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Land der Apathie

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Die in Polen tief sitzende Antipathie gegenüber den Kommunisten ist für den Großteil der Gesellschaft kein Motiv für oppositionelle Betätigung. Eine angesichts der wirtschaftlichen Misere vorherrschende Apathie ist schwer aufzubrechen.

Zudem — so ist aus Polen zu hören - wissen zwei Drittel aller Bewohner des Landes an der Weichsel über die prekäre ökonomische Situation kaum Bescheid. Diese Uninformiertheit bedingt eine weitgehende Teilnahmslosigkeit, wenn es um Fragen wirtschaftlicher und politischer Reformen geht.

Die konkrete Alltagsnot — den Polen stehen jetzt wieder Teuerungen ins Haus - fördert individualistisches Denken; das Gemeinwohl scheinen die Polen aus den Augen zu verlieren. Offenbar — so ein Mitarbeiter des polnischen Primas Jozef Glemp zur FURCHE - hat sich ein Denken verfestigt, das ohne Partei überhaupt nichts mehr versucht und das die vergangenes Jahr von General Wojciech Jaruzelski eingeläutete „zweite Etappe“ der Wirtschaftsreform ohne Verluste und persönliche Opfer zu überstehen hofft.

Viele Polen - vornehmlich junge Intellektuelle — entziehen sich den Anforderungen einer als aussichtslos empfundenen Lage durch den relativ leicht gewordenen Gang ins Ausland. Seit 1983 haben etwa 500.000 Menschen Polen verlassen.

Die polnische katholische Kirche erkennt klar die begonnene Auszehrung der polnischen Gesellschaft auf wirtschaftlichem, politischem und intellektuellem Gebiet. Sie sieht vor allem die Notwendigkeit ökonomischer Reformen wie rasche Privatisierungsmaßnahmen und Ausbau der Ost-West-Kontakte auf wirtschaftlicher Ebene.

Dem polnischen Episkopat gehen die Jaruzelski-Reformen zu langsam voran; man kritisiert eine bemerkbare Inkonsequenz bei deren Verwirklichung. Auf Kosten von Mensch und Umwelt wird produziert und exportiert um jeden Preis. Uber die katastrophale ökologische Lage läßt man das Volk im unklaren.

Voranzuschreiten scheint momentan eine Initiative der polnischen Bischöfe zur Wasserversorgung der privaten Landwirtschaft. Aus den USA und aus der EG sind erste Gelder - etwa 13 Millionen Dollar — eingetroffen.

Neben den wirtschaftlichen Initiativen seitens katholischer Kreise in Polen formiert sich so etwas wie eine neue politische Opposition im Schutz der Kirche. Und es ist bezeichnend für Polen, daß Reformansätze — obwohl sie auch die Partei auf ihre Fahnen geheftet hat - hauptsächlich durch private und kirchliche Anstrengungen konkretisiert werden.

Noch ist die Zeit für eine sogenannte katholische Partei in Polen (FURCHE 49/1987) nicht gekommen. Was diesbezüglich im Westen gedacht wird, hat in Polen keinerlei reale Entsprechung. Primas Glemp kann Bestrebungen zur Gründung einer christlich-domokratischen Partei nichts abgewinnen. „Das wäre für die Kirche ein zu großes Engagement in der Politik“, so der Glemp-Mitarbeiter.

Offen ist die polnische katholische Hierarchie jedoch für kleine oppositionelle Experimente, solange für große keine Chance besteht. Die Kirche fördert bestimmte katholische Clubs, die für wirtschaftliche und politische Erneuerung arbeiten. Bedeutung gewonnen hat bereits der Warschauer Club Dziekania, unter der Leitung Stanislaw Stommas, dem ehemalige Solidarnosc-Leute wie Aleksander Hall und Marcin Kröl angehören. Zur Zeit läuft ein ähnliches Club-Experiment in Krakau, während die Behörden in Posen und Danzig solche Institutionen bis jetzt verboten haben.

„Aber wir spielen dieses Spiel in Polen weiter. Denn wir müssen etwas probieren, um politische Alternativen anbieten zu können“, betont der Glemp-Mitarbeiter.

Die Stomma-Clubs sind für den Dialog mit der Partei offen. „Das ist also eine Art von Opposition, wie sie in einem Staat wie Polen gerade noch möglich ist.“ Mit diesen Clubs will man beginnen, die allgemeine politische Apathie im Lande zu beseitigen.

Immer wieder finden oppositionelle Kräfte in Polen Wege, um sich zu institutionalisieren. Zweifellos gewinnt das Land durch solch kleine, aber hochkarätig politische Gruppierungen. Und die polnische Opposition nützt die gegenwärtige Möglichkeit, ihre Anliegen ohne nennenswerte Eingriffe der staatlichen Zensur an den Mann bringen zu können.

Denn außer vereinzelten Ansätzen pluralistischen. Denkens in polnischen Journalistenkreisen — zentriert um den „Polityka“-Chef redakteur Rakowski oder um die Krakauer Wochenzeitung „Sdania“ - gibt es in Polen keine nennenswerte Reformbewegung.

Im Gegensatz zu Ungarn etwa haben die polnischen Kommunisten kaum Reformvordenker. Bloß alte Dogmatiker der mächtigen Warschauer, Kattowitzer und Danziger Partei-Sektionen warten wie Krähen im Hintergrund auf das Scheitern Michail Gorbatschows in Moskau und damit auf ihre Stunde nach dem Fall Jaruzelskis. Der Staatschef ist derzeit der einzige, auf den sich Parteileute beziehen, die die Reformen weiterführen wollen.

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