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Polen: Zeichen der Hoffnung in einer Trümmerlandschaft

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Noch vor Wochen erschien all das unvorstellbar: ein Lech Walesa, der ,,nicht auf den Knien" aus der Verbannung nach Danzig zurückkehrte; und ein General Jaruzelski, der mit Hilfe des katholischen Primas den Generalstreik am 10. November nahezu verhindern konnte.

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Noch vor Wochen erschien all das unvorstellbar: ein Lech Walesa, der ,,nicht auf den Knien" aus der Verbannung nach Danzig zurückkehrte; und ein General Jaruzelski, der mit Hilfe des katholischen Primas den Generalstreik am 10. November nahezu verhindern konnte.

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Der historische Zufall des sowjetischen Führungswechsels hat den Polen auch eine äußere Atempause verschafft. Und dies genau in dem Augenblick, da sich zum erstenmal in der Starre, mit der sich Regime und Nation belagern, etwas zu bewegen beginnt. Doch was und wohin?

Die Untergrundführer von Solidarnosc blieben tagelang sprachlos. Ihnen war freilich nicht entgangen, daß die meisten ihrer Anhänger den um Wochen verschobenen Generalstreik gegen das Solidarnosc-Verbot für strategisch falsch, aber auch praktisch für allzu kostspielig hielten.

Andererseits dämmerte es auch dem Militärrat, daß er mit dem Verbot von Solidarnosc am 8. Oktober keinen festeren Boden unter den Füßen gewann, daß die neuen Gewerkschaften ohne Mitglieder dahinsiechen und auch die Partei weiter „dahinstirbt", wie der Altkommunist Grabski in einem Rundbrief beklagte (der ihm sofort ein Parteiverfahren eintrug).

Zwar hatte Jaruzelski schon am 9. Oktober beteuert, es gehe ihm nicht um eine künstliche Eintracht: „Wir versuchen uns zu verständigen gegen alles und trotz allem. Verständigen aber heißt vor allem begreifen wollen." Was aber hatte der General begriffen, wo fand er noch Partner, wenn sich, so schien es zunächst, sogar die Kirche verweigerte?

Primas Glemp, der seine geplante Begegnung mit dem General um einen Monat verschob, war allerdings nicht auf Konfrontationskurs gegangen. Im privaten Gespräch, aber auch in öffentlichen Andeutungen während seines Rom-Aufenthaltes Ende Oktober ließ er erkennen, daß er Jaruzelski — trotz dessen politischer und menschlicher Schwäche — noch immer guten Willen zubilligte. Mehr denn je war Glemp jetzt davon überzeugt, daß der Abbruch des Dialogs zum blutigen Zusammenstoß führen würde.

Daß die Kirche sich dem entgegenstemmen mußte, war auch für den Papst keine Frage; in langen Beratungen mit Glemp und dem Krakauer Kardinal Macharski, die auch noch während der ersten Tage der Spanien-Reise Johannes Pauls II. in Madrid fortgesetzt wurden, entstanden Leitlinien kirchlichen Verhaltens, die man als Strategie und Taktik bezeichnen könnte, wenn Glemp nicht eben diese beiden Begriffe von sich weisen würde. Nicht nur weil er in ihnen die Wurzel vieler Mißdeutungen, in Polen wie im Westen, vermutet, sondern weil für ihn wie für den Papst allem kirchlichen Handeln „keine politischen", sondern nur seelsorglich religiöse Motive zugrunde liegen.

Wie schwer sich beides auseinanderhalten läßt, wenn die „Seelen" von politischen, menschlichen und religiösen Leidenschaften gleichermaßen aufgewühlt sind, weiß natürlich auch Glemp. Als er am 30. Oktober von Italien aus „entschieden gegen den Generalstreik" auftrat und sich dann am 8. November gemeinsam mit Jaruzelski um die „Erhaltung und Stärkung von Frieden, öffentlicher Ordnung und ehrlicher Arbeit" sorgte, mußte er damit rechnen, daß auch unter den kirchen-treuesten Polen kritische Stimmen laut wurden.

Gewiß, auch der General hat als Preis zumindest Wechsel auf die Zukunft ausgestellt: Was wird aus Polen bis zu jenem 18. Juni 1983 geworden sein, an dem es den Papst wieder erwarten darf? Wie wird sich Lech Walesa ohne seine Solidarnosc zur inneren Befriedung nutzen lassen, wenn der General bei der Aufhebung des Kriegsrechts, die er wieder einmal in Aussicht stellt, weder unkontrollierbare Ausbrüche riskieren noch Friedhofsruhe voraussetzen will?

Die für ihn gültige Antwort, eine sehr polnische und christliche, hat Glemp am 7. November schon am Vorabend seines Treffens mit Jaruzelski vor Professoren der katholischen Universität in Lu-blin frei formuliert: Immer wieder werde er, auch im Westen, gefragt, wie er die Lage in Polen sehe, sagte Glemp.

„Sie wollen dabei nur feststellen, ob der Primas so denkt wie sie. So werden dann Aussprüche des Primas zitiert, indem man bestimmte Worte auswählt und kombiniert, die den Standpunkt der Kirche darstellen sollen... Wir müssen uns davor hüten, daß die Kirche in gesellschaftliche Gruppenkämpfe hineingezogen wird, auch durch bloße Wortwahl."

„Die Kirche hat Feinde und wird sie haben. Aber im Unterschied zu einer gesellschaftlichen Gruppe, die sich nicht christlich qualifiziert, wird die Kirche diesen Feind weder hassen noch vernichten wollen... Sie begegnet ihm mit Liebe, will ihn bekehren. Das ist die kirchliche Haltung in jeder Lage, deshalb hat sie keine politische, nur eine Evangeliums-Strategie des Friedens, der Liebe und der Wahrheit."

Auch der Papst hat sich äußerste Zurückhaltung auferlegt, nicht erst seit ihm Jaruzelski auf diplomatischem Wege offiziell mitteilen ließ, das Kriegsrecht werde zum 13. Dezember aufgehoben.

Mehr noch: Als die Todesnachricht aus Moskau gekommen war, las man im Osservatore Romano in ungewöhnlicher Aufmachung ein Beileidstelegramm an das Präsidium des Obersten Sowjet: „Ich versichere Sie eines besonderen Gedenkens in Erinnerung des illustren Verstorbenen", so umschrieb Johannes -Paul IL delikat und mehr als protokollarisch nötig seine Absicht, für Breschnjews Seele zu beten.

Feinfühlig schickte er gleichwohl keine Priester-Diplomaten zum Begräbnis nach Moskau, sondern zwei Laien: einen Inder, der im Vatikan mit Entwicklungshilfe beschäftigt ist, und einen Chemieprofessor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, der schon einmal im Auftrag Johannes Pauls II. im Kreml gewesen und Breschnjew ein Memorandum über Atomkriegsfolgen überreicht, hatte — am 15. Dezember 1981, zwei Tage nach dem Militärstreich in Polen.

Ob derlei mehr als atmosphärisch wirken kann, muß man bezweifeln. Doch spiegelt sich darin die hohe weltpolitische „Wetterfühligkeit" von Vatikan und Kirche im Blick auf die polnische Krise. Auf lange Sicht ist ihre Bewältigung nur in einem entspann-teren Ost-West-Klima denkbar, in dem niemand das eigene Interesse „bis zum letzten Polen" verficht, wie jüngst in Warschauer Kirchenkreisen geklagt wurde.

Auf kurze Sicht aber hängt alles von der konkreten Rolle ab, die Polens Kirche nach dem Gespräch zwischen Jaruzelski und Glemp übernehmen kann. Noch gibt es wenige Anzeichen, daß der Primas mehr als Vermittler werden kann und will, so wie er es bei seinen Begegnungen mit dem General im Februar und April schon vergebens versuchte. Damals scheiterte jede Lösung am Stichwort Solidarnosc, vor allem aber auch daran, daß die Kirche sich nicht unmittelbar als Wohlver-haltens-Garant für die verbotene Gewerkschaft verpflichten wollte.

Was Glemp mit Jaruzelski im einzelnen vereinbarte, ist noch unbekannt. Die Freilassung Wa-lesas jedoch könnte auf die Entstehung einer neuen Basis schließen lassen, vor allem sein Brief an Jaruzelski, dem er am gleichen 8. November Verhandlungen anbot: Es sei „der Augenblick gekommen, um einige Dinge zu erklären und zugunsten einer Ubereinkunft tätig zu werden".

Eine Vereinbarung zwischen wem? Zwischen dem General und dem Korporal, wie er sich pfiffigironisch nennt? Der eine verfügt nur über eine Armee und kein Volk; der andere besitzt die Sympathie der Nation, aber keine „Kompanie". Vermag die Kirche ihnen beiden zu mehr Rückhalt zu verhelfen? Indem sie etwa eine Laienorganisation entstehen ließe, die selbständiger Partner des Regimes, nicht aber die Oppositionspartei würde?

Ein solches Experiment setzt wie eh und je voraus, was es erst erzeugen müßte: die Glaubwürdigkeit des politischen Dialogs. Deshalb ist anzunehmen, daß es Jaruzelski, Glemp und Walesa allenfalls gelingen kann, ein paar Hoffnungszeichen in die polnische Trümmerlandschaft zu setzen.

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