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Die Wurzeln ihrer Armut

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Zur Entwicklung einer Wirtschaft sind drei Dinge nötig: Land, Menschen und Kapital. Das Verhältnis der drei Faktoren, die zwischen ihnen geschaffene quantitative und qualitative Harmonie, hängt aber von den Menschen ab. Konkreter gesprochen, von deren Willen, deren Fähigkeiten, deren Möglichkeiten, das Land zu nützen und das Kapital zu schaffen. Die hängen wieder von den politischen und sozialen Verhältnissen ab, die sie sich schaffen oder die ihnen aufgezwungen werden.

Diese einfachen Grundsätze lassen sich in allen Winkeln der Erde und in allen Zeiten der Geschichte beobachten. Curaęao, wohl eine der ödesten Inseln der Welt, gelang schon im 17. Jahrhundert, noch ehe es dort Raffinerien für das Oel Venezuelas gab, zu Wohlstand, dank den Flüchtlingen aus Europa, die es besiedelten und von dort aus Handel trieben. Die Wüsten Utahs sind durch die Mormonen, die voę den Verfolgungen des Ostens flüchteten, in blühende Felder verwandelt worden. Israel, einst ein Land, in dem Milch und Honig floß, durch Jahrhunderte von Kämpfen und Mißwirtschaft zu einer Wüste gemacht, ist in 25 Jahren von Einwanderern wieder in einen Garten umgewandelt worden. Dagegen blieb das Drittel Australiens, das leicht bewirtschaftet werden kann, doch durch Jahrtausende in primitivem Zustande, weil die Eingeborenen nur Früchte sammelten und Tiere jagten, also kein Kapital anzusammeln verstanden, bis die weißen Einwanderer, erst zwangsweise, dann freiwillig, kamen und den Erdteil zu einem der reichsten machten. Nordamerika blieb wirtschaftlich unfruchtbar, solange seine Bevölkerung nür kämpfen, das heißt sich gegenseitig Produktions- und Konsummittel wegzureißen verstand, ohne die Schätze über und unter dem Boden zu nutzen, bis die Einwanderer kamen, die das verstanden. Südamerika, genauer das Gebiet zwischen Rio Grande und Feuerland, mit noch größeren Bodenschätzen, blieb dagegen weit zurück, weil — ja, was machte den Unterschied aus?

Die Menschen, gewiß, und das Klima, aber mehr noch die Systeme, unter denen sie lebten und arbeiteten. Wenn wir den Fokus noch verengern: ob es sich für sie lohnte, zu sparen, Ohne Sparen gibt es kein Kapital, und ohne Kapital gibt es keinen Fortschritt. Nehmt den Vereinigten Staaten, oder Deutschland, der Schweiz, das Kapital, das heißt, die Maschinen, die Fabriken, die Schulen, die Straßen, und laßt ihnen nur die Muskelkraft ihrer Menschen, und die entwickeltsten Länder der Welt fallen in die Barbarei zurück — bis sie wieder neues Kapital schaffen.

Wie schafft man aber Kapital? Nur durch Sparen. Kapital ist konservierte Arbeit. Nur wenn der Arbeiter im weitesten Sinne etwas vom Erzeugnis seiner Arbeit aufspart, aufsparen kann, aufsparen will, entsteht Kapital. Erzeugt er viel und verzehrt er alles, so wird weder er, noch die Wirtschaft reicher. Erzeugt er weniger, aber spart er etwas davon auf, werden beide reicher. Erzeugt er viel, so kann er gewiß leichter und mehr sparen, für morgen, für sein Alter, für seine Kinder, und alle werden reicher. Schon morgen, aber noch mehr in zehn Jahren, hilft ihm das Kapital, noch reicher zu werden.

Binsenwahrheiten, Gemeinplätze — gewiß! Aber sie werden nur zu oft übersehen, als Gemeinplätze mißachtet, und daran krankt die Wirtschaft der Welt, ob man sie nun in hochentwickelten, unterentwickelten oder primitiven Ländern beobachtet. Die Entwicklung eines Landes hängt von der Möglichkeit, vor allem aber von dem Willen seiner Bevölkerung ab, möglichst viel zu schaffen und möglichst viel von dem Geschaffenen zu ersparen. Wie kann man diesen Willen erzeugen, anfeuern — oder lähmen?

Durch Zwang, gewiß, aber nur begrenzt. Freiwillig spart der Mensch nur, wenn er die begründete Hoffnung hat, in Zukunft etwas davon zu haben. Nehmt ihm diese Aussicht, und er hört auf zu sparen. Diese Aussicht beruht aber nur auf Sicherheit, auf Sicherheit nach außen, gegen Kriege; Sicherheit nach innen, gegen oben, gegen Willkür der Herrscher, wie immer sie heißen, daß sie nicht das Ersparte an sich reißen oder an sich ziehen können; Sicherheit nach unten, dagegen, daß die, die nicht gespart haben, das an sich reißen, was andere gespart.

So erkennt man, wie- Rechtssicherheit, nach außen, nach oben, nach unten, den Spartrieb zeugt. Ein ausgeglichenes Rechtssystem, das den Schwächeren, auch wenn er der Reichere ist, gegen den Stärkeren schützt, ob das nun der Fürst oder der Rat der Zehn oder eine vielköpfige Bürokratie oder die Masse ist. Raub kann auch ohne Gewalt geschehen durch religiöse oder pseudoreligiöse autokratische Irrlehren, durch Inflation, durch Steuerkonfiskation — die Entwicklung des Staatsmechanismus hat tausend Mittel erzeugt und verfeinert, um den Raub zu verschleiern, aber keines, um die Wirkung zu vermeiden.

Wandern wir mit diesem Ariadnefaden durch das Labyrinth der „unterentwickelten Länder",? Wir finden, daß deren Völker an ihrem Schicksal selbst „schuld“ sind. Es ist ihnen nicht gelungen, Sicherheit zu erzeugen. Gewiß kann man nicht jenen, die bis hoch hinauf Objekt des Systems sind, die Schuld aufbürden. Die haben die Schuld, von denen die Rechtsstruktur des Landes abhängt, wo immer sie sitzen. Die Menge muß immer für die Schuld der Wenigen büßen. Sind die Führer so einsichtig, ihren Machtdrang hinter das Wohl der Geführten zu stellen, also auf dem Gebiete der Wirtschaft, den Spartrieb durch Sicherheit zu stärken, so entwickelt sich das Land. Geht ihnen, wie meist in der Geschichte, ihre Macht vor, so bleibt die Entwicklung des Landes zurück. Nur jene sind daran schuld, die das Rechts- und Wirtschaftssystem des Landes bestimmen.

Die wirtschaftlichen Scheinerfolge totalitärer Länder dürfen darüber nicht täuschen. Es kommt nicht nur auf die Menge, sondern auch auf die Verteilung des Kapitals an. Ein Land, in dem die Kapitalmasse in der Hand des Herrschers oder Weniger konzentriert ist, bleibt doch zurück — Schulbeispiel: das totalitäre Feudalsystem Saudi-Arabiens. Der wirtschaftliche Zustand Sowjetrußlands und Rotchinas ist trotz aller Erfolge gewaltig zurückgeblieben gegenüber jenem, den der freiwillige, durch Sicherheit geweckte Spartrieb ihrer Völker geschaffen hätte. Die Herrscher wären weniger reich, aber die Beherrschten unvergleichlich reicher. Es ist ein Axiom: totalitäre Systeme erzeugen eine reiche Regierung im armen Volke. Sie machen die Regierungen reicher und die Völker ärmer, als beide in der freien Wirtschaft wären. Es mag in der Geschichte Situationen geben, in denen Völker nur durch Zwang zur Kapitalbildung angehalten werden können. Das Ergebnis haben wir schon in der Schule durch die Erzählung vom Mantel und der Sonne und dem Wind gelernt. Es soll hier nicht untersucht werden, ob die Lage der Völker zwischen Weichsel und Pazifik Zwang nötig machte. Zwischen Sudeten und Karpaten war es sicher nicht der Fall. Dort brauchte man den Völkern nur die Früchte ihrer Arbeit lassen. Es gibt mitunter, aber seltener, als man glaubt, primitive Zustände, denen nur primitive Systeme gerecht werden können, wie es die etatistischen und totalitären Systeme sind.

Nehmet das „übervölkerte“ Indien und das „leere“ Mesopotamien. Wären die 1,2 Millionen Quadratmeilen Indiens von ihren zuletzt 380 Millionen einheimischer Bevölkerung durch die Jahrhunderte so intensiv entwickelt worden wie die 8000 Quadratmeilen Israels in den letzten zehn, genauer 25 Jahren von ihren jetzt zwei Millionen Einwanderern, so könnte die ganze Bevölkerung Asiens auf dem Gebiete Indiens besser leben als sie es heute auf ihren 10,6 Millionen Quadratmeilen tut. Gewiß würde der größere Wohlstand die Zeugung der Kinder bremsen, die Geborenen aber besser und länger leben lassen. Quantität würde durch Qualität ersetzt — auch eine Wirkung des Kapitals. Das sei den Neo-Malthusianern gesagt. Der Spartrieb der Inder wurde aber durch Unsicherheit sterilisiert, so daß Milliarden trotz des angesammelten Kapitals sich in Schmuck flüchteten, den man leichter verbergen und mitnehmen kann als Fabriken und Maschinen. Unter britischer Sicherheit sammelten sich Kapitalansätze — nicht genug, weil die Briten sich scheuten, in ange-, stammte Bräuche einzugreifen. Jetzt, im sozialistischen Staate verkriecht sich das Kapital wieder. Es wird angefeindet, weggesteuert, weggenommen. Vermöchte man die Milliarden, die bei den 3 80 Millionen Indern verborgen sind, zu mobilisieren, den Sparsinn zu wecken und zu belohnen, so brauchte Indien nicht für die Verwirklichung seiner überraschen Pläne die Hand bittend oder drohend nach fremdem Kapital ausstrecken. Ohne Sicherheit kann auch fremdes Kapital nicht viel nützen, denn es kann nur mit einem Bruchteil seiner Kapazität wirken. Wie Pflanzen, kann man auch die Wirtschaft eines Landes nur organisch, nicht durch vorzeitiges Aufbrechen der Knospen entwickeln.

Mesopotamien, wo vor 9000 Jahren im Dorfe Jarmo die älteste Wiege der Landwirtschaft erstand, entwickelte sich zur Kornkammer Vorder- asiens und ernährte vor 3000 Jahren nach Einführung seines Bewässerungssystems — Kapital! — dreimal soviel Menschen relativ besser als heute. Wodurch wurde das zerstört? Durch Kriege und Bürgerkriege, die die Frucht des Sparens und damit den Spartrieb immer wieder zerstörten. Dann gab der türkische Steuereinnehmer den Rest, der den Bauern die Frucht ihrer Arbeit wegnahm, so daß sie es lieber vorzogen, ihre Farmen zu verlassen und als Nomaden oder Räuber ärmer zu leben. Siedelt die 700.000 — nicht 900.000 — arabischen Flüchtlinge auf diesen 171.000 Quadratmeilen an, von denen nur 80.000 öd sind, aber wieder wie einst in blühende Felder verwandelt werden könnten, sichert sie gegen Nord und Südwest, laßt sie zeigen, was Arbeit zu schaffen vermag, laßt sie sparen und Kapital ansammeln, laßt ihr Beispiel auf die 6 Millionen Iraquis wirken, und man wird sehen, was in zehn Jahren aus diesem unterentwickelten Lande werden kann!

Kann die einwandernde Arbeitskraft und Kapital von außen die Entwicklung eines unterentwickelten Landes fördern? Auch diese Wirkung hängt von der Rechtsstruktur des Landes ab, von der Sicherheit, die es Fremden und Einheimischen, fremdem und einheimischem Kapital bietet — was ja immer untrennbar verbunden ist. — Fremdes Kapital muß auch in richtiger Menge und richtiger Weise einströmen, nicht zur Durchführung kühner Pläne für politische Ziele der Regierung, sondern, zur organischen Befruchtung der Wurzeln der Wirtschaft. E? hat keinen Sinn, einen Traktor mit einem Chauffeur aus Bombay in ein indisches Dorf zu schicken, um dort hundert Arbeitslose zu schaffen. Es ist besser und billiger, diesen hundert Menschen bessere Werkzeuge zu geben, die sie befähigen, doppelt soviel zu erzeugen, und Einrichtungen, die ihnen das Sparen schmackhaft machen, auch wenn die Regierung dann weniger stolz auf ihre Traktorenbilanz weisen kann.

Will man die verschiedene Wirkung einströmenden Geldes beobachten, so blicke man nur nach Saudi-Arabien und nach Kuweit. Nicht Flächenraum und Bevölkerung macht den Unterschied aus. Auch Hunderte von Millionen im Jahr erzeugen bei verschiedenen Systemen einen Unterschied wie zwischen Wüste und Oase. Zur Hebung unterentwickelter Länder gehört also mehr als das Hineinpumpen von Geld. Jedes Land wird von den Menschen geformt, die es bewohnen. Die Menschen jedes Landes werden von dem System geformt, unter dem sie leben. Gebt den Völkern Recht und Sicherheit, und sie schaffen sich selbst die Bedingungen ihrer Entwicklung.

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