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Sind SO Jahre schon genug?

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Kaum war vor fünfzig Jahren der Zweite Weltkrieg zu Ende, da kamen sie schon in großen Scharen, die ersten Flüchtlinge, von Haus und Hof weggelaufen aus Angst vor der vorrückenden Sowjet-Armee. Dank seiner zentralen Lage war Osterreich im Herzen Europas eine selbstverständliche Adresse. Das Land war aber selber vom Kriege schwer mitgenommen und es war von Anfang an kristallklar, daß es unmöglich allein mit diesem unerwarteten, sehr umfangreichen Problem fertig werden könnte. Hier energisch und sofort zu helfen, war eine klare Aufgabe für die westlichen Siegermächte, welche zusammen mit der damaligen Sowjetunion das befreite Land besetzten und die Behandlung der delikaten Flüchtlingsproblematik sich in letzter Instanz selber vorbehalten hatten („reserved subject” hieß es im Besatzu ngsstatus).

Nicht lange vorher, im selben Jahre 1945, waren die Vereinten Nationen gegründet worden. In weiser Voraussicht war in den USA schon 1943 die UNRRA (UN Relief and Rehabilitation Administration) ins Leben gerufen worden, welche sofort nach der Niederlage Nazi-Deutschlands mit einem humanitären Hilfsprogramm anfangen sollte. Zu ihren Aufgaben gehörte an vorderster Stelle Flüchtlingshilfe. Was Osterreich betrifft: Hier trafen 1945/46 zirka eineinhalb Millionen „displaced persons” (so die damalige Betitelung) ein. Zuerst sollte für diese Menschenmassen die Unterbringung und Betreuung angegangen, anschließend ihre Auswanderung nach Übersee oder, wenn erwünscht, ihre freiwillige Repatriierung organisiert werden. Insgesamt wurden, inklusive Österreich, in einer kurzen Zeitspanne nicht weniger als sieben Millionen Menschen weitertransportiert, eine höchst beeindruckende Leistung.

Die Flüchtlinge gingen aber nicht alle weg, zahllose Vertriebene wollten nicht weiterziehen, überdies kamen laufend neue dazu. Von jetzt an nur über Österreich berichtend, soll hier festgestellt werden, daß die sich hier aufhaltenden Menschen global in zwei Gruppen, nach ethnischen Kriterien, aufgeteilt wurden. Zuerst die Kategorie der „Fremdsprachigen Flüchtlinge”, also solche, die Deutsch nicht als Muttersprache hatten. Herkunftsländer: Ost- und Südost-, auch Zentraleuropa. Zahlreicher waren aber die „Volksdeutschen”, die Angehörigen der deutschsprachigen Minderheiten in der Tschechoslowakei, Ungarn und den Balkanländern. Als Nachfolge-Organisation der UNRRA wurde 1947 die IRO (International Refugee Organization; Sitz Genf) gegründet, welche sich aber laut Mandat nur für nicht-deutschsprechende Personen einsetzen durfte, zweifellos ein Unrecht. Nicht zu verneinen ist, daß die IRO verdienstvolle Arbeit durch die Wegschaffung von Hunderttausenden Flüchtlingen aus Österreich geleistet hat. Ende

Österreich ist führendes

Asylland der Nachkriegszeit. Gemeinsam mit dem UNHCR wies Osterreich seit 50 Jahren Millionen den Weg in die Freiheit.

1951 wurde die IRO liquidiert. Wiederum kam eine neue Örganisations-struktur zustande, diesmal eine, welche bis zum heutigen Tage tätig ist. Der UNHCR wurde für alle Flüchtlinge zuständig (UN High Commis-sioner for Refugees; Sitz Genf); bei ihm sollte die lokale Seßhaftma-chung, wie wir sehen werden, eine erstklassige Rolle spielen.

Für die Durchführung der immer noch fortgesetzten Auswanderung (für welche sich die Volksdeutschen aber nicht interessierten) gab es ab dann ICEM, jetzt ICM (International Committee for Migration; Sitz ebenfalls Genf); diese Institution gehört nicht zum UNO-System. Sowohl UNHCR wie ICM waren von Anfang an in Wien vertreten; für die erstgenannte Organisation wurde Österreich sogar ein sehr wichtiges Land. Hier soll auch erwähnt werden, daß

Doppeltes Jubiläum

50 Jahre UNO, 50 Jahre Zweite Republik: Aus diesen Anlässen wird heuer nicht nur ein Tag, sondern ein „Monat des Flüchtlings” im Juni begangen. Das UNHCR -Büro Wien ruft die politischen Parteien, NGOs, Schulen und Universitäten, Medien, Kulturschaffende und Gemeinden auf, im Rahmen von Projekten und Veranstaltungen die Geschichte, Gegenwart und Zukunft Österreichs als Flüchtlingsland zu behandeln. auf Bundesebene das Innenministerium zuständig war, auf Landesebene wurden die Landesregierungen aktiviert. Der Personenkreis, um den man sich zu kümmern hatte, belief sich auf ungefähr 400.000 Menschen, darunter Zehntausende in Lagern - vom deutschen Arbeitsdienst für die von ihm Beschäftigten errichtet.

Die Genfer Konvention

Im selben Jahr 1951 fand ein anderes Ereignis statt, das für die Regelung der Flüchtlingsfrage international von größter Bedeutung war. Wiederum in Genf wurde von der UNO eine diplomatische Konferenz einberufen, welche die Rechtsstellung von Personen, die durch Flucht ihre Staatsangehörigkeit verloren hatten, regeln sollte. Zustande kam die sogenannte Genfer Konvention zugunsten dieser Menschen; sie definierte ihre Rechtslage und beschloß sehr wichtig die Herausgabe eines Reisedokumentes für die als Flüchtlinge anerkannten Personen. (Von den 185 Staaten, die UNO-Mitglieder sind, sind 127 diesem Vertrag beigetreten, darunter Österreich.) Jetzt besaß ein Flüchtling endlich Rechtspersönlichkeit.

In Übereinstimmung mit der Poli tik der Bundesregiening konnte jetzt vordringlich die I^agerauflösung in Angriff genommen werden, wofür Wien selbstverständlich auf umfangreiche Unterstützung aus dem Ausland über den UNHCB rechnete. Man muß aber wissen, daß es, als die UNO-Versammlung die Gründung der UNHCB beschloß, nicht zu einer Zuteilung von Geldmitteln aus dem allgemeinen UNO-Budget kam, mit Ausnahme der Finanzierung der UNH-CR-Verwaltung. Es wurde dem Hochkommissar überlassen, selbst für die (Mitfinanzierung von Hilfsprogrammen für die sich unter seinem Mandat befindenden Personen aufzukommen. Mit anderen Worten, Betteln bei Regierungen und auch bei den

Bürgern wurde eine seiner wichtigsten Aufgaben. Hier kam es zu einer bemerkenswerten Entwicklung. War es dem UNHCR in den fünfziger Jahren und danach nur möglich, mit Mühe jährlich einige Millionen Dollar zusammenzukratzen, sind die Beträge heute unglaublich in die Höhe geschnellt. Ursache: die endlose Krise im ehemaligen Jugoslawien, für welche keine andere UNO-Organisa-tion die humanitäre Hilfe übernehmen konnte. Die sehr kapable heutige Hochkommissarin Sadako Ogata (Japan) sammelte, wiederum ausschließlich aus freiwilligen Spenden - etwa eine Milliarde Dollar jährlich!

In den fünfziger Jahren fing dann unter dem Impuls des UNHCR Österreich ein großes Wohnbauprogramm an, wodurch allmählich die Lager aufgelöst werden konnten. Daneben wurden Maßnahmen für Kreditverleihung (verwaltet von der Kontrollbank) ergriffen, sowohl für die Fördening des Kleingewerbes wie für die Seßhaftmachung in der Iand-wirtschaft.

Das alles war nur möglich durch kräftige Mitfinanzierung seitens des Rundes, der Landesregierungen und Gemeinden, nicht zu vergessen auch den exemplarischen Einsatz der Volksdeutschen. Statt einer Belastung erwies sich auf diese Art und Weise der Flüchtlingsstrom als ein Vorteil für die österreichische Volkswirtschaft. Die als Darlehen verliehenen Förderungsmittel fließen in einen „Flüchtlingsfonds” zurück, aus welchem immer noch Vorhaben finanziert werden.

Von Aufatmen konnte aber keine Rede sein. Dafür war die politische Lage der Länder nördlich und östlich Österreichs zu instabil. Schon 1956 kamen in wenigen Wochen 200.000 Ungarn nach dem mißlungenen Aufstand. Aus Jugoslawien kamen immer wieder kleinere Gruppen oder Einzelpersonen über die grüne Grenze, später 180.000 Tschechen und 150.000 Polen; schließlich 70.000 Bosnier Anfang der neunziger Jahre.

Alle diese Entwicklungen, die sich auf Österreich stärker als auf andere Länder Europas konzentrierten, verschafften dem Land einen verdienten Buf, sich des Schicksals von Menschen in Not anzunehmen. Bundeskanzler Bruno Kreisky verstand das gut und erklärte 1981, daß Flüchtlingshilfe für Österreich eine ähnliche Sonderaufgabe war, wie für die Schweiz das Rote Kreuz und für Schweden die Verleihung des Nobelpreises. Bundeskanzler Vranitzky legte 1987 nach, als er im Parlament sagte, daß es sich hier um „eine gerne auf sich genommene Verpflichtung” handelte. Trotz politischer Entspannung auf. unserem Kontinent treffen in Osterreich noch immer Asylbewerber ein, zirka 400 im Monat. Sie kommen jetzt aber aus anderen Weltteilen, weit weg von hier, wie dies auch in anderen europäischen Ländern der Fall ist. In Übereinstimmung mit der Genfer Konvention halten sich zur Zeit 18.500 anerkannte Flüchtlinge in Österreich auf, im Vergleich mit vorher also eigentlich eine bescheidene Zahl. Nicht mitgerechnet sind die oben erwähnten Bosnier, weil von diesen angenommen wird, daß sie in ihre Heimat zurückkehren, sobald die Situation dort es erlaubt.

Differenzen mit UNHCR-Büro

Auf die Anwesenheit der Flüchtlinge hierzulande wirkt sich sicherlich nicht vorteilhaft aus, daß in der Bevölkerung eine Überfremdung durch die Anwesenheit von Ausländern, die hier arbeiten wollen, befürchtet wird. Diese Frage hat zwar mit der Aufnahme von Flüchtlingen nicht direkt zu tun, aber immerhin sind Flüchtlinge auch Ausländer.

Seit 1991 gibt es ein neues Asylgesetz, dessen Durchführung, wie in den Medien berichtet, zu Differenzen zwischen dem Innenministerium und dem UNHCR-Büro geführt hat. Entscheidend für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist selbstverständlich, daß der Antragsteller glaubwürdig darlegen kann, daß er aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung seine Heimat verlassen hat. Nun, da Österreich der Europäischen Union beigetreten ist, kommt ein neues Element ins Spiel. Die Bepublik trat auch dem sogenannten Schengener Abkommen bei, gemäß dem die teilhabenden Ländereine gemeinsame Außengrenze gegenüber Drittstaaten haben und untereinander die Grenzüberschreitung ohne Formalitäten erlauben. Dies hat natürlich auch Konsequenzen für die Zulassungspolitik gegenüber Asylwerbern. Wie sich dies in der Praxis auswirken wird, muß man erst abwarten.

In dieser ganzen, doch immer wenigstens für Außenseiter einigermaßen komplexen Situation ist es von Bedeutung, eine verständliche Aufklärungsarbeit für die einheimische Bevölkerung zu leisten. Auch da liegt eine Aufgabe für das Wiener UNHCR-Büro, dessen Tätigkeit sich jetzt auch auf die Tschechei, Slowakei und Polen ausgedehnt hat und deshalb Regionalbüro wurde. Wir möchten bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß der UNHCR den kommenden Juni als „Monat des Flüchtlings” proklamiert hat und bei dieser Gelegenheit feststellte, daß „die Stimmung in der österreichischen Bevölkerung weitaus positiver ist, als dies in der öffentlichen Diskussion vielfach dargestellt wird”.

Gebeten wird um die Bekanntgabe von erfolgreichen Projekten zur Flüchtlingsintegration, für welche, schon zum zweiten Male, ein Preis von 100.000 Schilling zur Verfügung gestellt wird. Man kann nur hoffen, daß sich eine stattliche Zahl von Interessenten bei dem UNHCR Büro, Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, Postfach 500, 1400 Wien, Tel. 0222/21131/4047, Fax 23 73 57 melden wird.

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