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Tor oder Nadelöhr

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In der V orweihnachtszeit des vergangenen Jahreshatten wir in Österreich mehrmals Gelegenheit, am Beispiel der Ungarn auszukosten, was eine Öffnung der Grenzen der Ostblockländer auf dem Verkehrssektorbedeuten kann: Stundenlanger Stau an den Grenzübergängen, langsames Kolonnenfahren auf den grenznahen Straßen, Parkchaos in den Einkaufsstraßen grenznaher Orte. Diese „Ungamwelle“ stellte einen Vorgeschmack dar, wenn in den nächsten Jahrzehnten eine völlige Liberalisierung der gesamten

Grenzen zu den Ostblockländem Ungarn, Polen und vielleicht auch der Tschechoslowakei in Verbindung mit einem wirtschaftlichen .Aufschwung stattfinden sollte.

Zunächst aber gilt es, sich auf die gemeinsame Weltausstellung verkehrsmäßig vorzubereiten.

Derzeit stellt die Grenze des Eisernen Vorhanges auch eine „Verkehrsscheide“ mit viel stärkerer Wirkung als die Alpen dar. Dies wird verdeutlicht, wenn man die Karte der Euro-City-Züge auf der hinteren Umschlagseite des österreichischen Kursbuches betrachtet: Während die westeuropäischen Staaten, inklusive Österreich, mit einem relativ dichten Euro-City- Zugnetz überzogen sind, überquert von der Ostsee bis zur Adria lediglich eine Euro-City-Zugstrecke von Wien nachBudapest die Grenze zum Ostblock (siehe auch Seite 24). Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Autobahnen: Abgesehen von den innerdeutschen Autobahnverbindungen gibt es noch keine weiteren zwischen Ost- und Westeuropa.

Die östlichen Bundesländer lei den unter dieser Randlage ganz besonders. Dies ist nicht zuletzt auch durch eine Reihe von abgeschnittenen ehemaligen Straßen- und Bahnverbindungen deutlich dokumentiert. Es ist sicherlich nicht zuviel behauptet, wenn ein Teil des West- Ost-Gefälles der Einkommensstruktur und Wirtschaftskraft in den Bundesländern auf diese nun schon bald ein halbes Jahrhundert bestehende Randlage und einseitige Erreichbarkeit zurückzuführen ist.

Diese auf alle Fälle wünschenswerte Öffnung der Ostblockländer bietet viele Chancen auf der menschlichen und wirtschaftlichen Ebene. Gerade unter dem Blickwinkel heutiger Transitprobleme ist aber auch auf die Risken einer falschen Verkehrspolitik zu achten! Erste Anzeichen weisen darauf hin, daß hier dieselben Fehler wie in der Nord-Süd-Verkehrsproblematik gemacht werden: derzeit beschränkt sich die österreichische Verkehrspolitik in Richtung Osten nur auf die Abstimmung und Vorfinanzierung von Autobahnverbindungen (Ost-Autobahn mit Ungarn und Autobahnstrecke Maribor-Zagreb in Jugoslawien). Es besteht die große Gefahr, daß wir ähnlich wie beim Nord-Süd-Transit des Güter- und Personenverkehrs die (Auto-)Gei- 6ter, die unsere Verkehrspolitiker riefen, auch im Ost-West-Verkehr nicht mehr loswerden.’Man stelle sich die Vision vor, daß zusätzlich zum derzeitigen west-europäischen Nord-Süd-Verkehr langfristig der ost-europäische Nord-Süd-Verkehr lind Ost-West-Verkehr unter gleichen verkehrspolitischen Rahmenbedingungen hinzukäme. Diese Entwicklung wäre sicher katastrophal. Es wäre also eine große Chance, zu dieser verkehrspolitischen Stunde Null aus den Fehlem der Vergangenheit zu lernen.

Verkehrspolitik muß mehr als Straßenbaupolitik sein! Sie muß ganzheitlich unter gleichzeitiger Betrachtung aller Verkehrsmittel und Einbeziehung aller Folgewirkungen betrieben werden. Eine wesentliche Voraussetzung ist die Zusammenfassung aller Verkehrskompetenzen unter einem Ministerium und die Schaffung eines Verkehrsbudgets. Die Aufteilung auf die verschiedenen Verkehrsmittel sollte nach Zweckmäßigkeitskriterien verkehrspolitischer Zielsetzungen erfolgen.

Einer der ersten Schritte wäre die Schaffung einer übernationalen Verkehrskommission unter Beteiligung der betroffenen Länder Österreich, Ungarn, CSSR, Jugoslawien und gegebenenfalls auch Polen und DDR. Die erste Aufgabe wäre die Erarbeitung eines übernationalen Gesamtverkehrskonzeptes für den grenzüberschreitenden Verkehr. In diesem Konzept, welches natürlich von allen Regierungen der beteiligten Länder mit einem Finanzierungskonzept politisch festge schrieben werden müßte, muß ein Maßnahmenkatalog erarbeitet werden. Folgende Maßnahmen könnten darin enthalten sein:

•Bezüglich des Eisenbahnpersonenverkehrs sind sofort Gespräche aufzunehmen, um im Rahmen des Integrierten Taktfahrplans 1991 zumindest für Euro-City-Verbin- dungen eine Einbeziehung der größeren Städte jenseits der Grenze zu ermöglichen. Insbesondere ist an die Verbindungen Wien-Budapest und Graz-Budapest zu denken.

•Das Konzept der Neuen Bahn sollte auch auf grenzüberschreitende Verbindungen erweitert werden. Eine verbesserte Koordination im Bereich Tarif, Marketing und Service mit den östlichen Nachbarländern wäre anzustreben. Hiezu zählt auch die Erleichterung und Beschleunigung der Grenzabfertigung. • Die regionalen Zugs- und Busverbindungen sollten zur Erleichterung des kleinen Grenzverkehrs verbessert und ausgeweitet werden.

•Um eine Ausweitung des grenzüberschreitenden Straßengüterverkehrs möglichst gering zu halten, sind gemeinsame Strategien der Bahnverwaltungen aller europäischen Länder notwendig. Die För- derung des Container- und Wechselaufbautentransportes sollte besonders durch Erarbeitung und Umsetzung von modernen Logistikkonzepten durchgeführt werden. Der Ausbau der „rollenden Landstraße“ hat sicher nur eine vorübergehende Bedeutung.

•Für den kleinen Grenzverkehr soll-

ten mittelfristig alle ehemals vorhandenen lokalen Straßenverbin- dungen wieder geöffnet werden. Gleichzeitig sollten diese Verbindungen in das regionale Busliniennetz einbezogen werden. •Autobahnverbindungen (Ost-Autobahn, Nord-Autobahnunid so weiter) sollten überdacht werden und mit einem moderaten Ausbaustandard (zum Beispiel Reduktion der Entwurfsgeschwindigkeit auf Tempo 100) errichtet werden.

• Großes Augenmerk sollte auf die Koordination und rasche Einführung von gehobenen Umweltstandards der Kraftfahrzeuge in den östlichen Nachbarländern gelegt werden. Hiezu zählt zum Beispiel auch eine abgestimmte Tonnagebeschränkung, ein Nachtfahrverbot für Lkw und „Tempo 100“.

•Im Luftverkehr wäre eine Kooperation in der Linienbedienung, insbesondere für Regionalflughafen (zum Beispiel Graz-Maribor, Klagenfurt-Ljubljana) anzustreben. Diese Aufzählung von notwendigen Maßnahmen ist keineswegs vollständig und nur beispielhaft zu verstehen. Grundsätzlich ist darauf zu achten, um nicht den häufigen Fehler der „Flucht in die Großinvestition“ zu begehen, daß alle Maßnahmen nach ihrer Kosten-Wirksamkeit überprüft werden. Österreich kommt damit als verkehrstechnisch weitentwickeltes Land die Verantwortung zu, nicht so wie in der Kraftwerks- und Sondermüllpoli- tik Probleme zu exportieren. Wir sollten die Chance im Verkehr nützen, eine umweltverträgliche Verkehrspolitik mit unseren östlichen Nachbarn zu machen.

Der Autor ist Dozent an der Technischen Universität Graz, Abteilung Verkehrsplanung und Verkehrstechnik.

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