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Randhemerkungen zur woche

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Der Herr Minister W al db r unn e r hat die Abhaltung der sonntägigen Bahnhof-Frühgottesdienste für Touristen verboten. Begründung: die Bahnhof -Verwaltung könne keine Bürgschaft für einen ungestörten Verlauf leisten. Eine solche Bürgschaft ist nie verlangt worden und hat sich in der jahrelangen Praxis der Vorkriegszeit auch nicht als nötig erwiesen. Wer sollte auch Störungsversuche eines Gottesdienstes unternehmen? Organisierte Sozialisten oder Kommunisten? Sehr unglaublich. Und wenn aolche Absichten wirklich bestünden, würden die Parteileitungen unschwer das Ihre tun können, um eine die Stellung der Partei kompromittierende und straf gesetzlich zu ahndende Handlung hintanzuhalten. Sonstige Elemente? Gesetzlose Ordnungsstörungen werden mit normalen Vorkehrungen abgestellt werden können. — Das Verhalten des Ministers ist verletzend. Das Verbot schafft einen ernsten Fall. Die Leitung der Sozialistischen Partei, die ihn auf diesen Posten entsandt hat, wird zu prüfen haben, ob die Haltung des Ministers mit der Generallinie der Partei übereinstimmt und mit der Achtung des religiösen Friedens vereinbart werden kann. Von der Antwort wird viel abhängen.

„Ich fordere das bedingungslose Verbot der Atomwaffe! Ich bin dafür, jede Regierung, die als erste von der Atomwaffe Gebrauch macht, als eine Regierung von Kriegsverbrechern zu brandmarken! Ich begrüße den Ersten österreichischen Friedenskongreß...“ Bald werden nach dem Vorbild anderer Länder nun auch in Österreich Listen mit diesen Forderungen in den Betrieben von Hand zu Hand gereicht und um Unterschrift werbende Agenten von Tür zu Tür wandern. Intellektuelle, Männer der Kunst und der Wissenschaft, die Arbeiter der durch eine ausländische Macht kontrollierten Betriebe und vor allem die niederösterreichische Bevölkerung, sie alle werden eine harte Probe zu bestehen haben. Denn es ist gar nicht einfach, seine Unterstützung einer Aktion zu versagen, die mit geschickt ausgesuchten Worten für Ziele wirbt, die anscheinend von allen verantwortungsbewußten Menschen angestrebt werden können, in Wirklichkeit aber Propaganda für eine Partei ist, die dem Gegenteil des Friedens dient. Rechnet man noch die Bedrohung hinzu, bei Niehtunterzeich-nung der kommunistischen Petition als „Friedensfeind“ auf eine andere Liste gesetzt zu werden, so erkennt man, wie groß die Versuchung für manche sein wird, wenn auch mit Widerstreben, eine Sta-tistenrolle in diesem wohlinszenierten Unternehmen auszuüben. Auf Unkenntnis der unter dem Tarnanstrich des Friedens verfolgten Absichten, auf die Einschüchterung der Bevölkerung, nicht zuletzt auf die sprichwörtliche Zaghaftigkeit bestimmter bürgerlicher Kreise ist die Unternehmung berechnet. Offener Blick und etwas Zivil- courage können sie entzahnen.

Dieser Tage wurde bekannt, daß die Gemeinde Wien ihr Wohnbauprogramm für das Jahr 2950 beträchtlich zu erweitern gedenkt. Zu den 4500 Wohnungen, deren Bau bis jetzt vorgesehen war, werden weitere 1000 Kleinwohnungen in jenen Bezirken, die während des Krieges besonders schwere Bombenschäden erlitten haben, errichtet werden. Diese Wohnungen sollen vor allem an junge Ehepaare vergeben, die Baukosten nach Möglichkeit verbilligt werden; letzteres wird durch die Konzentration auf wenige Baustellen in schon aufgeschlossenen Gebieten, durch die Typisierung verschiedener Baubestandteile und die Vermehrung eben der kleinen Wohnungstypen angestrebt. Das ist zweifellos eine erfreuliche Nachricht — erfreulich, weil sie unerwartet kommt und in eine Zelt fällt, in der beschlossene Wohnbauprogramme selten erfüllt und noch seltener überschritten werden. Daß das Wohnungsproblem durch die öffentliche Bautätigkeit allein niemals gelöst werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Schade ist nur, daß man von kommunaler Seite, wie es in dieser Nachricht hieß, nur Stockwerksbauten und keine Siedlungsbauten mehr aufzuführen gedenkt. Denn das bedeutet nicht nur einen Verzicht auf die seit langem als höchst wünschenswert angesehene Auflockerung und organisch Durchgliederung der großstädtischen Häusermassen — wozu gerade nach der gewaltsamen Einebnung ganzer Stadtviertel Gelegenheit wäre —, sondern auch die Negierung zeitgemäßer Einsichten und Er-fßhrungen, die aus kulturellen, sozialen und hygienischen Gründen eine Bevorzugung des Siedlungsbaus anstreben. Gewiß, es mag sein, daß der Stockwerksbau billiger zu stehen kommt als Siedlungshäuser; aber das müßte nicht unbedinpt so sein und beweist nur, daß den modernen, zeit- und materialsparenden Stedlungsbai ynethoden, wie sie in großen Teilen der Welt schon längst gebräuchlich sind, bei uns immer noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Nach der Ermäßigung der Einkommensteuer machten sich die zuständigen SieU lea notgedrungen auf die Suche nach einem Ersatz. Jetzt wurde daraus der Entwurf eines Luxussteuergesetzes geboren. Beabsichtigt ist dabei eine Verlagerung der Besteuerung von steuerempfindlichen Personenkreisen und Objekten auf steuerlich ergiebige und belastbare Bereiche der Wirtschaft. Der soziale Grundgedanke ist zu begrüßen, vorausgesetzt, daß der Begriff „Luxus“ richtig gefaßt wird. Denn „Luxus“ ist ein keineswegs eindeutig bestimmter Begriff. Ein Gegenstand, der gestern Luxus war, kann heute lebenswichtiger Bedarfsartikel sein. Solche Artikel nach ihrer Umwandlung in Bedarfsgegenstände sind schwerlich noch weiter zum Luxusobjekt zu stempeln. Darf der Erwerb einer Badezimmereinrichtung als Übermäßiger Aufwand besteuert werden? Und wie ist's mit der Kunst? Wird man den Ankauf eines Ölgemäldes, der endlich einem unserer durch Mangel an Auftragen schwer bedrängten Künstler aus der Patsche hilft, mit einer Luxussteuer erschweren? So richtig die Grundtendenz des Entwurfs ist, so aufmerksam und überlegt wird das Prinzip in die Praxis zu übersetzen sein.

Man darf es als ein vielsagendes Ereignis bezeichnen, daß auf bedrängtem Boden, in der Sowjetzone Deutschlands, am gleichen Sonntag, im gleichen Geiste gegen die gleiche Gefahr von den Kanzeln der katholischen und der protestantischen Kirchen die Stimmen des katholischen Episkopats und der evangelischen Kirchenleitunp erschollen; die letztere wurde repräsentiert durch den Bischof Dr. Dibelius von Berlin-Brandenburg und im Namen der evangelischen Kirchenleitung durch Dr. Albertz, Dr, Jakoby und Dr. Kräuacher, die seinerzeit dem Brüderrat der Bekenntniskirche, der Führung der mutigen Resistenz gegen den Nationalsozialismus, angehörten. Der Hirtenbrief des katholischen Gesamtepiskopats, der für ganz Deutschland erlassen wurde, wendet sich gegen den Materialismus und die erneuten Versuche, ihm „eine wissenschaftliche Auslegung zu geben und aus ihm eine Lehre und eine Philosophie zu machen“. „Man möchte ihn mit allen Mitteln der Propaganda im Volke verbreiten, vor allem östlich des Eisernen Vorhangs.“ „Laßt euch nicht mißbrauchen“, rufen die Bischöfe dem Volke zu. „Es handelt sich beim Materialismus nicht um rein wirtschaftliche Fragen, nicht um eine notwendige Sozialreform noch um eine gerechtere Verteilung des Besitzes. Der Materialismus ist bis in seine Wurzeln atheistisch und antireligiös. Es handelt sich beim Materialismus nicht um Politik. Die Kirche weigert sich, in den politischen und wirtschaftlichen Kämpfen zwischen den Jcommnnistischen und antikommunistischen Mächten Partei zu er-, greifen. Es ist falsch, daß sie den Kapitalismus unterstützt. Wie der Kommunismus steht auch der materialistische Kapitalismus im Widerspruch zur göttlichen Ordnung. Indem die Kirche den atheistischer Kommunismus verurteilt, will sie einzig und allein die Reinheit des christlichen Glaubens, die Erteilung der Sakramente und die Einheit der Kirche aufrechterhalten.“ — Der protestantische Hirtenbrief, der schon vor einiger Zeit von Dr. Dibelius angekündigt worden war, wendet sich gegen die materialistische Lehre, gegen den Klassen-, Rassen- und nationalen Haß sowie gegen die Gewalt und gibt den Gläubigen „Ratschläge christlichen Verhaltens in Zeiten der Verfolgung“ und sagt: „Wir protestieren gegen die materialistische Propaganda in den-Schulen, Universitäten, Verwaltungen und Staatsorganisationen, die den Materialismus als einzig gültige Wahrheit darstellt. Der Staat hat nicht das Recht, uns gegen unser Gewissen und gegen unsern Glauben eine Philosophie aufzudrängen.“ Der Brief gedenkt dann derjenigen, die „der Gewalt erliegen“, und erklärt: „Wir wissen, daß viele nicht die Kraft haben, der äußeren Gewalt zu widerstehen. Aber da wir selbst unsere Schwäche kennen, empfehlen wir uns mit euch der göttlichen Nachsicht. Wir beten zu Gott, daß niemand sein Gewissen abstumpfen läßt, daß niemand es gleichgültig und als unvermeidlich hinnimmt, daß sein Leben alle Tage mit Lügen angefüllt ist. Jesus Christus, der auferstanden ist, hat Furcht, Sünde und Tod besiegt.“

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