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Regime auf harter Linie

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Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Polen steuert einem neuen Tiefpunkt zu. Die Klimaverschlechterung ist Folge der Parlamentswahlen im Oktober des Vorjahres.

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Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Polen steuert einem neuen Tiefpunkt zu. Die Klimaverschlechterung ist Folge der Parlamentswahlen im Oktober des Vorjahres.

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Eine zage und vage Hoffnung von Weihnachtsfrieden zwischen kommunistischer Staatsmacht und katholischer Volkskirche keimte um den 24. Dezember auf; zum ersten Mal seit Anfang Herbst trat die „gemischte Kommission" beider Institutionen wiederum zusammen.

Der Hinweis, daß die Beziehungen zwischen Kirche und Staat „von großer Wichtigkeit für die Stabilisierung der sozio-politi-schen Situation" im Land an der Weichsel seien, war das Element der Hoffnung; die verschlüsselte Formulierung, man „prüfe erst den Stand der Beziehungen", enthielt das Element der Unsicherheit und schloß die Möglichkeit des Scheiterns mit ein.

Und so kam es auch. Mehr als drei Wochen nach der Kommissionssitzung mußte der Kirchensprecher, Slawomir Siwek, eingestehen, daß man in einem entscheidenden Punkt zumindest in die Sackgasse geraten ist — in der Frage des kirchlichen Hilfsfonds für Privatbauern in Polen: „Nach fast vier Jahren Verhandlungen ist die Lage absurd geworden. Wir wollen ernst genommen werden von den Behörden. Aber die Geduld von Kardinal Glemp ist nun erschöpft", sagte verbittert Siwek.

Kein Wunder — noch Anfang Dezember 1985 hatte es danach ausgesehen, als hätten die Exper-tengespräche zwischen dem Kirchenvertreter Stelmachowski und Kazimierz Grzesiak, dem stellvertretenden Landwirtschaftsminister, den Weg für eine Vereinbarung über den kirchlichen Landwirtschaftsfonds, für den immerhin bereits 28 Millionen Dollar sofort verfügbar sind, freigemacht.

Doch es war — von staatlicher Seite —^offenbar nur taktisches Spiel! Man wollte die Kirche in Sicherheit wiegen, Dialogwillen vortäuschen.

In Wahrheit dürften die Würfel über einen Obstruktionskurs gegenüber der Kirche in der Partei bereits nach den Parlamentswahlen vom 13. Oktober 1985 gefallen sein.

Zur Erinnerung: Staat und Partei hatten den Urnengang zum sichtbaren Nachweis der „Norma-

lisierung" in Polen hochstilisieren wollen und auch nichts unversucht gelassen, die Kirche zu gewinnen. „Religionsminister" Adam Lopatka versuchte episkopattreue katholische Laien als Kandidaten für das neu zu wählende Parlament zu ködern - man trat etwa an Glemps Berater An-

drzej Micewski, an Stanislaw Stomma, an den Chefredakteur des „Tygodnik powszechny", Jerry Turowicz, und sieben weitere prominente katholische Intellektuelle heran.

Aber die Kirche hatte sich im Hinblick auf die Parlamentswahlen zu strenger Neutralität entschlossen und war nicht willens, eine „Wahlempfehlung" — sei es nun Teilnahme an oder Boykott der Wahlen - zu geben.

Tatsächlich hat sich die überwältigende Mehrheit des Klerus nicht an den Wahlen beteiligt. Die Regierung behauptete zwar, drei der 91 Bischöfe Polens und 25 Prozent des niederen Klerus seien an den Urnen gewesen, während die Kirche selbst durchsickern ließ, es sei kein einziger Bischof und höchstens drei bis vier Prozent der Priester in den Wahlkabinen gewesen.

Die „Strafe" für dieses - aus Sicht der Regierung — ungebührliche und unverantwortliche Verhalten der katholischen Kirche folgte sozusagen auf dem Fuße;

• Die Zeitung „Zycie Warszawy" attackierte die Kirche bereits fünf Tage nach der Wahl; die am 18. Oktober geplanten Expertengespräche über den kirchlichen Agrarfonds wurden verschoben.

• Im November steigerten sich die Attacken der Massenmedien gegen die Kirche, wobei vor allem der „politische Klerikalismus" angeprangert wurde, den schließlich Staats- und Parteichef General Jaruzelski selbst auf einer Parteikonferenz mit „Fanatismus und Intoleranz" gleichsetzte. Jaruzelski war es auch, der erstmals wieder von der Notwendigkeit des „Klassenkampfes" sprach - ein Vokabel, das in einer „sozialistischen Gesellschaft" wie in Volkspolen eigentlich verpönt sein müßte.

• Unter geschickter Ausnutzung der sich verschärfenden Wohnungsnot in Polen wurde in den Zeitungen und in Rundfunk und TV gegen den Bau von Kirchen und Kapellen Stimmung gemacht. Die Zeitung „Polityka": „Neue Kirchen schießen überall aus dem Boden. Sollte der Trend anhalten, so werden erneut schwere Spannungen ins Haus stehen."

• Die Behörden listeten auch eine Reihe anderer „unliebsamer Rekorde" auf; Polen sei das einzige Land, in dem die Zahl der Priester unaufhörlich zunimmt, 22.000 Geistliche kämen auf 37 Millionen. Die 7500 Seminaristen stellten im Weltmaßstab zehn Prozent des gesamten Priesternachwuchses. Polen habe die meisten Kir-

chenbauten pro Gläubigen—nämlich einen Sakralbau pro 3.250 Einwohner, liege also vor Irland, Spanien oder Frankreich. • Auch das katholische Pressewesen Polens wurde Opfer der Straf Sanktionen des Regimes. Die katholischen Verlage erhielten

1985 nur 1800 Tonnen Papier für Bücher zugeteilt und 1200 Tonnen für Zeitungen, also 1,2 Prozent der zur Verfügung stehenden Papiermenge. Besonders bedroht wurde durch die Papierzuteilung die Wochenzeitung „Prezglad Kato-licki", die kurzfristig sogar von der Einstellung bedroht war. Dies war ein offener Affront des Staates gegen Primas Glemp, der den „Prezglad Katolicki" ins Leben gerufen hatte.

Nach dieser antikirchlichen Kampagne der Behörden im Gefolge der Wahlen gab es im Dezember 1985 die eingangs erwähnte „taktische Ruhepause" — doch die gemischte Kommission ging dann ohne Ergebnis auseinander.

Viel zum Besseren dürfte sich

1986 im Verhältnis Kirche-Staat in Polen nicht wenden: Die meist gutinformierte Untergrundzeitschrift „Kos" berichtete schon im November von geheimen Partei-Anweisungen des ZK, in denen unter anderem vom „Verbot für Kirchenbauten", „gerichtliche Schritte gegen gewisse Priester", „Einschränkung katholischer Veröffentlichungen" und „verstärkter ideologischer Kontrolle" die Rede ist. Die bisherige Entwicklung folgt diesem Szenario.

Der Druck und der Kleinkrieg dürften auch kaum nachlassen, denn Ende Juni wird der Parteitag in Warschau über die Bühne gehen.

Alle bisherigen Dokumente und Personalrochaden im Vorfeld dieses Ereignisses deuten darauf hin, daß sich eine „harte Linie" durchsetzen wird — nicht nur innerparteilich, gegenüber Jugend und Gesellschaft, sondern auch gegen die Kirche, die freilich unerschrocken und unermüdlich ihr Wort für das polnische Volk und seine Rechte erhebt - „sei es gelegen oder ungelegen".

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