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Kampagne der Solidarität

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In Österreich fehlt es sehr auffallend an öffentlichem Bewußtsein zur Nord-Süd-Problematik. Fragen des Zusammenhanges zwischen Industrieländern im Norden und Entwicklungsländern im Süden sind keine tatsächlich relevanten Themen in der österreichischen gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Dies hat seine Begründung im Fehlen jeder signifikanten klassisch-kolonialen Vergangenheit. Eine zweite Ursache, warum Österreich Schlußlicht unter allen staatliche Entwicklungshilfe leistenden westlichen Geberländern werden kann - und nicht allzu vielen scheint dies Sorge zu bereiten-, ist die Tatsache, daß beide Weltkriege Österreich mehr nach innen kehrten als nach außen hin öffneten.

Dritter österreichischer Hintergrund: es gibt keine bedeutende wechselseitige, transnationale Nord-Süd-Tradition oder Gegenwart, weder in unserer Politik, noch in der Wirtschaft, auch nicht bei den Gewerkschaften und nicht einmal in der Kultur.

Es fehlt auch an österreichischer Offenheit und Innovation in Fragen globaler Strategien, Kommunikation, wirtschaftlicher Entwicklung, Außenpolitik.

Was für Österreich gilt, gilt auch für so manches andere westeuropäische Land. Der Großteil der Europäer nimmt wie wir die Länder und Völker in der südlichen Hemisphäre in sehr verzerrten und verzerrenden Bildern wahr: als hilflos und „noch“ nicht entwickelt, als unmündig und unreif, unseres seligmachenden Fortschritts bedürftig, teils auch als Bedrohung.

Aufgeschlossene Europaratsparlamentarier in Straßburg haben sich deshalb die Durchführung von Maßnahmen für ein verändertes öffentliches Bewußtsein zum Ziel gesetzt. Schon 1984 wurde in Lissabon eine Deklaration verabschiedet, die die komplexen Beziehungen Europas mit den Entwicklungsländern beschreibt und auf das große Defizit im europäischen Verständnis sowie auf eine deshalb fehlende Bereitschaft hinweist, aktive Solidarität zu üben.

Für das erste Halbjahr 1988 wurde eine Öffentlichkeitskampagne unter dem Motto „Nord/ Süd — eine Zukunft, eine gemeinsame Aufgabe“ beschlossen. Fragen der Interdependenz (Europa und die „Dritte Welt“) und der Solidarität sollen auf möglichst vielen Ebenen und in möglichst vielen gesellschaftlichen Sektoren diskutiert und verbreite(r)t werden.

In Straßburg wurde ein europäisches Organisationskomitee gegründet, das seit Sommer 1986

unter österreichischem Vorsitz die Aktivitäten auf europäischer Ebene vorbereitet. Abschluß und politischer Höhepunkt der Europa-Kampagne, die unter der Präsidentschaft des spanischen Königs Juan Carlos steht, bildet eine mehrtägige Nord-Süd-Konferenz der beiden europäischen Parlamente Anfang Juni in Madrid.

Wie in den meisten Mitgliedsländern des Europarates wurde auch in Österreich ein nationales Komitee gegründet, das vom Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten koordiniert wird. Außenminister Alois Mock wird die bisherigen Aktivitäten und Pläne kommenden Mittwoch der Öffentlichkeit präsentieren. Es wurden unabhängige Aktionsbereiche geschaffen, zum Beispiel Bildung, Arbeit und Wirtschaft, Frauen für Entwicklung, Kultur, Medien, Kirchen, Jugend, Wissenschaft, Entwicklungshilfe, Städte und Gemeinden, die jeweils für ihre Programme verantwortlich zeichnen. So entstand eine breite Plattform. Denn: In Österreich gibt es für die Kampagne kein Geld. Wer mitmacht, muß selbst für die Mittel sorgen. Nicht so in Holland, Norwegen oder Dänemark: dort unterstützen Regierungen die Arbeit von in der Kampagne engagierten Organisationen mit notwendigen (!) Millionenbeträgen.

Es ist Philosophie des Vorhabens, daß alle zum Mitmachen eingeladen sind. Viele sind dem Ruf gefolgt. Das Unterrichtsministerium beispielsweise unterstützt die Arbeit des ÖIE (österreichischer Informationsdienst für Entwicklungspolitik), und so wird es Ende April eine Nord-Süd-Woche an den Schulen geben. Auch ein Medienverbund-programm für die Erwachsenenbildung wird erstellt.

Ein besonderer Höhepunkt wird ein internationales Symposion über die Wechselwirkung zwischen den Musikkulturen Europas und der Dritten Welt sein. Außerdem ist unter anderem noch ein internationales Gespräch der Weltreligionen in Wien und eine Wanderausstellung zur österreichischen Entwicklungshilfe vorgesehen.

Die Kampagne darf aber kein bloßer Aktivitäten- und Medienzauber sein, der letztlich spurlos vorübergeht. Es müßten tatsächliche politische Konsequenzen gezogen werden. Dabei ist ebenso wichtig, daß Menschen und Stimmen aus dem Süden laut zu Wort kommen und daß Erfahrungen vergangener Jahre nicht außer acht gelassen werden. Gerade in Fragen der Büdungs- und Meinungsbildungsarbeit sind Kontinuität und Langfristigkeit unabdingbar.

Der Autor, Geschäftsführer des österreichischen Entwicklungsdienstes, ist Mitarbeiter des Osterreichischen Nationalen Organisationskomitees der Nord-Süd-Kampagne des Europarates.

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