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Chancenlos?
In Polen scheint sich der Teufelskreis — wieder einmal — zu schließen. Nach dem für das Jaruzelski-Regime Ende November des Vorjahres so enttäuschend ausgegangenen Referendum startete die Regierung trotzdem eine „tiefgreifende wirtschaftliche und demokratische Umgestaltung“, verbunden mit einer Reform der Verwaltungsbürokratie.
Dieser neuerliche Opfergang Polens, der sich in Lohneinbußen,
drastischen Preissteigerungen und einer hohen Inflationsrate niederschlug, wird nun - ein halbes Jahr nach Beginn der „Wirtschaftsreform“ — von polnischen Arbeitern abgelehnt.
Ist damit das Programm Woj-ciech Jaruzelskis gescheitert? Zweifellos wird der polnische Parteiapparat mit der Losung marschieren — die der General schon am 1. Mai hat anklingen lassen —, daß „Anarchie“ die Sanierung erschwert, wenn nicht verhindert habe.
Der Parteichef, der in Warschau großspurig verkündete, den Sozialismus „noch attraktiver“ machen zu wollen, und seine Leute machen es sich in zweifacher Hinsicht zu leicht: Sie • gehen zu schnell über die enormen Lebenshaltungskosten und die schwierige Versorgungslage hinweg; und sie anerkennen nicht, daß nur eine breite Informationskampagne mit Möglichkeiten der Mitbestim-mune die demoralisierten polnischen Arbeitnehmer motivieren kann.
Jaruzelskis Politik der „Öffnung, Demokratisierung und nationalen Verständigung“ bleibt inhaltslos. Der gute Wüle des Generals ist zu wenig. Polen braucht echte pluralistische Strukturen.
Und die schließt die Regierung nach wie vor aus.
Bisher eingerichteten Konsultativräten oder katholischen Klubs (FURCHE 14/1988) fehlt entweder die gesellschaftliche Akzeptanz oder die für politischen Druck notwendige breite Basis. Da befindet sich Polen erst auf der Experimentierebene. Die verbotene Solidarnosc ist eine emotionelle, aber nicht mehr durchorganisierte Bewegung. Sie hat kaum Chancen, als Gesprächs- und Verhandlungspartner angenommen zu werden.
Erst jüngst hat der Sekretär der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Bronislaw Dabrowski, auf die einzige Reformmöglichkeit für Polen hingewiesen, nämlich die „von unten“. Die Arbeiter seien darauf vorbereitet, es fehlten die Strukturen.
In die gleiche Kerbe schlug -wenn auch sehr behutsam — am Mittwoch dieser Woche der polnische Episkopat. Mit Nachdruck wird das „Recht der Gesellschaft auf Reformen und Meinungsfreiheit“ herausgestrichen.
Es hieße die Aufgabe von Bischöfen zu verkennen, wollte man ihren Besänftigungsappell—„Unruhen sind kein guter Weg für Reformen“ — als naiv-unpolitische Haltung kritisieren. Der Episkopat spielt den Ball der Verantwortung geschickt dem Regime zu. Dieses wird an seinen Vorgaben und Ansprüchen zu messen sein, nicht die Kirche, die die Regierung eines „schizophrenen Staates“ (Dabrowski) durch Aufladung wirtschaftlicher und quasipolitischer Aufgaben gerne desavouieren möchte.
Die momentanen Streiks in Polen können zwar kurzfristig durch Lohnerhöhungen gelöst werden. Das ändert — um mit den Bischöfen Polens zu sprechen — aber nichts an deren politischen Implikationen mit der Forderung nach Meinungsfreiheit, Pluralismus und politischer Mitbestimmung.
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