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Dokumente aus dem Kulturkampf des Dritten Reiches

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Eine Aktenpublikation *

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Das Frühjahr 1933 war eine Zeit der Überraschungen. War der Nationalsozialismus, der Ende Jänner die Macht ergriffen hatte, ein anderer als jener, den man bisher aus den Irrgängen Rosenbergscher Pseudowissenschaft, aus wilden Rassentheorien aus seiner Ungebundenheit an christliche Moral und christliche Ordnungsgesetze kannte, oder war er derselbe? Mit Staunen hörte man den neuen Reichskanzler Adolf Hitler am 23. März 1933 in einer programmatischen Rede erklären: „Die nationale Regierung sieht in den beiden christlichen Konfessionen die wichtigsten Faktoren zur Erhaltung unseres Volkstums. Ihre Sorge gilt dem aufrichtigen Zusammenleben zwischen Staat und Kirche ... Ebenso legt die Reichsregierung, die im Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes sieht, den größten Wert darauf, die freundschaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhle weiter zu pflegen und auszugestalten.“

Noch im April 1933 ging der Vizekanzler von Papen nach Rom zu Verhandlungen mit dem Päpstlichen Stuhl und was seit mehr als hundert Jahren nie zustande gekommen war, ein Reichskonkordat, erhielt schon am 20. Juli feierlich die Unterschriften der Vertragsteilnehmer. Am 10. September war das also verbriefte Verständigungswerk von Staat und Kirche bereits in Berlin ratifiziert. Was für Österreich die auf ein gleiches Ziel gerichteten Verhandlungen noch nicht zu erbringen vermocht hatten, das hatte das nationalsozialistische Deutschland in schwunghafter Raschheit erreicht.

Es gab Zweifler, die dem Landfrieden nicht trauten. Andere, auch vornehme Stimmen des Auslandes begrüßten das Konkordat mit großen Erwartungen. Die päpstliche Kurie begnügte sich mit dem Besitze eines gültigen Rechtsinstruments, das ihre Stellung, wie immer es werden möge, juristisch und moralisch stärker machte, als sie ohne diese rechtliche Bindung sein würde.

Die Tinte auf diesem denkwürdigen Aktenstücke war kaum noch trocken, als man von Berlin aus mit offenen Feindseligkeiten begann. Durch eine authentische, jetzt bei Herder, Freiburg, erscheinende, leider im österreichischen Buchhandel noch nicht zugängliche dokumentarische Sammlung* ist jetzt eine aufschlußreiche Übersicht über die Geschichte dieses Kulturkampfes möglich, in dem die Kirche gegen den Einbruch des Nazismus in das Geistesleben des christlichen Abendlandes den Kampf aufnahm. Es geschah dies zu einer Zeit, wo weltliche Mächte die Bedeutung dieses Kampfes und die Reichweite der Entscheidung noch kaum erkannten.

Die Attacke wurde vom Dritten Reiche mit einer Serie von Skandalprozessen gegen katholische Geistliche und Ordensgemeinschaften unter großer Presseaufmachung eröffnet. Die Methode war immer dieselbe, die später auch in Österreich angewendet wurde, um Ansehen und Volkstümlichkeit von Persönlichkeiten des bisherigen öffentlichen Lebens zu brechen: Zuerst unter großer sittlicher Entrüstung ungeheuerliche Anschuldigungen, Verhaftung des Beschuldigten, Verschwinden im Gefängnis. Dann Schweigen. Zufällig hört man dann später einmal, daß aus dem Prozesse nichts geworden war, weil ein Schulderweis nicht erbracht wurde. — So war es bei den meisten dieser Bezichtigungen, die knapp nach dem Abschluß des Konkordats sich zu einem wohlorganisierten Verleumdungspropagandafeldzug gegen die Kirche verdichteten. Man möchte sich fragen, warum die Berliner Machthaber mit solcher Eile und so großem Aufsehen zuerst um den Vertragsabschluß mit dem Vatikan sich bemüht hatten, wenn sie schon vorhatten, diese Friedens- und Freundschaftsbeteuerungen überhaupt nie zu halten. Dr. Simon Hirt, der die jetzt erschienene Aktensammlung mit einer historischen Rückschau begleitet, findet die Erklärung darin, „daß der Vertragsabschluß der Reichsregierung den ersten großen außenpolitischen Erfolg brachte, da die erste moralische Autorität der Welt mit ihr eine vertragliche Regelung über die beiderseitigen Beziehungen einging. Es bedeutete eine außerordentliche Stärkung ihrer Position in den Beziehungen zu den Mächten“. Diese Auslegung ist schlüssig. Auch späterhin waren alle Staatsverträge, welche die Hitlerregierung abschloß, ausnahmslos auf einen augenblicklichen außenpolitischen Effekt und eine gleichzeitige Täuschung des Vertragspartners und der Umwelt berechnet, aber niemals auf eine ernstliche Sinnerfüllung des meritorischen Vertragsinhaltes. So war es mit dem Freundschaftsvertrag mit Polen, so mit dem Abkommen vom 11. Juli 1936 mit Österreich, so mit dem Vertrag mit der Sowjetunion, um nur die auffallendsten Etappen in dieser Politik der bewußten Unaufrichtigkeit und des Täuschungsmanövers zu nennen. Dem Diffamierungsfeldzug gegen die Kirche folgten alsbald Einbrüche in die Rechtsbereiche des Konkordats. Die Bestandrechte der katholischen Organisationen wurden angegriffen, Terror setzte ein gegen den Besuch der Bekenntnisschulen, die Gestapo schickte ihre Spitzel in die Kirchen und begann die Kontrolle des Predigtamtes. Während unter verschiedenem Titel die katholische Presse zurückgedrängt oder ganz erschlagen wurde — das führende Blatt, die „Kölnische Volkszeitung“, hatte man mit einem Tendenzprozeß gegen die Herausgeber disqualifiziert —, ergoß sich aus nationalsozialistischen Verlagen eine Flut von Pamphletenliteratur gegen das Christentum. Unter politischer Patronanz rührte die sogenannte „Deutsche Glaubensbewegung“ unter leidenschaftlicher Verhöhnung des christlichen Glaubens ihre Werbetrommeln. Der Angriff ging gegen den ganzen religiösen Besitz des deutschen Volkstums.

In Berlin machte man kein Hehl mehr daraus, daß man das Konkordat nach Gefallen zu biegen und zu brechen gedenke. Zum dritten Jahrestag seiner Unterzeichnung gab unter dem Titel „Parteiprogramm der NSDAP und Reichskonkordat“ in der Monatsschrift „Deutschlands Erneuerung“ Alfred Richter einen offiziösen Kommentar zu der nunmehrigen Richtung der staatlichen Kirchenpolitik: „Das Reichskonkordat ist in vielen seiner Artikel veraltet und überholt. Es hemmt durch verschiedene seiner Artikel die nationalsozialistische Gesetzgebung und den Aufbau der nationalsozialistischen Volksordnung. Manche der Konkordatsbestimmungen können infolge der seit Konkordatsabschluß gemachten Erfahrungen nicht länger mehr aufrechterhalten bleibe n.“ Dies wurde drei Jahre nach Unterzeichnung des Konkordats geschrieben. Aber Berlin kündigte trotzdem das Konkordat nicht. Es zog den Scheinbestand vor.

In zahlreichen diplomatischen Noten erhob die Römische Kurie Vorstellungen bei der Reichsregierung. Es war, wie wenn diese Noten nie geschrieben worden wären. Nun sahen sich die deutschen Bischöfe genötigt, in ihrem Weihnachtshirtenbrief von 1936 vor die Öffentlichkeit zu treten. Sie gaben eine erschütternde Schilderung der untragbar gewordenen Zustände. Das Echo waren Hohn und Drohungen in der nationalsozialistischen Presse. „Als alle Bemühungen, ein geordnetes und friedliches Verhältnis mit dem Dritten Reich herbeizuführen“, berichtet Dr. Hirt, „nicht zum Ziele führten, entschloß sich der Heilige Stuhl, sich nunmehr wegen der Lage der katholischen Kirche in Deutschland an die Öffentlichkeit zu wenden. Die Erzbisdiöfe von Breslau, Köln und München (die Kardinäle Bertram, Schulte und von Faulhaber), die Bischöfe Graf von Galen und Preysing wurden zur Berichterstattung im Jänner 1937 nach Rom gerufen, um den Heiligen Stuhl über die tatsächlichen Zustände zu informieren.“ Es war die Frage zu beantworten, ob das Konkordat trotz solcher Verletzungen noch aufrechtzuhalten sei. Das Ergebnis war eine Bejahung, da das Reichskonkordat für die Kirche der feste Rechtsboden, „um nicht zu sagen, der einzige Rechtsboden“ sei, von dem aus man verhandeln, Vorschläge an die Reichsregierung machen könne.

Wurden schon die Bischöfe nicht mehr gehört, so mußte Rom zu dem Vertragspartner sprechen. Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, datiert vom 14. März 1937, welche die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich und die dagegen zu erhebenden grundsätzlichen Forderungen klar umriß, gehört der Menschheitsgeschichte als eine jener erhabenen Kundgebungen an, mit denen apostolischer Freimut und Wahrheitsverkündung sich einem gewalttätigen, rechtsbrecherischen Cäsarismus in feierlicher Abwehr entgegenstellten, wo immer Staatsmacht Geist und Gewissen zu zwingen versuchte. Im Eingang der Enzyklika, die nach literarischer Form und Inhalt ein klassisches Meisterstück der Klageführung ist — ihr ganzer Text konnte damals in Österreich noch publiziert werden —, sagte der Papst:

„Der Anschauungsunterricht der vergangenen Jahre klärt die Verantwortlichkeiten. Er enthüllt Machenschaften, die von Anfang an kein anderes Ziel kannten als den Vernichtungskampf. In die Furchen, in die Wir den Samen aufrichtigen Friedens zu pflanzen bemüht waren, streuten andere — wie der inimicus homo der Heiligen Schrift (Math. 13,25) — die Unkrautkeime des Mißtrauens, des Unfriedens, des Hasses, der Verunglimpfung, der heimlichen und offenen, aus tausend Quellen gespeisten und mit allen Mitteln arbeitenden grundsätzlichen Feindschaft gegen Christus und seine Kirche. Ihnen, und nur ihnen, sowie ihren stillen und lauten Schildhaltern fällt die Verantwortung dafür zu, daß statt des Regenbogens des Friedens am Horizont Deutschlands die Wetterwolke zersetzender Religionskämpfe sichtbar ist.“ Man wußte in Rom bereits genug, um sich nicht auf die Bestimmung des Konkordats zu verlassen, daß der Verkehr des Papstes mit den Bischöfen in Deutschland frei sei. Die ersten Drucke der Enzyklika wurden in der Vatikanischen Druckerei hergestellt, gelangten glücklich nach Deutschland und wurden dort den einzelnen Ordinariaten durch Sonderkuriere zugestellt. Jede Diözese hatte für die Vervielfältigung und Verteilung an die Pfarreien zu sorgen. Da und dort fand sich keine Druckerei mehr, die sich an die Herstellung wagte; die Zustellung an die Pfarreien mußte — ohne Post — durch Boten geschehen. Die Verlesung sollte am 21. März von den Kanzeln erfolgen. In München beschlagnahmte die Gestapo noch vor der Verlautbarung 4000 Exemplare und vernichtete den Satz; 12 D r u c k e r e i e n, die in verschiedenen Diözesen den Satz besorgt hatten, wurden geschlossen, ohne Entschädigung enteignet, einzelnen Firmen die Gewerbeberechtigung überhaupt entzogen.

Diesmal reagierte die Reichsregierung rasch: Schon mit 23. März erhielten die Bischöfe einen „S c h n e l l b r i e f“ des Kirchenministers, in dem das päpstliche Rundschreiben als „schwere Verletzung“ des Reichskonkordats hingestellt, die den inneren Frieden d e r V o l k s g e m e i n s c h a f t ge f ä h r d e, und die Vervielfältigung und jede Form der Verbreitung den Bischöfen mit Berufung au? das Konkordat verboten wurde. Als Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz zögerte der Erzbischof von Breslau Kardinal Bertram nicht, in einem Protest gegen das Verbot dem Minister am 26. März eine ebenso männliche wie wohl-geschliffene Antwort zu geben: Wie dem Heiligen Stuhl, so sei auch den deutschen Bischöfen „eine öffentliche Aufklärung des gläubigen katholischen Volkes erforderlich erschienen, eine Kundgebung, die einzig der Bewahrung derjenigen geistigen Güter gewidmet ist, die nach christlicher Lehre das höchste geistige Gut der Menschheit bilden. Nicht um Kampf gegen das deutsche Staatswesen handelt es sich, sondern um ein von tiefster Sorge geleitetes Zurückrufen zu den Grundsätzen und Absichten, die zur Zeit des Konkordatsabschlusses beiderseits feierlich verkündet sind. In Wahrung seiner Ehre weist der deutsche Episkopat insbesondere den Vorwurf mit aller Entschiedenheit zurück, die Verbreitung "des päpstlichen Rundschreibens verstoße gegen die Treupflicht der Bischöfe.“

Kirchenminister K e r r l antwortete auf diesen im Namen des ganzen deutschen Episkopats vorgetragenen Protest des Kardinals mit einer Note, die ganz den Stempel jenes überheblichen Geistes trägt, der in der Welt so viel Unwillen erregt hat. Nach einer einleitenden Erklärung, daß die Verbreitung des in so schroffer Weise dem Wohl und den Interessen des deutschen Staatswesens widersprechenden päpstlichen Rundschreibens unter keinen Umständen geduldet werden kann“, fährt der Minister fort:

„Die Tatsache, daß dieses päpstliche Rundschreiben nicht nur an die deutschen Bischöfe, sondern an sämtliche Oberhirten der römisch-katholischen Kirche gerichtet ist, erweist, daß das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche die Welt gegen das neue Deutschland aufrufen wollte. Es handelt sich mithin in diesem Rundschreiben nicht etwa nur um zu erreichende religiöse, sondern letzten Endes um politische Zwecke. Das Weltecho, das dieses Rundschreiben bei den außenpolitischen Gegnern sowie auch in sonst katholikenfeindlichen Kreisen gefunden hat, sollte dem deutschen Episkopat zu denken geben. Ich hätte angenommen, daß es Sie, Herr Kardinal, zu etwas größerer Zurückhaltung bei der Abfassung Ihres Protestschreibens hätte veranlassen sollen. Sowohl der Wortlaut des päpstlichen Rundschreibens wie andere Verlautbarungen lassen erkennen, daß der Heilige Stuhl seinerseits nicht daran denkt, das für ihn günstige Konkordat aufzugeben. Um so mehr muß es bei dieser Haltung verwundern, daß zuwider allen diplomatischen Gepflogenheiten und zudem inmitten diplomatischer Auseinandersetzungen der Heilige Stuhl sich nicht scheut, unmittelbar an das katholische Volk in Deutschland zu appellieren und dieses gegen die Reichsregierung aufzurufen. Ich bedauere, feststellen zu müssen, daß selbst diese Tatsachen dem deutschen Episkopat keine Veranlassung gaben, in Sorge um das Wohl des Vaterlandes beim Heiligen Stuhl hemmend und mäßigend zu wirken, daß der deutsche Episkopat vielmehr sich völlig hinter das päpstliche Rundschreiben stellt und sich zum willigen Vollzugsorgan seiner obersten Kirchenleitung macht.“

Gegen Schluß seines Amtsschreibens steigert sich Ton und Vorbringen des Ministers zu noch größerer Heftigkeit und drohender Insinuation:

„Sie, Herr Kardinal, wissen und müssen wissen, daß die Haltung des katholischen Klerus in den vergangenen Jahren die Herbeiführung einer Einigung dadurch erschwerte, daß überaus zahlreiche Äußerungen und Taten von Seiten des Klerus auf seine feindliche Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat schließen ließen.“

Der Minister müsse den Kardinal darauf verweisen, daß in der Zeit vom 1. Jänner 1936 bis 31. März 1937 vom Reichsjustizministerium 2877 Anzeigen über eingeleitete gerichtliche Strafverfahren gegen katholische Geistliche eingelaufen sind, und es müsse dem Kardinal „bekannt geworden sein, daß eine unerhörte Zahl von Sittlichkeitsverbrechen innerhalb verschiedener Orden vorgekommen sind. Ebensowenig wie bei den Devisenvergehen von Geistlichen sei in diesen Fällen eine öffentliche Verurteilung der Täter von Seite der kirchlichen Oberen erfolgt.“ Nach dieser Beugung der Wahrheit sagt der Minister, er verstehe nicht, daß „Sie, Herr Kardinal, den Mut haben, gegen das päpstliche Rundschreiben kein Wort der Kritik zu finden, sondern vielmehr in Ihrem Protestschreiben dieses Rundschreiben in jeder Hinsicht zu unterstützen wissen. Sie, Herr Kardinal, werden es daher verstehen müssen, daß ich nach Kenntnisnahme von diesem Protestschreiben im Zusammenhang mit all den von mir seit Übernahme des Kirchenministeriums gemachten Erfahrungen nicht mehr die Überzeugung aufzubringen vermag, daß der deutsche Episkopat die Sorge um das Wohl und die Interessen des deutschen Staatswesens jemals über die vermeintlichen Interessen seiner Kirche stellt.“

Fast zu gleicher Zeit richtete „erhaltenem Auftrag gemäß“ der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl Dr. von Bergen an Kardinalstaatssekretär P a c e l l i ein Schreiben, in dem er „dem größten Befremden der Reichsregierung“ über die Enzyklika Ausdruck gibt, diese sehe sich veranlaßt, „dieses Vorgehen des Heiligen Stuhles auf das schärfste zu verurteilen“. In dem Kernstück seiner Note sagt der Botschafter:

„Der Heilige Stuhl hat jedoch niemals auch nur den Versuch gemacht, die nationalsozialistische Gedankenwelt zu verstehen und sich in die besonders gelagerten deutschen Verhältnisse hineinzuversetzen. Im Gegenteil läßt das Rundschreiben vom 14. März, ebenso wie viele der 'ihm vorausgegangenen Noten des Heiligen Stuhles, jeden guten Willen zu einem solchen Verständnis vermissen, das doch von der Deutschen Regierung als erste Voraussetzung für das im Reichskonkordat angestrebte Freundschaftsverhältnis angesehen werden mußte.“

Die hohe Schule vatikanischer Diplomatie bestimmte Form und Sachgehalt der Antwort des Kardinalstaatssekretärs. Aus diesem umfangreichen Aktenstück können hier nur kurze Proben wiedergegeben werden. Es mußte in diesem Notenwechsel dem deutschen Botschafter geschehen daß ihm selbst Unkenntnis der üblichen Formen päpstlicher Enzykliken nachgewiesen wurde, da er die traditionelle Anrede auch an „die anderen Oberhirten, die in Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhle leben“ als Aufrufung der Welt gegen das neue Deutschland bezeichnet hatte. „Dieser Schluß“, konnte der Kardinalstaatssekretär erwidern, „ist ebenso abwegig wie kennzeichnend für die Geisteshaltung, aus der an die Wertung der Enzyklika herangegangen wurde.“

„Im übrigen“, erinnerte der Kardinalstaatssekretär sein Gegenüber: „haben die Deutsche Regierung und die sie tragende Partei auch in weltanschaulichen Fragen ihrer Propaganda nie geographische Grenzen gezogen. Es ist daher doppelt unverständlich, wie sie sich durch eine aufklärende Abwehr der Kirche beschwert fühlen können.“

Wenn man sich auf der anderen Seite auf den vom Dritten Reiche gegen den Bolschewismus geführten Abwehrkampf berufe, so könne „eine Feststellung wahrheitsgemäß nicht unterbleiben. Zwischen der offiziellen Programmatik der antibolschewistischen Abwehrfront und der geschilderten Praxis bestehen Kontraste, die ebenso beredt wie peinlich sind.“

Eine „Diagnose der Konfliktslage“ Zusammenfassend schloß die vatikanische Note: „Nach der sachlichen Seite muß abschließend geltend gemacht werden, daß der grundlegende, die gesamte Betrachtungsweise der Deutschen Regierung verschuldende Sehfehler der ist, die Ursache der bestehenden Konflikte auf politischem Gebiet zu sehen und in politischen Strömungen und Strebungen auf deutscher kirdilicher Seite. Je schneller und endgültiger die Deutsche Reichsregierung sich entschließen kann, diesen Bestandteil journalistischer Polemik aus den amtlichen Erwägungen und dem V e r h a n d l u n g s v e r k e h r mit dem Heiligen Stuhl auszuschalten, um so eher wird die Atmosphäre entstehen können, in der, wie die Note vom 12. d. M. sagt, "von beiden Teilen, Staat und Kirche, am Wohl des deutschen Staatsvolks und Kirchenvolks gearbeitet werden kann" Die erste und wesentliche Bedingung für die Erreichung dieses im beiderseitigen Interesse erstrebenswerten Zieles ist die Lösung der Staatsführung und der den Staat tragenden Bewegung aus der steigenden Umklammerung und Durchdringung mit den weltanschaulichen und antichristlichen Strömungen, die vom Kampf gegen die Kirche leben und aus diesem Kampf ein Lebensgesetz und eine Lebensvoraussetzung für den deutschen Staat ihrer Prägung und ihres Geistes machen wollen. Diese Diagnose der Konflikt s l a g e wird hier nicht zum erstenmal dem Staat nahegebracht. Sie wird nur mit der durch die Erfahrungen bedingten, beschwörenden Eindringlichkeit wiederholt. Am deutschen Staate und an seiner Führung ist es, w e n i g s t e n s j e t z t die Entschließungen zu treffen, denen bisher immer ausgewichen worden ist.“ Alle Warnung war umsonst. Das Verderben mußte seinen Lauf nehmen. Drei Jahre nach diesem Notenwechsel war die gesamte katholische Presse Deutschlands erschlagen, die vom Konkordat garantierte Bekenntnisschule aufgehoben, selbst die rein innerkirchliche Tätigkeit gedrosselt, das offene christliche Bekenntnis von Erziehern und Beamten unter persönliche Gefahr gestellt. Tausende Priester und Ordensleute aus dem Machtbereiche des Staates schmachteten in Kerkern und Konzentrationslagern, nicht wenige kamen unter das Fallbeil. Und jedermann wußte es: Nach dem angekündigten „Endsieg“ sollte auch die „endgültige Abrechnung mit der Kirche“ einsetzen. Es ist eine andere Abrechnung gekommen Und da irdische Gerechtigkeit immer eine unvollkommene ist, haben nun mit den Schuldigen auch die Unschuldigen tiefgebeugt an der harten Buße mitzutragen.

* „Mit brennender Sorge. Das päpstliche Rundsdireiben gegen den Nationalsozialismus und seine Folgen in Deutschland. Aus der Sammlung: ,Das christliche Deutschland 1933 bis 1945.' Verlag Herder in Freiburg.“

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