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Ein arabisches Märchen

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Bei den Vereinten Nationen ertönt immer wieder die Klage über die traurige Lage der arabischen Flüchtlinge aus Palästina. Wer diese mit eigenen Augen gesehen hat, kann in sie kaum einstimmen. Es steht vor allem aktenmäßig fest, daß es sich gar nicht um echte Flüchtlinge handelt; sie wurden nicht vertrieben, sondern gebeten zu bleiben, und ihnen Sicherheit und Schutz zugesichert, wie sie heute 120.000 Araber in Israel genießen — mehr, als manche arabischen Sekten, wie die Bahai, in ihrer Heimat haben. Aber das arabische Hauptkommando drohte damals, zurückbleibende Araber als Helfer der Juden zu behandeln, versprach ihnen aber die Güter der massakrierten Juden, wenn sie nach einigen Wochen mit den siegreichen arabischen Heeren zurückkehren würden. Dieser Drohung und diesem Lockrufe folgten die Flüchtlinge. Es waren aber nie 8 50.000, denn es hat auf dem Gebiete Israels nie mehr als eine halbe Million Araber gegeben. Ihre Zahl hat sich nur in diesen sieben Jahren phantastisch vermehrt, nicht nur durch die höchste Geburtenzahl der Welt — vier Prozent im Jahr —, sondern vor allem durch Schwindel bei den Zählungen, Doppelzählungen von Geburten, Verheimlichung von Todesfällen und durch Einschleichen von außen. Alle diese Tatsachen sind bei den Vereinten Nationen bekannt, sie dringen — allerdings gedämpft — aus den Berichten der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near Eeast), aber man wagt nicht, die Folgen daraus zu ziehen.

Gar so arg kann die Lage dieser Flüchtlinge nicht sein, wenn sie Arabern in der Freiheit so verlockend erscheint, daß sie sich mit allen Listen in die Lager einschleichen. Dem europäischen oder amerikanischen Beobachter erscheint sie gewiß nicht verlockend, aber er muß sie mit der vergleichen, die in den meisten arabischen Dörfern herrscht. In keinem zwischen Kairo und Bagdad geschieht soviel für Hygiene, Reinlichkeit, Straßenpflege, Erziehung und ärztliche Behandlung wie in den Flüchtlingslagern. Nichts arbeiten brauchen, ja dürfen — denn die arabischen Regierungen geben ihren Stammesgenossen, außer in seltenen Ausnahmefällen, keine Arbeitserlaubnis —, verpflegt und versorgt werden, den ganzen Tag zu politischen Gesprächen und Versammlungen und die Nacht zur Vermehrung der Zahl verwenden — so mancher arme Araber hat sich so das Paradies auf Erden vorgestellt, und gibt dem tätigen Ausdruck, indem er jede Lücke in den Lagern flugs auffüllte.

Nun soll hier nicht so sehr die Zahl, die Lage oder die Schuld dieser künstlich in Untätigkeit gehaltenen Massen untersucht werden. Auch nicht ihr „Recht auf Rückkehr“, das jedenfalls in der letzten Reihe der 50 Millionen echter Flüchtlinge aus Osteuropa, den arabischen Ländern, Indien, Pakistan, Indonesien, Korea zu berücksichtigen wäre. In keinem anderen Lande wäre die Rückkehr so untragbar . und für die Rückkehrer mit so wenig Vorteilen verbunden. Sondern hier soll vor allem der Verlust untersucht werden, der durch eine verfehlte Politik erstens den Flüchtlingen, zweitens den arabischen Ländern von Jordan bis Irak, drittens der Weltwirtschalit zugefügt wird.

Die Vereinten Nationen geben jetzt 25 Millionen Dollar im Jahr, im ganzen bisher 150 Millionen Dollar für die Erhaltung dieser Flüchtlinge in Untätigkeit aus. Dazu tragen die Vereinigten Staaten und England zwei Drittel, andere Länder ein Drittel weniger 6 Promille bei, die von den arabischen Regierungen beigesteuert werden, die aus dem Oel, das mit fremder Arbeit und Kapital aus ihrem Boden gebohrt wird, eine halbe Milliarde Dollar im Jahre einheimsen. Daraus geben sie drei Zehntausendstel her — nicht einen Groschen mehr —, um die so beklagenswerte Lage ihrer Stammesgenossen in den Lagern aufzubessern; nur einen Bruchteil dessen, was sie an Zöllen und anderen Einnahmen an den für diese eingeführten Gütern verdienen! Da hat Oesterreich für die deutschen Flüchtlinge aus dem Osten mehr getan. Jedem Versuche, die arabischen Flüchtlinge auf ihren weiten, nach Menschen schreienden Flächen anzusiedeln, setzen die arabischen Regierungen einen eisernen Widerstand entgegen. Wieviel sie das kostet, wird gleich gezeigt werden.

Ihre Länder waren einst die fruchtbarsten der Erde. Gewalt von außen und schlechte Verwaltung von innen haben zahllose Bauern von ihrer Scholle vertrieben und die Wirtschaft auf primitivere Nomadenwirtschaft zurückgeworfen. Jede Quadratmeile erzeugt nur einen Bruchteil dessen, was sie erzeugen könnte, alle arabischen Länder Asiens weniger als Schweden allein. Alle politischen Forderungen, alle Bitten um fremde Anlagen, alle Drohungen um mehr Oeltribute, sollten dem Streben weichen, einen modernisierten Bauernstand mit landwirtschaftlichen Industrien zu erzeugen. Die Menschen wären da, das Geld wäre zu haben, aber das gerade Gegenteil geschieht.

Ein Blick nach dem Westen zeigt, was geschehen könnte. Auf der lächerlich kleinen Fläche der 8000 Quadratmeilen Israels wurden mit relativ wenig Kapital und relativ vielen Menschen in wenigen Jahren Milliardenwerte aus dem steinigen Boden gestampft. Auf weniger als einem Prozent der Fläche, die zwischen dem Suezkanal und dem Persischen Meerbusen zur Verfügung stehen, wurde eine doppelte Flüchtlingszahl fruchtbar — fruchtbar für das Land und die Weltwirtschaft — beschäftigt. Die meisten landeten bis aufs Hemd ausgeplündert, viele alt und krank. Sie werden zuerst in Lagern untergebracht, die denen der arabischen Flüchtlinge in mancher Hinsicht nachstehen; die Gesunden werden geschult, die Kranken geheilt, weil man erkennt, daß ein Mensch wirtschaftlich so viel wert ist wie er arbeiten kann. Steinige Wüsten werden in blühende Felder verwandelt. Genossenschaften, in denen man vor ein paar Jahren noch hungerte, besitzen heute landwirtschaftliche und industrielle Betriebe im Werte von Millionen. Das alles konnte unter großen Hindernissen aus kargem Boden, mit viel Arbeit und mit starkem Willen herausgearbeitet werden.

Haß verblendet so, daß man vom Beispiel nichts lernt. Unter unvergleichlich günstigeren Umständen, gestützt auf reichliches Kapital, könnte diese halbe Million Menschen eine Kette von Mustersiedlungen bevölkern, die die Gastländer bereichern würden. Die Vereinten Nationen haben es oft zum Ausdruck gebracht, daß sie Geld viel lieber und reichlicher für An-siedlung als für untätige Ernährung zur Verfügung stellen, würden. Israel hat Entschädigung für die zurückgebliebenen Güter der Flüchtlinge angeboten, sogar ohne sie mit der Entschädigung der ihren echten Flüchtlingen in den arabischen Ländern abgenommenen Werten von viel größerem Umfange zu verknüpfen. In und um diese Musterfarmen könnten, wie in Israel, industrielle Betriebe entstehen, wie sie die Länder zwischen Libanon und Irak dringend brauchen. Eine vorausblickende Sozialpolitik würde etwas vom Lohne der Arbeiter zurückhalten und ihnen die so angesammelten Beträge für Anzahlungen für kleine Bauerngüter zur Verfügung stellen, die im Anschluß an die Maschinen und Verdienstmöglichkeiten des benachbarten Großbetriebes leicht prosperieren könnten. Aus einer halben Million unzufriedener, rastloser, untätiger Menschen wären zufriedene, wohlhabende Bauern und Arbeiter, ja Mitbesitzer industrieller Betriebe gemacht.

Vielleicht fürchtet man sogar die Gefahr dieses Beispiels für die Einstellung der übrigen Bevölkerung. Jedenfalls wird es verhindert. Um wieviel macht das die arabischen Länder ärmer? Bei einer durchschnittlichen Lebensdauer von 44 Jahren und früher Vollendung der Ausbildung kann man mit einer Arbeitsdauer von fast 30 Jahren rechnen. Auf entsprechendes Kapital, d. h. Maschinen gestützt, kann ein Arbeiter in 3000 Arbeitsstunden Werte von weit über tausend Dollar erzeugen, von denen viele bleibend und wachsend sind. Bloß 300.000 Arbeiter könnten daher jährlich mindestens 300 Millionen Dollar produzieren. Durch die Untätigkeit der Flüchtlinge sind also bis jetzt den arabischen Ländern über 2 Milliarden Dollar entgangen; bis ans Lebensende der jetzigen Lagerinsassen würden es 15 Milliarden Dollar werden.

Alles andere scheint aber wichtiger zu sein, als diesen Vorteil zu erlangen. Libanon, das Ansiedlung allerdings am wenigsten braucht, verweigert sie, angeblich, um nicht die kleine christliche Majorität seiner Bevölkerung zu gefährden; es brauchte bloß christliche Araber anzusiedeln, um der Ausrede zu begegnen. Jordan, wohin sich die meisten Flüchtlinge wandten, stöhnt unter der Last seiner großen Lager. Sobald ihre Insassen Ansiedler würden, würde sich die Last in Vorteil verwandeln. Ja, würden die Vereinten Nationen die Ansiedlung mit jener Energie betreiben, die man gegen die arabischen Regierungen mit ihren neun Stimmen und ihrem Stimmenkartell mit den lateinamerikanischen Staaten nie aufbringen kann, so würde bald ein Kampf der Regierungen um eine Quote an den Flüchtlingen als Geldbringer entbrennen.

Diese Tatsachen sind allen bekannt, die sich mit der arabischen Flüchtlingsfrage beschäftigen, von den oberen Funktionären der UNWRA und der UN bis zu der Gruppe hervorragender Vertreter amerikanischer Universitäten, christlicher Organisationen, Bischöfen, Wirtschaftsführern, die schon vor vier Jahren einen Heilungsplan für den fortfressenden Krebs ausarbeiteten. Mrs. Roosevelt, die an Verständnis für die Probleme der Vereinten Nationen und an Sympathie für die Probleme fremder Länder niemandem nachsteht, hat nach einem zweiten Besuche im Nahen Osten sie kürzlich in einem Vortrag im Wesentlichen bestätigt. Wenn das Schicksal von einer halben Million Menschen, darunter von hunderttausenden Kindern, nicht von politv schem Haß, sondern von wirtschaftlicher Einsich bestimmt würde, so könnten einige Länder, die es brauchen, und die Wirtschaft der Welt um Milliarden im Jahre bereichert werden.

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