizierung der österreichischen Bahnen absieht (die im übrigen einer eigenen Abteilung der Sektion II des Verkehrsministeriums untersteht), liegt die Arbeit der Sektion IV, „Elektrizitätswirtschaft“, außerhalb des Verkehrswesens. Man täte deshalb dieser Sektion, die einen der wichtigsten und zukunftsreichsten Sektoren der österreichischen Wirtschaft betreut, unrecht, wenn man ihre Schilderung in diesen Rahmen hineinzwängen würde. Ihre Arbeit und auch die Geschichte der Elektrifizierung der ÖBB mögen vielleicht einmal in einem besonderen Artikel gewürdigt werden.

Österreich am Rande

Das österreichische Verkehrswesen besitzt zwei Schlüsselprobleme. Das erste entspringt äußeren Ursachen, das zweite größtenteils inneren.

Der Charakter des Verkehrswesens eines Landes wird fundamental von dessen geographisch-topographischer Lage bestimmt. Nicht nur der Verkehr, sondern die ganze geschichtliche Entwicklung Österreichs ist von seiner zentralen Lage in Mitteleuropa bestimmt gewesen. Von den rund 70 historischen Römerzügen gingen nicht weniger als 46 über den Brenner und nur der Rest über den St. Bernhard, Mont Cenis und andere. Die süd-west-liche Kreuzung bildete die längste Zeit eine Harmonie mit den west-östlichen und süd-nördlichen Transitrichtungen Österreichs. Damit hat es ein Ende,

seitdem Europa in zwei Hälften gespalten ist, deren grundsätzliche Verschiedenheit (derzeit wenigstens) antagonistischer ist, als alles, was es zwischen Ost und West je gegeben hat. Damit ist Österreichs zentrale Lage zu einer Randlage geworden. Sein administratives und historisches Zentrum Wien ist zu einer Grenzstadt des Westens geworden, und das zentraleuropäische Transitzentrum hat sich weiter nach Westen verschoben — niemand weiß noch, wohin; infolge der insgesamt ungeklärten Situation Europas schwankt dieses Zentrum zwischen einer Reihe von Punkten,

deren einer in geringerem Maße auch Wien und Österreich ist; andere liegen in München und Frankfurt. Jedenfalls zeigt sich in was für eine Lage wir geraten “sind in unserem geographischen Verhältnis zu den Zentren der westeuropäischen Integration: unser Zentrum ist von den ihren und ihren Verbindungslinien 1000 Kilometer weit entfernt. Wir wären in keiner günstigeren Lage, wenn wir zum Osten gehörten. Und zwar nicht nur politisch, sondern auch verkehrspolitisch und verkehrsgeographisch. Wir würden in noch stärkerem Maße Randgebiet sein.

Die Königin des Verkehrs

Umgekehrt bemüht sich der Osten, seine Verkehrswege streng innerhalb seines Orbis zu halten und nimmt nur auf geringe Weise die Transitmöglichkeiten in Anspruch, die Österreich bietet — um die aber weiterzukämpfen, wir sicherlich nicht aufgeben dürfen.

Unter solchen Umständen ist daher die Leistungsfähigkeit unserer Verkehrsmittel und -wege um so bedeutungsvoller. Sie kann uns instand setzen, die Nachteile unserer Randlage zu kompensieren. Das bezieht sich — da 85 Prozent des grenzüberschreitenden Transportes in Österreich von den Eisenbahnen besorgt werden — natürlich in erster Linie auf diese. Obwohl das Problem der behinderten Passierbarkeit der Straßen — das die alten Römer durch Steinspuren und der Österreicher Gerstner durch die Pferdeeisenbahn zu lösen versuchten — seit McAdam und dem armierten Beton nicht mehr besteht, ist die Eisenbahn noch immer die Königin

des Verkehrs und wird es trotz der weiteren Entwicklung des Flugzeug-und Straßenverkehrs noch lange bleiben. Europa, der kleinste Kontinent, hat ein Schienennetz von 410.000

Kilometer Länge, das nur um 50.000 Kilometer kürzer als das der USA, d längsten der Erde, ist. Acht Milliarden Menschen werden in Europa alljährlich von Eisenbahnen befördert. Weitet neigen die Autofahrer immer mehr zu Überlandreisen, welche die Tausendkilometergrenze nicht überschreiten. In einer Reihe von Ländern gibt es bereits die Einrichtung der AutoSchlafwagen, welche dem Autofahrer ermöglichen, seinen Wagen per Bahn aufzugeben und die Nacht im gleichen Zug in einem Schlafwagencoupe zu verbringen. Es gibt bereits zehn solcher Linien in England und je zwei in Frankreich, Westdeutschland, Italien und zwei, die über mehrere Länder gehen. Beim Frachtentransport gibt es die Kombination von Eisenbahn und Lastwagen im sogenannten Huckepackverkehr und umgekehrt — Güterwaggons, die ihre Fahrt auf den sogenannten Straßenrollern auf der Straße fortsetzen.

CEMT - Klagemauer des Verkehrs

Das zweite Hauptproblem unserei Verkehrs besteht darin, daß die Leistungsfähigkeit unseres Eisenbahnverkehrs stark eingeschränkt ist. Die Anforderungen an die Eisenbahn sind enorm gewachsen. Trotz Motorisierung und Flugtransport werden heute in Österreich doppelt soviel Güter und dreimal soviel Personen mit der Eisenbahn befördert als vor dem Krieg — und dies mit weniger Waggons als damals. Ermöglicht wird das durch kostspielige Anmietunge-i von ausländischen Wägen und durch Rationalisierung der Verwendung und intensivere Ausnützung des inländischen Fahrparks. Letzteres führt zu Gefahren übermäßiger Beanspruchung und Abnützung — wenn nicht die Neuanschaffungen und Investitionen für die Eisenbahn stärker als derzeit betrieben werden. Es geschieht deshalb nicht, weil, wie jedermann weiß, das Defizit der Eisenbahnen unverhältnismäßig groß ist, viel größer als in irgendeinem anderen öffentlichen Be-

trieb. Diese Tatsache ist jedoch merkwürdigerweise nicht nur in Österreich, sondern bei den Eisenbahnen aller Länder wahrzunehmen. Die europäischen Verkehrsminister haben sich deshalb in einer eigenen Organisation, der CEMT (Europäische Konferenz der Verkehrsminister) zusammengeschlossen, um einander beim Auffinden von Lösungen für dieses allen eigene Problem zu helfen. Es hat seine Ursache nicht darin, daß alle Verkehrsminister schreckliche Verschwender sind, sondern darin, daß der Eisenbahn infolge ihres öffentlich-gesellschaftlichen Charakters eine Menge Lasten auferlegt sind, die nicht aus der Betriebsführung stammen. Es sind Lasten verschiedener Art, und in Österreich kommen noch einige besondere hinzu. Eine davon besteht in der unverhältnismäßig hohen Zahl von Eisenbahnpensionisten (zirka 86.000 gegenüber den rund 80.000 aktiv Beschäftigten). Zu dieser Zahl ist es

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