6647357-1958_32_05.jpg
Digital In Arbeit

Gewitter über der Jasna Gora

Werbung
Werbung
Werbung

Darüber waren sich die Kenner der Verhältnisse von vornherein klar, daß der Umschwung, den der „polnische Frühling“ vom Oktober 1956 bedeutete, wesentlich an das Bestehen eines guten Einvernehmens zwischen dem Staat und dessen derzeitigen Lenkern einerseits, der katholischen Kirche anderseits geknüpft war. Die sonstigen Errungenschaften der historischen Tage von vor bald zwei Jahren — Lockerung der wirtschaftlichen Bedrängnisse, Verschwinden des Polizeidrucks, größere Freiheit, zu reden, zu schreiben und zu drucken, mehr äußerliche Achtung der polnischen Eigenstaatlichkeit durch die UdSSR, behutsames Oeffnen der Pforten zum geistigen Verkehr mit dem Westen, Erleichtern der Auslandsreisen — das kam in zweiter Linie, und es ging zumeist die breiten Massen wenig an. Man durfte diese Tatsache beobachten, als die Machthaber, unter ständigem und wachsendem Druck Moskaus und der einheimischen „Dogmatiker“ ein Zugeständnis nach dem anderen abbauten, ohne daß derlei außerhalb des relativ engen Kreises der Intellektuellen irgendwelche Aufregung hervorgerufen hätte. Wie sehr der westliche Beobachter auch darob erstaunen mag, die kümmerliche „Höhe“ des Realeinkommens der Bevölkerung hat bisher zu keinen chronischen Aeußerungen des organisierten Mißvergnügens geführt. Einzelne Verzweiflungsausbrüche, wie der Streik der Straßenbahner in Lodz, waren schnell erledigt, wobei sogar die Sympathien der Einwohner vorwiegend den Behörden gehörten. Ganz anders ist es mit dem beschaffen, was man in Polen den „religiösen Sektor“ nennt.

Die katholische Mehrheit dürfte in den kleineren Städten wie auf dem Dorfe, in denen rund zwei Drittel der Polen hausen, weit mehr als neunzig Prozent betragen, auch in den Großsiedlungen — Sonderfälle wie die sozialistische Neugründung Nowa Huta ausgenommen — sehr stark sein. Diese gläubige Majorität, die an und für sich den heutigen Zustand mit Resignation erträgt, ist sofort bereit, zum passiven und, wenn sie von den kirchlichen Autoritäten auch nur im leisesten dazu ermutigt würde, zum aktiven Widerstand zu schreiten, wenn die religiöse Freiheit neuerlich angetastet erschiene. Gomulka und sein Team wußten und wissen das sehr wohl. Sie haben deshalb, obzwar persönlich überzeugte Materialisten, vor allem den unter Bierut zerstörten Modus vivendi mit der Kirche zu erneuern getrachtet. Während eines Jahres hat sogar eine Art Entente, um nicht zu sagen ein umgrenztes Bündnis zwischen Kardinal Wyszynski und Gomulka, zwischen Partei und Kirche existiert, das sich für den inneren Frieden segensreich auswirkte. Seit Ende 1957 begannen die Gegner einer leidlichen Symbiose der beiden, an sich miteinander unvereinbaren Weltanschauungen Katholizismus und Kommunismus an der Störung dieses Waffenstillstandes vehement zu arbeiten. Es wäre indessen ein erheblicher Irrtum, hielten wir dabei die Kommunisten für das einzige oder gar die Equipe Gomulkas für das aufs emsigste treibende Element. Die Angriffe gegen die Kirche, gegen die „Dunkelmänner“, deren Einfluß auf das polnische Volk nur noch im Aufstieg war, rührten von zwei Seiten her: von den sturen, fanatischen Stalinisten innerhalb der herrschenden Marxistenpartei (PZPR), die es dem jetzigen Kurs nicht verziehen, Duldsamkeit, ja Freundlichkeit gegenüber den Anhängern „mittelalterlichen Aberglaubens“ zu gewähren und die Gomulkas Kirchenpolitik als eine der Waffen im Kampf gegen den ihnen verhaßten ersten Parteisekretär gebrauchten; sodann von einer Schicht liberaler, in ihrer Geistigkeit an die französischen Radikalen der Aera Combes erinnernden Publizisten, Schriftsteller und Gelehrten, die anfangs Gomulka heiß unterstützt hatten, später aber gegen ihn und gegen die neuerlichen Einschränkungen der sich aktiv betätigenden Gedankenfreiheit auftraten. Das waren sowohl die Leute von „Po Prostu“ als auch die Journalisten der angesehensten Kulturwochenschrift „Nowa Kul-tura“ und der Tageszeitung der Gebildeten „Zycie Warszawy“: die Abneigung gegen Kirche und religiöses Bekenntnis jeder Art fand ihr eigenes Organ in der Zeitschrift „Argumenty“, die unter der Patronanz des nichtkommunistischen Freidenkers und Präsidenten der Akademie der Wissenschaften (PAN), Professor Kotarbiriski, steht. Eine Gegellschaft zur Förderung des atheistischen Unterrichts sorgt für Schulen, an denen die Kinder keinen Religionsunterricht bekommen (während auf Grund des zwischen Staat und Kirche getroffenen Abkommens an öffentlichen Erziehungsanstalten ein fakultativer Religionsunterricht erteilt wird, an dem mit sehr geringen Ausnahmen alle Kinder teilnehmen).

Die Häkeleien und Sticheleien nahmen vom Gebiet der Jugenderziehung ihren Ausgang. Sie griffen hierauf einzelne Personen des niederen Klerus und „rückschrittliche“ Kleinstädter, Bauern an, die ihrerseits mit ihren aufgeklärten Mitbürgern in Streit lebten. Die Person Kardinal Wyszynskis und der Episkopat im allgemeinen wurden zunächst verschont. In den Zeitungen wimmelte es allmählich von pathetischen oder ironischen Ausfällen gegen den Köhlerglauben der „Fideisten“. Den wenigen zugelassenen katholischen Organen wurde jedoch von oben her eine beachtliche Freiheit der Polemik zugebilligt. Ein erstes schlimmes Zeichen war darin zu erblicken, daß dem Primas zu Weihnacht 1957 die Verbreitung seiner Ansprache durch den Rundfunk unterbunden und daß später die Veröffentlichung eines seiner Sendschreiben im „Tygodnik Powszechny“ verboten wurde.

Seit dem heurigen Frühjahr machen die Polemiken nicht mehr vor dem Oberhaupt der Kirche Polens halt. Die anläßlich des herannahenden Milleniums der Eigenstaatlichkeit des Piastenlandes oder eher seines Eintritts aus dem Nebel der Vorgeschichte in die hellere Sicht der Geschichte unternommenen Vorbereitungen haben den Vorwand geliefert, um Wyszynski als Feind der heutigen Volksdemokratie darzustellen. Er mahnte in einem Hirtenbrief an den christlichen Charakter der nationalen Vergangenheit seiner Heimat, deren Einordnung in die europäische Gemeinschaft ja mit der Annahme des Evangeliums zusammenfiel. Er forderte die Gläubigen auf. sich dieses Zusammenhangs stets bewußt zu bleiben Grund genug, um sowohl die kommunistischen als auch die bürgerlich-radikalen Atheisten zu empören.

Ein nächster Konflikt hatte einen sehr irdischen Hintergrund. Die amerikanischen. Polen, die durchweg kirchentreu sind und die in ihrer:großen Mehrheit das Warschauer Regime ablehnten, die aber Gomulka anfangs mit mjj-deren Au?en betrachteten, hatten, nicht zuletzt dank den Bemühungen eines vom Primas nach den USA entsandten Bischofs eine wertvolle Sendung an Kleidern, Haushaltartikeln, Lebensmitteln gespendet. Auf diese Gaben legte nun die Regierung einen hohen Zoll, den sie nur unter der Bedingung nachlassen wollte, daß sie und ihre Beauftragten bei der Verteilung das maßgebende Wort zu reden hätten. Darauf wollte und konnte sich aber die Hierarchie nicht einlassen, denn erstens wäre das dem Wunsch der Schenker strikt entgegen gewesen, zweitens — warum das leugnen? - hätte sich die Kirche dadurch der Möglichkeit entschlagen, auf breite Schichten einen günstigen Einfluß zu nehmen, die nicht gerade den geistigen Auseinandersetzungen besonders zugänglich sind. Hier wiederholte sich ein Wettstreit, der bereits um die „Caritas“, die allumfassende katholische Wohltätigkeitsinstitution, entstanden war. Gomulka konnte sich, obzwar er Rückgabe dieser wichtigen sozialen Einrichtung an die Hierarchie und an deren Vertrauensleute versprochen hatte, nicht dazu aufraffen, dieses Machtinstrument aus der Hand des durch die PZPR gelenkten Staates in die der rechtmäßigen Leiter der „Caritas“ zurückzuführen. Ueber . die amerikanischen Spenden entbrannte ein böser Hader, der bis auf diesen Tag nicht beigelegt ist.

Dieses war der zweite Streich, doch der dritte folgt sogleich. '

Am 22. Juli wird alljährlich die Veröffentlichung des sogenannten Lubliner Manifests festlich begangen, das Anno 1944 unter dem Schutz der sowjetischen Heere die Volksdemokratie in Polen begründete. Truppenparaden, Aufzüge der Partei und überhaupt der „Werktätigen“ finden statt. Auch viele, die dem Regime nicht sehr hold sind, benützen gerne den Anlaß, um abends auf den Straßen zu tanzen und noch mehr über den Durst zu trinken, als sonst des Landes der Brauch ist. Diese Genüsse werden freilich durch „Akademien“ erkauft, die man am Vorabend über sich ergehen lassen muß, wobei die Herrschenden sich und ihre Verdienste, dazu nun wieder den mächtigen sowjetischen Protektor gebührend preisen. Offenbar zur weiteren Vorfeier des Tages erschien heuer der Staatsanwalt in Begleitung von zwei

Dutzend Polizisten im Nationalheiligtum auf der Jasna Gör bei Czstochowa, um im dortigen Kloster nach aufrührerischen Erbauungsschriften zu suchen und so nebenbei das dortige Privatarchiv des Primas zu durchsuchen. Diese Stätte frommer Pilgerschaft, an der mitunter bis zu einer Million Gläubige zusammenströmen, ist den Kirchenfeinden ein Dorn im Auge. Ob sich da die Volksmassen versammeln oder katholische Intellektuelle — Juristen, Aerzte, Schriftsteller — zu Tausenden erscheinen, oft vom Primas begrüßt und mit einer seiner klugen, beschwingten Ansprachen empfangen: den Be-kennern der wahren wissenschaftlichen Weltanschauung regt sich die Galle. Am 13. Juli konnte man im Krakauer „Dziennik Polski“ eine heftige Abrechnung mit den „Stimmungsmenschen“ lesen, die „niemals über das Wesen der Welt nachgedacht“ hätten. War dieser Kampfruf einer streitbaren Dame das Signal zum neuen Sturm auf die Jasna Göra (der erste, zur Schwedenzeit, war unter heute wieder von den Historikern leidenschaftlich erörterten Umständen mißglückt)? Diesmal siegten 200 „Bürgermilizanten“ über die Mönche und deren Anhang. Die Presse durfte vorerst nichts über den Vorfall berichten. Doch der Primas legte scharfen Protest bei der Regierung ein, und in seinem Auftrag verlas man am folgenden Sonntag von allen Kanzeln einen Hirtenbrief mit der Darstellung des Zwischenfalls in CzQstochowa. An höchster Warschauer Stelle wurde diese Episode sehr peinlich empfunden. Gomulka hatte sichtlich den Antiklerikalen nachgegeben, um gegen die ihm arg zusetzenden „Dogmatiker“ innerhalb der PZPR größere Bewegungsfreiheit zu erringen. Doch er und seine engsten Freunde - voran Spychalski, Bienkowski. Kliszko — wollen zweifellos keinen offenen Bruch mit der Kirche. In aller Hast ist der ständige Ausschuß für die Beziehungen beider Gewalten zusammengetreten. Die Bischöfe Klepacz und Choromanski haben sich gemeinsam mit Kliszko und dem Minister für Kultusangelegenheiten, Sztachelski, um Entspannung bemüht. Als versöhnliche Geste und um der antiklerikalen Propaganda eines ihrer Argumente zu entziehen, sind die Vertreter des Episkopats bereit gewesen, künftig keine Druckwerke in Klöstern herstellen zu lassen. Womit die Frage der „gefährlichen“ religiösen Bücher vorläufig bereinigt ist. Anderseits scheint von staatlicher Seite die Zusicherung gegeben worden zu sein, daß die Polizeiorgane nicht wieder in die unter Bierut gegenüber der Kirche üblichen Methoden verfallen.

Auch andere Anzeichen deuten an, daß wenigstens „auf höchster Ebene“ die Neigung fortdauert, den mühsam hergestellten Modus vivendi nicht zu zerschlagen. Beweise dafür kann man etwa in einigen Ernennungen finden, durch die Katholiken auf wichtige Posten kamen. So wurde ein ehemals führender „Pax“-Mann, der aber später von Piasecki abgerückt ist, Wojciech Ktrzynski, zum Generalkonsul in Montreal (Kanada) befördert. Dennoch bleibt die Lage der Kirche in Polen labil, und die skeptischen Beurteiler des Einvernehmens mit Gomulka verkünden mit bitterer Genugtuung, daß s i e richtig gesehen hätten. Ob das wirklich zutrifft, wird die nächste Zeit dartun. Feststeht einzig, daß mit dem Kirchenfrieden die wichtigste Errungenschaft des Oktober 1956 begraben würde und daß damit die Grundfesten des jetzigen Regimes erschüttert wären. Gewinn davon aber hätten nur die Stalinisten und deren ihnen sonst spinnefeinde Bundesgenossen aus der bürgerlich-radikalen, trotzkystischen oder anarchisierenden Umwelt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung