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An den Raud geschriefen

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DIE GESCHENKTE MILLION. Eine Million Schilling hat die sozialistische Fraktion des österreichischen Gewerkschaftsbundes den Streikenden in Belgien überwiesen. War dies notwendig? War dies nützlich? War dies politisch klug? „Solidaritätsspenden’’ sind ein alter Brauch der Gewerkschaften in Streikfällen. Allein, wir haben in der letzten Nummer der „Furche” durch Armin Mohler aufgezeigt, mit welchem historischen, nationalen und sozialen Ballast die belgische Streikbewegung aufgeladen ist. Eine Spendenaktion, wie die der sozialistischen Fraktion des Gewerkschaffsbundes, hat somit weniger den Charakter einer spontanen brüderlichen Hilfe als den einer Demonstration. Und gerade diese hat sich gegen ihre Initiatoren gekehrt. Schon geht die Polemik hin und her. Der „Bürgerschreck” wurde frei ins Haus geliefert. An diesem kleinen Feuer- chen werden noch viele Suppen gekocht werden. Und das können die wirklichen Freunde einer überparteilichen Gewerkschaftsbewegung und einer Zusammenarbeit der sfaats- erhaltenenden Kräfte nicht wünschen. Zur Stunde weniger, denn je.

TRANEN UM DIE AUTOBAHN. Der Autobahnbau soll 1961 gedrosselt werden. Die Klagerufe sind laut, die Tränen zahlreich. Sind es nicht Krokodilstränen? Sie werden nicht zuletzt von jenen vergossen, die im gleichen Atemzug — was sehr löblich Ist — einem ausgeglichenen Staatshaushalt und einem strengen Sparprogramm das Wort reden. Irgendwo aber müssen drastische Maßnahmen ergriffen werden. Spiegelt es nicht gerade in der Planung des Autobahnbaues jene Hypothrophie am anschaulichsten, die die Wurzel vieler unserer österreichischer wirtschaftlicher Übel ist. Statt den Schwerpunkt auf einzelne weite Bauabschnitte zu legen, verzettelte man sich an allzu vielen Orten. Lokale Wünsche und massive wirtschaftliche und politische Interessen kamen hinzu. Hier mußte es auf kurz oder lang eine Krise geben. Vor allem die Autobahn Süd! Sie hätte nicht begonnen werden sollen, bevor nicht im Westen das Befonband zwischen Wien und Salzburg fahrbereit ist. Das öffentlich zu vertreten, ist nicht populär. Die Wahrheit ist es selten. So ist die Autobahnbaukrise dieser Woche bitter. Hoffentlich auch heilsam.

DEUTSCHER PUBLIZIST: Am 8. Jänner wurde Walter Dirks 60 Jahre alt. Dieser führende Publizist des westdeutschen nonkonformistischen Katholizismus kommt von Romano Guardini und der katholischen Jugendbewegung her. Mit Zweiundzwanzig wurde er, Volkswirtschaftler und Theologe, Redakteur an der „Rhein-Mainischen Volkszeitung", eines der mutigsten Organe eines kämpferischen deutschen Sozialkatholizismus, das dem Nationalsozialismus besonders verhaßt war. Als das Dritte Reich anbrach, fand Dirks Zuflucht in der Feulllefon- redakfion der „Frankfurter Zeitung". Nach dem Kriege schuf er mit Koqan und Münster die „Frankfurter Hefte". In einem Aufsatz der vorliegenden Jännernummer, der den Titel trägt: „Heilige Allianz. Bemerkungen zur Diffamierung der Intellektuellen” sieben Sätze, die als ein politisches Glaubensbekenntnis dieses stillen, tapferen, innerlich freien deutschen Katholiken zu verstehen sind: „Die schlimmste Versuchung für uns alle ist, recht behalten zu wollen, den Gegner absolut ins Unrecht und sich selbst absolut ins Recht zu sefzen. Außenpolitisch kann die Welfkatastrophe daraus entstehen, in der Bundesrepublik aber die Diktatur der einen Hälfte der Gese’lschaft über die andere — zunächst der ,rechten’ über die ,linke’, eine Diktatur ohne KZ und wahrscheinlich schlecht und recht im Rahmen des Grundgesetzes, aber sine Diktatur. Eine Dikfafur, die weniqe wollen, die vielleicht — niemand weiß es genau — sogar niemand will, die aber in der Konsequenz des politischen Kampfes der Bienpensants der Freiheitsrefter und der Männer der Ordnung gegen die dummen und bösen Linken ,sich ergibt’, eines Taaes, wenn es soweit ist…” Diese Sätze, über „die Diktatur, die vielleicht sogar niemand will”, sollten links und rechts und in einer fragwürdigen Mitte auch in Österreich bedacht werden.

SPANIEN STEHT ZUR DEBATTE: In einer gemeinsamen Erklärung des Internationalen Bundes christlicher Gewerkschaften und des Internationalen freien Gewerkschaffsbundes über Spanien wird festgehalfen: Mehr als 20 Jahre sind seif der Machtübernahme durch General Franco verstrichen. Sein Regime verdoppelt noch die Polizeimaßnahmen und die Verfolgung der Gewerkschaften, stuft den Streik als militärische Rebeilion ein und verurteilt Gewerkschafter wegen Tatbeständen, die 20 Jahre zurückliegen, zum Tode. Angesichts der neuen Verschlimmerung der Lage des spanischen Volkes haben die beiden Gewerkschatts- bünde, welche die Gesamtheit der demokratischen Gewerkschaftsbewegung der fünf Kontinente vertreten, beschlossen, gemeinsam vor aller Welt das totalitäre und Polizeiregime des Generals Franco an den Pranger zu stellen, das offen die in der Charta der Mensohenrechte niedergelegten Freiheitsgrundrechte mit Füljen tritt. Sie brandmarken die Unterstützung des Franco-Regimes von mehreren demokratischen Regierungen, die ihm eine beträchtliche finanzielle Hilfe gewähren und ihm ermöglichen, sich über Wasser zu halten. Die beiden Gewerkschaftsbünde erklären, dafj sie nie dieses Regime als Willensausdruck des spanischen Volkes und nie dessen „Gewerkschaftsbewegung" anerkennen werden. Beide Gewerkschaits- verbände verpflichten sich feierlich, ihre gemeinsame Aktion fortzusetzen, bis in Spanien die Freiheilsgrundrechte wiederhergestellt sind. — Frage: wer im Westen wird sich um diese Proklamation kümmern? Inzwischen beraten in Madrid unter dem Schutze von Francos Schwager Sufier die französischen Extremisten friedlich den Sturz de Gaulles und den Umsturz in Frankreich, wobei ihre spanischen Freunde in der richtigen Erkenntnis handeln, dafj das Regime in Madrid erst gesichert ist, wenn in anderen europäischen Ländern verwandte Diktaturen zur Macht kommen.

AFRIKANISCHE CHARTA. Vertreter von acht afrikanischen Staaten haben auf ihrer Konferenz in Casablanca eine enge Zusammenarbeit vereinbart, die nach den Worten des ghanesischen Präsidenten Kwame Nkru- mah die „ersten Schritte auf dem Weg zu einem vereinigten Afrika” darstellen. Es sind die radikaleren Regime Afrikas, die einander hier trafen. Wenn ihre Erklärungen und Beschlüsse dennoch zahmer, als vielfach erwartet wurde, waren, dann hängt das nicht zuletzt mit den Gegensätzen zwischen ihnen selbst, vor allem zwischen Nasser und Nkrumah, zusammen. Nasser trat zum erstenmal außerhalb seines eigenen Landes auf und hielt sich offensichtlich zurück. Die Teilnehmer billigten eine „Charta von Casablanca”, In der die gesamt- afrihanisebe ? Zusammenarbeit und Einigkeit gefordert werden, und vereinbarten . eine politische, wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit auf neutralistischer Grundlage. Sie befrachten das Kabinett des verhafteten Ministerpräsidenten Lu- mumba als legale Regierung des Kongo, wollen aber der UNO vorläufig noch die Wiederherstellung der Ordnung überlassen. Wie zu erwarten stand, wurden Sanktionen der UNO gegen die Südafrikanische Union, die Einstellung der französischen Atomversuche in der Sahara und der Abzug der belgischen Truppen aus Ruanda-Urundi gefordert. Nicht vertreten war auf der Konferenz Tunesien, das sich für die Selbständigkeit Mauretaniens bei der UNO eingesetzt hat. Marokko beansprucht Mauretanien für sich. Die Kämpfe um Macht und Landgewinn für die allereigenste Sache überschatten hier und andernorts in Afrika wohl noch lange die Einigungsbestrebungen.

KATASTROPHE IN CHINA: Zum Jahresende 1960 gab Radio Peking bekannt, dafj China im Jahre 1960 von den schwersten Naturkatastrophen seif hundert Jahren heimgesucht worden sei, die zu „riesigen Ernfeverlusten” führten und die industrielle Entwicklung Chinas gehemmt hatten. Nach den Mitteilungen von Radio Peking wurden über 160 Millionen Hektar, das ist mehr als die Hälfte der Anbaufläche Chinas, von Naturkatastrophen betroffen, davon über 67 Millionen Hektar schwer. In einzelnen Landesfeilen gab es überhaupt keine Ernte. Stürme und Hochwasser haben besonders im Auqust in der Stahl-, Kohle- und Elektrizifätserzeugung Verluste hervorgerufen und das Verkehrs- und Transportwesen zum Stillstand gebracht. — Diese öffentliche Bekanntgabe der Katastrophe vor aller Welt dürfte aus mehreren Gründen erfolgt sein: sie hat zum ersten Aus- mafje erreicht, die nicljt zu verheimlichen sind, wie zahlreiche Reisende aus China berichten; sie sollen zweitens die Sympathie und internationale Aktion der befreundeten kommunistischen Regierungen ansprechen; nicht zuletzt, um bei der UNO die Aufnahme Rotchinas durchzuselzen. Vor allem aber sollen die 650 Millionen Menschen in China zu neuen Opfern für den „Sieg des Sozialismus" aufgerufen werden. Wobei die grausame Natur für die Fehler und Grausamkeiten der Mutter Partei verantwortlich gemacht wird.

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