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Polens Mächte sind gespalten

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Polen befindet sich in einem Prozeß rasanter Umgestaltung. Die alten Machtstrukturen zersetzen sich, in der Partei sind Flügelkämpfe im Gange. Aber auch in der ..neuen Macht", den unabhängigen Gewerkschaften, ist weder personell noch sachlich schon eine endgültige Entscheidung über den künftigen Kurs gefallen.

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Polen befindet sich in einem Prozeß rasanter Umgestaltung. Die alten Machtstrukturen zersetzen sich, in der Partei sind Flügelkämpfe im Gange. Aber auch in der ..neuen Macht", den unabhängigen Gewerkschaften, ist weder personell noch sachlich schon eine endgültige Entscheidung über den künftigen Kurs gefallen.

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„Ich möchte keinen Zloty darauf verwetten, daß Stanislaw Kania auch noch im nächsten Jahr Parteichef ist", hört man selbst KP-Mitglieder sagen. Die gegenwärtige, eher kompromißbereite Führung sieht sich, wiewohl durchaus noch fest im Sattel, gleich mehrfach unter Druck gesetzt. '

Zum einen von den Parteisekretären der Woiwodschaften, den unteren Verwaltungskadern, Betriebschefs und Beamten. Die erleben nun hautnah und direkt, was es heißt, nach Jahren unkontrollierten Waltens und Schaltens plötzlich der Wachsamkeit, der Kritik und Kontrolle durch eine andere Macht, eben die neuen Gewerkschaften, unterworfen zu sein. Aus einer oft eigennützigen Verteidigungsposition heraus, versuchen sie der „Solidarität" daher so viel administrative Schwierigkeiten wie möglich zu machen.

Typisches Beispiel dafür: Der Konflikt der vergangenen Woche in der Woiwodschaft Tschenstochau. Die Plakate der Gewerkschaft „Solidarität = Erfolg", tagsüber angebracht, wurden des nachts wieder abgerissen. Die Büroräume der Gewerkschaft waren plötzlich ohne Schreibmaschinen.

Angesetzte Sitzungen der „Solidarität" konnten nicht stattfinden, weil im selben Saal plötzlich eine andere, wichtige Sitzung der Direktion anberaumt war. Die neuen Gewerkschaftsführer, die den Woiwodschaftssekretär Grygiel und den Woiwoden Wierzbicki darob zur Rede stellen wollten, erhielten die barsche Auskunft: Dies alles geschehe in Verwirklichung des Appells des Staatsrates für mehr Arbeitsdisziplin.

Nun verlangten die Arbeiter und ihre Gewerkschaftsführer eine Aussprache, stellten eine Delegation von 150 Leuten zusammen. Doch Woiwode und Parteisekretär erklärten sich dazu nicht bereit, wollten nur in ihrem Büro eine Abordnung von drei Unterhändlern empfangen.

Die Situation spitzte sich zu, die 150 Gewerkschaftsvertreter harrten im Klub „Ikar" aus - und warteten. Streikvorbereitungen wurden getroffen. Erst der Einsatz des bewährten „Krisenmanagers" der Regierung, des Vizepremiers und Danzig-Verhandlers Ja-gielski, entschärfte schließlich die Situation. Wierzbicki trat zurück.

Tschenstochau ist kein Einzelfall -auf der unteren Ebene wehrt sich das verkrustete Establishment noch mit Zähnen und Klauen. Bei ihm herrscht die Meinung vor, die Führung in Warschau sei zu weit gegangen und habe zuviel Zugeständnisse gemacht.

Eine Minderheit unter den politischen Lokalgrößen, wie etwa der Parteisekretär von Danzig, Fiszbach, ist gegenteiliger Auffassung. Sie wollen mit der „Solidarität" die anstehenden Probleme lösen und sind gegen die „schmutzigen, kleinen Tricks", mit denen den neuen Gewerkschaften das Leben sauer gemacht wird.

Von den drei Millionen KP-Mitgliedern wird ebenfalls auf die Parteiführung gewaltiger Druck ausgeübt - in den Versammlungen wird der Ruf nach einer baldigen Einberufung eines außerordentlichen Parteitages laut - in der offen ausgesprochenen Hoffnung, daß es eine gewaltige Säuberung alter

Funktionäre in allen Schichten und Rängen geben wird.

Die letzten Reste der Gierek-Garde im ZK sollen hinweggefegt und auch in ,den Spitzengremien soll reiner Tisch gemacht werden. Die Namen Kar-koszka (Parteisekretär von Warschau), Kruczek und der ehemalige Außenminister Wojtaszek wurden als sichere Tips auf der „Abschußliste" gehandelt. Und vergangene Woche erwischte es "bereits Karkoszka, der als Parteisekretär von Warschau abgesetzt wurde.

Innerhalb des gegenwärtigen Politbüros scheint der für Organisationsfragen der Partei zuständige ZK-Sekretär Barcikowski an Boden zu gewinnen. Die als Kritiker des ehemaligen Parteichefs Gierek bekanntgewordenen Politbüromitglieder Olszowski und Grabski machen offensichtlich eine Metamorphose durch - ihr „Liberalismus" hat sich ausschließlich auf die Kritik an Gierek und auf die Wirtschaft bezogen. Ansonsten schimmert nun unter ihrer politischen Haut immer deutlicher der sture Dogmatiker hervor.

Olszowski hat etwa in einer internen Redaktionsversammlung der Zeitung „Zycie Warszawy" offen zugegeben, daß er für die Aussperrung ausländischer Journalisten am Tag vor der Entscheidung des Obersten Gerichtes verantwortlich ist. Auch die Ausstrahlung des Films über die polnisch-sowjetischen Manöver, welche die Bevölkerung im Land an der Weichsel kurzfristig in Unruhe versetzte, die aber nie stattgefunden haben, geht auf sein Konto.

Dies signalisiert, daß in der Partei noch keineswegs alles entschieden ist und die „Kompromißler-Fraktion" unter Parteichef Kania noch Kämpfe durchzustehen haben wird.

Momentan aber ist der Kurs Kanias und seiner Getreuen klar: Man darf sich nicht in einem nutzlosen Kleinkrieg mit der „Solidarität" verbrauchen, sondern muß mit ihr versuchen, die Wirtschafts- und Versorgungsprobleme zu lösen.

So wie in der Partei ist freilich auch in Polens neuer Macht, den unabhängigen Gewerkschaften, einiges im Fluß. So einheitlich die „Solidarität" nach außen hin auftritt und damit auch Erfolge erzielt, so ist sie in ihrer inneren Struktur kompliziert und gespalten.

• Ein zahlenmäßig kleiner Flügel der

Gewerkschaft ist eng mit der von der Partei nach wie vor als „antisozialistisch" eingestuften Oppositionsgruppe KOR verbunden - vor allem die Präsidiumsmitglieder Gwiazda und Anna Walentynowicz.

• Nicht direkt im Präsidium der „Solidarität", wohl aber dominierend in der ungemein wichtigen Experten-und Beratergruppe der Gewerkschaften ist die katholische Intelligenz, über.die auch der polnische Episkopat zweifellos einen starken Einfluß auf die Gewerkschaft ausübt.

• Die dritte Gruppierung innerhalb der „Solidarität" ist jene um Lech Walesa, die vom Typ her klassische Gewerkschafter sind und ihre Bewegung eher unpolitisch auffassen und entwik-keln wollen.

Die beiden vorhin genannten Gruppierungen - beide „politisch" denkend - versuchen Einfluß auf die Walesa-Mannschaft zu gewinnen.

Der wesentliche Unterschied zwischen der KOR-Gruppe und der katholischen Intelligenz besteht in Taktik und Endziel.

In einer stürmisch verlaufenen Diskussion im „Klub der katholischen Intelligenz" (KIK), die übrigens vom ehemaligen katholischen Abgeordneten Professor Stanislaw Stomma geleitet wurde, prallten der KOR-Führer Jacek Kuron und der KIK-Präsident Azej Wielowejski hart aufeinander.

Kuron vertrat die Ansicht, daß nur weiterer Druck das Regime zu Zugeständnissen nötigen könne. Wielowejski hielt dem entgegen, daß nur durch Kompromisse die Erfolge dauerhaft würden. Während die KOR-Leute als langfristiges Ziel ein „wirklich unabhängiges, freies Polen" mit einer pluralistischen Gesellschaft und Parteienstruktur erträumen, halten das die katholischen Intelligenzler für eine gefährliche Utopie.

Die kompromißbereite und zurückhaltende Taktik des katholischen Flügels entspricht dem noch unbestrittenen Führer der „Solidarität", Lech Walesa, mehr. Menschlich scheint sich der Mann mit dem schon legendärgewordenen Walroßschnurrbart eher mit den Leuten von KOR zu verstehen, denen er nie vergessen wird, daß sie ihm und seinen verfolgten Arbeiter-Gesinnungsgenossen menschliche Solidarität erwiesen und echte Hilfe geleistet haben.

Hier ist eine tragfähige Basis für die Aktionsgemeinschaft Arbeiter/Intellektuelle, die bei der katholischen Intelligenz auf Grund fehlender gemeinsamer Wegstrecken in der Vergangenheit nicht gegeben ist.

Aber aus beiden Lagern-sowohl von KOR als auch von Seiten der katholischen Berater - gibt es schon Stimmen, die Walesa zwar momentan noch als Figur und Volkstribun für wichtig halten, aber klipp und klar sagen: „Unersetzlich ist er nicht."

Und Bogdan Lis, derzeit Stellvertreter Walesas im Gewerkschaftspräsidium der „Solidarität", gräbt schon an den Startlöchern, aus denen er zur Spitze der bereits acht Millionen starken Bewegung vorstoßen will.

Polen wird noch für Monate Schlagzeilen liefern und mit Überraschungen aufwarten.

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