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Wirtschaftskrieg -wer wird Sieger?

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Ungeheure Summen werden aufgewendet, um die sogenannten „zurückgebliebenen Länder“ zu gewinnen. Die flüchten sich in den Neutralismus, um die Hände nach beiden Seiten ausstrecken zu können. Aber welcher von den Spendern hat mehr Erfolg, und warum?

Man kann sich nicht verhehlen, daß der „Osten“, das heißt, Sowjetrußland mit seinen Kolonien und, im Abstand Rotchina, mit weniger Aufwand mehr erzielen. Von den verschwenderisch freigebigen Vereinigten Staaten muß gesagt werden, daß noch nie in der Geschichte so viel Haß mit so viel Geld erkauft wurde. Warum? Was sind die Gründe für ein Phänomen, das ein Reisender mit offenen i Augen überall, in Bolivien und Brasilien, in Indien und Indonesien, in Ghana und Ägyten beobachten kann?

Erstens: Eine totalitäre Regierung ist Im Verhältnis immer reicher als eine demokratische. Das Volk mag ärmer sein, aber die Regierung ist reicher. Eine totalitäre Regierung nimmt dem Volke, einer demokratischen gibt das Volk. Daher steht der Sowjetregierung ein größerer Teil des Nationalprodukts ?ur Verfügung als der amerikanischen, und der Vorsprung wächst immer mehr. Eine kommunistische Regierung ist tler einzige Unternehmer und Dienstgeber im Lande, braucht keine Konkurrenz zu berücksichtigen, kann Löhne und Preise diktieren. Das ermöglicht ihr, ungeheure Reichtümer auf Kosten der Bevölkerung anzusammeln, der nur ein geringer Bruchteil des Wertes der von ihr erzeugten Güter für ihre Lebenshaltung überlassen wird — ein viel geringerer, als ein freies Volk sich gefallen ließe.

Die gewaltige Spanne zwischen Löhnen und erzeugten Gütern, durch über eine Generation in Kraft, bringt einen ungeheuren Reichtum in die Hände der Regierung. Das mag durch Schlagworte, „alles gehört dem Volke“, durch Währungskunststücke verschleiert werden. Man kann dem eigenen Volke einreden, daß ein Rubel dreißig Schilling entspricht, und einen Monatslohn von 100 Rubel 3000 Schilling gleichsetzen, obwohl er an Kaufkraft — von einzelnen billig und ganz schlecht gelieferten Gütern wie der Wohnung abgesehen — nur etwa 1000 Schilling entspricht. Man kann idem leicht irregeführten Ausland den Wert des Rubels durch eine Sondersteuer von fast 150 Prozent fälschen. Die Täuschung schwindet, sobald man die Grenze Sowjetrußlands oder einer seiner Satelliten überschreitet.

Den so angehäuften Reichtum kann die totalitäre Regierung hemmungslos dort verwenden, wo es ihr für ihre Zwecke dienlich erscheint. Braucht sie Geld für Weltraumerfolge, für militärische Zwecke, für Gaben an zu gewinnende Länder, zur Bestechung ihrer Führer, für Dumping von Ausfuhrgütern, zum Ankauf von Überschußgütern, so ist der Born unerschöpflich. Niemandem braucht über diese Verwendung Rechenschaft abgelegt zu werden. Erinnern wir uns, daß dasselbe für die Wirtschaftssysteme Hitlers und Mussolinis, Perons und Trujillos zutraf.

Dagegen ist einer solchen Regierung die Lebenshaltung ihres Volkes viel weniger wichtig. Ja, wie zu zeigen sein wird, ist Bescheidenheit und Genügsamkeit des Volkes eine gute Waffe, im Krieg wie im Wirtschaftskriege. Ein niedriges Niveau der Lebenshaltung ist auch leichter und billiger zu heben als ein hohes. Es genügt, von Zeit zu Zeit etwas dafür zu tun und noch mehr zu versprechen, um Zufriedenheit und Hoffnung zu erzeugen. Dafür ist es weniger wichtig, ob ein Volk hoch oder niedrig steht, sondern ob es steigt oder fällt. Ein reiches Volk murrt über die geringste Einbuße seiner Lebenshaltung, ein armes freut sich über die leiseste Besserung seines Elends.

In einer freien Wirtschaft dagegen hat das Volk Einfluß auf die Verteilung des Nationalproduktes zwischen ihm und der Regierung; der eigene Wohlstand liegt ihm mehr am Herzen als die Macht der Regierung; diese kann Löhne und Preise beeinflussen, aber nicht diktieren; sie muß ihre Mittel dem Volke durch Steuern abringen, während die totalitäre Regierung dem Volke nur so viel gibt, wie ihr paßt.

So schafft ein totalitäres System eine reiche Regierung im armen Volke, ein demokratisches eine verhältnismäßig arme Regierung im relativ reichen Volke. Das war immer so, ob der König sagen konnte: „L'etat c'est moi“, ob die Regierung sich Zar oder Kommissar, Volkstribun oder Inkakaiser nannte. Das gibt einer totalitären Regierung aber einen starken Vorteil im internationalen Kampfe.

Zweitens: Ein totalitäres System erzeugt billiger als ein freies System, dank der Arbeit seiner Leibeigenen. Das gibt ihm einen gewaltigen Vorsprung, wenn sie „zurückgebliebenen“ Ländern Güter um einen Bruchteil des Preises anbieten kann, die eine freie Wirtschaft fordern muß.

Geben wir uns keiner Täuschung hin: Die freien Wirtschaftssysteme erzeugen zu teuer. Sie könnten aber billiger erzeugen, wenn sie wirklich frei wären; wenn nicht Monopole von oben und unten, vor allem das gefährlichste Monopol, das Arbeitermonopol, ihre Erzeugung überflüssig verteuern würden. Hier kann nicht auf diese Erscheinung näher eingegangen werden, die ohnehin von vielen Seiten erörtert wurde. Nur soviel ist hier zu sagen: Jede vermeidbare Verteuerung von Gütern und Leistungen schafft nicht nur Arbeitslosigkeit mit allen ihren verhängnisvollen Folgen, sondern bedeutet im internationalen Wirtschaftskampfe Hochverrat.

Im Sowjetsystem ist Arbeitslosigkeit leicht zu vermeiden, weil einfach die vorhandene Arbeit auf die vorhandenen Arbeiter aufgeteilt wird. Sei Lohndiktat und minimalen Löhnen geht das leicht: Im überfüllten Arbeitsfeld wird der Lohn einfach gesenkt, soweit es nicht durch Abkommandierung geleert werden kann. Eine freie Wirtschaft, die in der Lohnbildung wirklich frei wäre, könnte das Dilemma, ob mehr Arbeiter mit niedrigen Löhnen oder weniger Arbeiter mit höheren Löhnen beschäftigt weiden sollen, auch ohne Arbeitslosigkeit lösen, und der Anteil des Arbeiters am Produkt wäre immer noch größer als im Kommunismus.

Drittens: Ein hohes Lebenshaltungsniveau ins Ausland geschickter Arbeiter aller Kategorien ist ein Hemmschuh im Wirtschaftskampf. Wenn man einen amerikanischen oder französischen Dienstnehmer nach Indien, Indonesien oder Irak schickt, so kann man ihm nicht zumuten, dort so zu leben wie die Einheimischen. Man muß ihm sogar eine bessere Lebenshaltung als in der Heimat garantieren, auch einen höheren Lohn bieten, sonst geht er einfach nicht hin.

Ganz anders beim Arbeiter aus Sowjetrußland oder den Satellitenstaaten und gar aus Rotchina.

Durch seine bescheidenere Lebenshaltung steht er aber der einheimischen Bevölkerung näher. Der Verkehr wird nicht durch Neid und den Stachel der Hoffnungslosigkeit vergiftet. Der Einheimische glaubt es gerne, daß er es einmal ebensogut haben wird wie der Russe, wenn er nur dessen Rezept anwendet. Mit freier Wirtschaft die Lebenshaltung des Amerikaners erringen zu können, scheint ihm phantastisch hoffnungslos — außer durch Raub oder Konfiskation.

Wohnung, Kleider, Essen des Russen und Tschechen ist der seinen näher. Daher fühlt er sich ihm auch näher als dem Amerikaner oder Engländer. Der Russe oder Tscheche setzt sich mit ihm in sein ärmliches Kaffeehaus und politisiert mit ihm. Er schlürft mit ihm den Kaffee oder Tee aus nicht ganz reinen Tassen. Der Amerikaner dagegen muß sich in eigens für ihn teuer errichteten Klubs mit Schwimmbassin und Bar flüchten, um den gewohnten Komfort zu finden.

Aus der engeren Fühlung mit den Vertretern des Ostens entwickeln sich aber zahllose Bindungen, besonders mit Beamten und Offizieren, die dem Geschäftsverkehr ungemein nützen, den Vertretern des Westens aber verschlossene Türen bleiben.

Viertens: Den Führern der neuen Länder ist ein totalitäres System erwünschter als ein demokratisches, trotz aller offieller Verbeugungen vor der Demokratie. Der Ruf nach Freiheit ist meist nur der Ruf nach Freiheit, das eigene Volk auszubeuten und die Hilfe des Auslandes für die Führer, nicht für das Volk, zu verwenden. Die unmittelbare Verwendung der Unabhängigkeit liegt in der Schaffung von gutbezahlten Posten für die Anhänger, deren Macht sich wieder in Geld umsetzen läßt. Es gibt tausend tönende Phrasen, um das dem Volk zu verbergen, das wirklich für die Demokratie noch nicht reif ist und daher auf Repräsentanten ganz anderer Art angewiesen wäre. Für das Ausland gibt es die Tabus der Souveränität und Nichteinmischung,'um jeden Einfluß zum Schutz der Menschenrechte auszuschalten. Diesen Bestrebungen dient ein dem Sowjetsystem angeglichenes System viel besser als ein den freien Ländern nachgebildetes. Das schafft ein starkes Band zwischen den Sowjets und den neuen Führern.

Wem diese Darlegungen zu pessimistisch scheinen, der sehe sich nur in der Welt, in Asien, Afrika und Südamerika, um. Er prüfe, wie die neuen Freiheiten verwendet und wie Gelder, die dem Volke zugedacht sind, von den Regierungen verschwendet werden. Er beobachte, wie selbst Länder, die sich dem kommunistischen Einfluß entziehen möchten, wie etwa Afghanistan, Nepal, Malaya bedroht sind. Ob und wie diese Vorteile des Ostens :m Wirtschaftskampf ausgewichen werden könnten, ist nicht Gegenstand dieser Betrachtung. Vorbedingung dafür ist aber Erkennen der Stärken “des Gegnerf und der eigenen Schwächen.

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