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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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HACH JAHRELANGEN KÄMPFEN haben sich die Koalitionsparteien über die „Neuordnung des Oesierreichischen Rundfunks’ geeinigt. Es ist zu fürchten, daß diese „Neuordnung” die alte Unordnung und mif ihr ein fundamentales Mißverständnis sanktioniert. Wobei die Schuld auf beiden Seifen liegt. Kultur kann nämlich nicht gemacht werden. Kultur kann nicht „Gegenstand” von Koalitionsverhandlungen sein. Hier kann der ersten Regierungspartei ein gewisser Vorwurf nicht erspart bleiben: es wäre besser gewesen, sich von allem Anfang an im Sinne der Freiheit, um einen parfeifreien Raum für Kultur, Kunst, Wissenschaft zu bemühen, als spät, zu spät, einzelne propagandistische Aktionen zu starten, die eine Spielfreiheit vortäuschen, die nichf mehr besteht. Nun haben wir es: eine riesige, von beiden Regierungsparteien besetzte Apparatur, ein merkwürdiges Gemisch von Politisierung und Verbeamtung, wobei die Blähung nichf liebenswürdiger wird dadurch, daß man als Statisten auch noch „Vertreter von Wirtschaft und Kunst, der Religionsgemeinschaften und Bildungswerke’ in den „Beirat” (welch ein Unding schon diese Wortschöpfung!) berufen wird. Alle Proteste der Oeffenflichkeit waren umsonst: breite Massen und kleine Gruppen, Eliten, soweit es solche bei uns gibt, haben für eine zeifoffene, mutige Programmgestaltung plädiert, so wie sie in Deutschland vorbildlich von manchen Sendern geschaffen wird. Wo denn auch der Rundfunk und seine Sendungen ständig und stets Gegenstand lebhafter, positiv zu wertender Auseinandersetzungen in der Oeffenflichkeit sind. Mit der „endgültigen" Konstituierung einer im wesentlichen zentralistischen, wohlproportionierten, sfaafsamf- lichen und parteiamtlichen Kultur-, Unterhaltungs- und Propagandamaschine als „Oesterreichischer Rundfunk’ haben alle wirklich die wahre Freiheit liebenden Menschen in Oesterreich eine Schlacht verloren. Die Folgen werden aber alle zu fragen haben. Die innere Stagnierung, das Versinken im Sumpf der Konjunktur, das Erlahmen des Interesses, des wagemutigen Einsatzes für Freiheit, Menschenwürde, Demokratie, wird ja durch nichts sosehr befördert wie durch eine halbbyzantinische, amtlich-parteiamtliche Kultur- und Unterhaltungsproduktion, die alle Kraft aufwendet (und aufwenden mufj), um statt der heißen Eisen Scheinprobleme, statt der wirklich wichtigen Fragen drittrangige Fragen und statt schöpferischer Experimente Ersatzproduktionen dem Publikum vorzustellen. Eine Schallplaftenkultur ist der ärgste Feind innerer Freiheit, einer bewußten Pflege der konstruktiven, schöpferischen Elemente eines Volkes. Wobei es gär nicht so wichtig ist, wer gerade diese und jene Platte bespricht. Oder irren wir uns? Wir lassen uns gerne von der Zukunft korrigieren. Vielleicht ist sie besser als die Vergangenheit, Vielleicht...

WASSER! In den letzten Wochen erfuhren wir von einer, vor allem die österreichische Bundeshauptstadt bedrohenden Wasserkafastrophe. Der Bevölkerung wurde so in Erinnerung gerufen, was das Wasser für unsere Wohlfahrt wie für den Prozeß der Wirtschaft bedeutet. In der Volkswirtschaftslehre rechnet man im allgemeinen das Wasser zu den freien Gütern, also zu jenen Gütern, die in einem solchen Umfang gegenüber dem Bedarf vorhanden sind, daß an ihre Bewirtschaftung nicht gedacht werden muß. Freilich gilt das nichf durchweg. Die Kosten der Wasserversorgung sind aber so gering, daß dem Konsumenten, der zum Beispiel an einem Tag dreihundert Liter Trinkwasser verbraucht, gar nichf bewußt wird, daß er ein knappes Gut konsumiert hat. Die Stadt Wien hat bereits unter ihrem großen Bürgermeister Lueger Unerhörtes für die Wasserversorgung der Wiener getan. Ebenso ist die Gemeindeverwaltung von heute in der Art, wie sie auf lange Sicht die Deckung des Wasserbedarfes der Wiener Bevölkerung sicherstellt, einwandfrei. Aber trofz- dem sind wir in unserem Land und vor allem in Wien nicht für Zeiten außerordentlichen Bedarfes gesichert. Es scheint daher geboten, daß vor allem die Bevölkerung sich des Wasserverbrauches als des Verbrauches eines keineswegs freien, sondern unter Umständen sehr knappen Gutes bewußt wird. Wenn die Sitten des vergangenen Jahrhunderts, die sparsame Verwendung des Wassers für die Körperpflege, noch bestünden, wäre angesichts der absolut gesehen großen Vorräte von einer Wassernof kaum die Rede. Nun aber sind sowohl die Waschgewohnheifen andere wie auch die Wascheinrichtungen. In jenem Maße, in dem Badezimmer eingerichtet werden, wird auch ein zusätzlicher Wasserbedarf unausweichlich. Wenn sich ein Arbeiter nach der Berufsarbeit im „Lavoir” notdürftig wäscht, wird er erheblich weniger an Wasser verbrauchen als dann, wenn er die gleiche Prozedur unter der Brause vollzieht. Dazu kommt aber die Sorglosigkeit im Wasserverbrauch überhaupt. Wie viele haben nicht den Wasserhahn die ganze Nacht über offen, um ein Viertel Milch frisch zu halten? Es geht daher, wenn auch das Wasser In die Vorsorgepolitik einbezogen werden soll, um ein Zweifaches: Erstens darum, daß man entsprechend dem durch (dankenswerte) amtliche Förderung gestiegenen Wasserbedarf neue Reservelager anlegt und zweitens um das sicher schwierigere Bewußtmachen der Tatsache,

daß Wasser eben ein knappes Gut ist. Der Gasverbrauch würde auch in der Zeit extremer Kälte nie so stark ansteigen als der Konsum des Wassers, einfach deswegen nicht, weil der Gasmesser dem Konsumenten bewußt macht, daß er mit dem Verbrauch von Gas zugleich Einkommen mifverbraucht. Gleiches ist nicht bei Wasser festzusfellen. Die Wasserrechnung wird dem Konsumenten in den Stockwerkbaufen kompensiert mit anderen Betriebsausgaben in einem Betrag präsentiert, so daß eine Wasserverschwendung sich kaum als Ausgabe bemerkbar macht. Darüber hinaus muß man sich fragen, ob es richtig ist, das mit hohen Kosten in die Stadt gebrachte Trinkwasser — wie bisher weithin geschehen — zu Zwecken zu verwenden, für deren Erfüllung auch anderes Wasser herangezogen werden könnte.

HOCHSOMMERMANÖVER: Auf vollen Touren laufen die Motoren, die im weltpolitischen Geplänkel eingesetzt sind. Chruschtschow umarmt im westlichsten Schaufenster des Ostblocks, in der Tschechoslowakei, tagtäglich die stalinistische Clique der Allzeit-Getreuen, spricht dabei vor den staunenden Massen, die nach dem Westen sehen, despektierlich über Eisenhower und Tito, so daß selbst die amtliche tschechische Nachrichtenagentur und Presse diese zur Beruhigung und inneren Stärkung der Partei- und Moskautreuen verpaßten Suaden zensuriert, ausscheidet: sie sind, zumindest zum Teil, nichf für die Weltöffentlichkeit bestimmt. Was hinter den Drohungen an die Adresse Belgrads steckt, wird die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall haben diese Schaureise und die Schaureden Chruschtschows in der Tschechoslowakei den Sinn, diese zu beschwören, nichf den Weg Warschaus zu gehen, das eben sich anschickf, Mao Tsefupg zu empfangen. Macht soll demonstriert werden, Macht der Sowjetunion, ungebrochen durch die schweren inneren Kämpfe. Kraft der Abwehr. Dieselbe Kraft der Abwehr will ein anderes, groß angelegtes Manöver demonstriere . 113

Kernwaffen gingen an einem einzigen Tag über den USA nieder. Washington, New York und Dutzende andere Städte sind nur mehr ein Trümmerhaufen. New York allein zählt mehr als vier Millionen Tote und Verletzte. Unter dieser Voraussetzung, auf dem Papier, begannen die letzten amerikanischen Atomwarnmanöver. Präsident Eisenhower flog im Hubschrauber in ein geheimes Hauptquartier. Ungeachtet des Spottes der englischen Presse, daß er eben deshalb bei den letzten Manövern unerreichbar war für die englische Regierung, die ihn im Suezkonflikt nicht sprechen konnte. Die Engländer selbst sind aber gegenwärtig selbst In ein großes Sommermanöver verwickelt. Nasser kündet eine gefährliche Rede an, und läßt gleichzeitig durch Nehru seine Verhandlungsbereitschaft England gegenüber erklären. Neue Hitzewellen 'm Vorderen Orient. — Sommermanöver und kein Ende? Vor den beiden Weltkriegen fanden Manöver jeweils im Herbst statt, zumindest erst nach Beendigung der Ernte. Jetzt toben Manöver in Permanenz. Wobei alle Haupfveransfalfer auf die Abkühlung, auf den Herbst warten: auf die innere Beruhigung und das heißt vor allem auf eine gewisse Innere Konsolidierung in der Sowjetunion, so daß diese wieder einen verhandlungsfähigen Partner abgibt, der nichf angewiesen ist, seine innere Schwäche und seine Umgruppierungen durch spektakuläre Aktionen ab- zusehirmen. Verständlich aus diesem Grunde der Wunsch gewisser amerikanischer Kreise, die in Moskau gerne eine handfeste Militärregierung sehen möchten, die im Inneren Ordnung hält und mif der man verhandeln kann. Wieder einmal scheint da der Westen vor seiner eigenen Potenz zu erschrecken: die Labilität der Verhältnisse in Rußland ist nichf zuletzt geschaffen durch den Eindruck freiheitlicher Lebensve'hälfnisse im Westen auf die Millionen der Infelligenz- berufe, des neuen Mittelstandes und der gehobenen Schichten in der Sowjetunion.

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