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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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AUCH EINE KOALITION. Die österreichische kommunistische Lehrerzeifung „Der österreichische Lehrer und Erzieher’ brüstet sich in einer ihrer letzten Nummern, daß es in Oberösterreich im Rahmen der Lehrerwahlen gelungen sei, eine sozialisfisch-nafionale-kommunistische Einheitsliste zustande zu bringen. Im Zeichen des „Antiklerikalismus’. Was das ist, wird nicht gesagt. Gerade aus Anlaß der bevorstehenden Wahlen läßt uns die offen bekundete antiklerikale (lies: antichrisfliche) Blutsgemeinschaff aufhorchen, um so mehr, als man viel davon hört, dafj die Sozialisten gegen die Nationalen sind (man lese nur das Organ der sozialistischen Widerstandskämpfer) und selbstverständlich gegen die Kommunisten; von den Nationalen hört man, welchen abgrundtiefen Abscheu sie gegen alles haben, was „rot” ist, und von den Kommunisten erfährt man, daß sie wieder alles ablehnen, was sozialistisch und was gar national sozialistisch ist. Wie doch der Kampf gegen die Kirche eint! Aller Streit ist begraben, wenn es gegen die „Schwarzen” geht. Von „bürgerlicher” Einheit keine Spur und ebenso nicht von der Einheit der „demokratischen Kräfte’. In Oberösterreich hat sich jedenfalls erwiesen, wie sehr weltanschauliche Gruppen, die lautstark ihre Differenzen betonen, doch im Wesen ein Gemeinsames hpbenf Was sagt nun die sozialistische Parteiführung zu dem Spiel? Was ist von der offenkundigen Annäherung zwischen Christen und Sozialisten taktisches Spiel, und was ist nun ehrlicher Wille, den gemeinsamen Grund zu finden? Jedenfalls konnten die Kommunisten bisher unwidersprochen die von ihnen unterstützte Liste bei den oberösterreichischen Landeslehrerwahlen als „antiklerikale Liste” bezeichnen. Was sagen die Sozialisten und die „Freiheitlichen” dazu, daß sie von den Kommunisten für „würdig” befunden wurden, die kp-demokratischen Stimmen zu erhalten? Ein Kapitel für sich isf noch die Einheitsliste der Nationalen und der Sozialisten. Auch hier haben sich Gemeinsamkeiten gezeigt, die darauf schließen lassen, daß der BSA ganze Arbeit geleistet und es zusfandegebraoht hat, gegen die christlichen Kirchen den Freisinn zu einigen. Damit aber fallen die österreichischen Sozialisten jenen in den Rücken, die davon ausgingen, daß die Revision des Verhaltens der Sozialisten der Kirche gegenüber ehrlich gemeint sei und nicht dem Stimmenfang zu dienen habe.

DER VATIKAN UND SUDTIROL. Die Sonderaudienz, die vor kurzem der Heilige Vater dem österreichischen Botschafter am Heiligen Stuhl gewährt hat, lenkt naturgemäß das Augenmerk der katholischen Oeffentlichkeit auf jene “Thema, cfas fm Munde so vieler Gläubiger in dem Herzenswunsch zum Ausdruck kommt: „O möge doch unser Heiliger Vater, Papst Johannes XXIII., des Südtiroler Volkes eingedenk sein!” Nun, ein Herzenswunsch und die große Politik sind verschiedene Bereiche. Ohne vorzugreifen und Vorurteilen zu wollen, darf jedoch der Zuversicht Ausdruck gegeben werden, daß das heilige Rom mehr für das leibliche und seelische Schicksal eines Volkes, das seif eineinhalb Jahrtausenden christlich ist, aufbringt, als die politische Partei der Democristiani, die ihre Südtiroler Bruderpartei einfach im Stich gelassen hat. In diesem Sinne darf vielleicht auch die auffallend sachliche und ausführliche Südtirol- Berichterstaffung in der Nummer der „Civiltä Caffolica” vom 7. März 1959 gewürdigt werden. Die „Furche” hatte sich seinerzeit mit der auffallend parteiischen, ja gehässigen Stellungnahme dieser, einflußreichen Kreisen des Vatikans nahestehenden Zeitschrift Südtirol gegenüber auseinanderzusetzen. Während damals ganz unbefangen die neofaschisfische Presse als „die Quelle” für die Verhältnisse in Südtirol zitiert und berufen wurde, finden wir diesmal einen sorgfältig redigierten, sechs Seiten langen Bericht, der mit dem Abdruck des Abkommens Gruber — De Gaspari vom 5. September 1946 schließt. Eine Vermittlung zwischen dem weltlichen Rom und Wien durch das größere Rom im Falle Südtirols, würde weit über Oesterreich hinaus das so oft erlahmte Solidaritätsgefühl im „christlichen Abendland” stärken, ja, wiederbeleben: eben durch die Erfahrung, daß die Mutter Kirche für alle da ist. In Südafrika und in Südtirol.

„EIN KLUB LÖST SICH AUF.” „Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeif, mit der zeit- gebräuchlichen Abkürzung KgU benannt, hat sich aufgelöst. Das war das beste, was sie tun konnte, und womöglich überhaupt das beste, was sie je getan hat. Man wußte nie recht, was man mehr bestaunen sollte: die Verantwortungslosigkeit, mit der dieses, ursprünglich von Bundesregierung, Berliner Senat und Amerikanern, später nur mehr von letzteren finanzierte Unternehmen, vertrauensselige oder auch unbeteiligte Menschen in der Ostzone gefährdete oder aber den Dilettantismus, mit dem man glaubte, durch Brückensprengungen oder ähnliche Scherze die Sowjets samt Herrn Ulbricht und Grotewohl vertreiben zu können.” Dieses harte Urteil fällt Westdeutschlands größte Tageszeitung über das Ende einer Bewegung, die vor mehr als zehn Jahren im Kampf um Berlin von Idealisten gegründet worden war. Hilfe bei der Flucht aus der „Zone”, Warnung vor drohender Verhaftung, und dann eben Widerstand gegen die Machthaber waren ihre erklärten Ziele. Im Hexenkessel Berlin fanden aber auch zwielichtige, suspekte Elemente den Weg zu ihr. Von Jahr zu Jahr sank so das Ansehen der Kampfgruppe, die zerschlissen wurde durch den Geheimkrieg der großen Blöcke. Ihre „freiwillige” Selbstauflösung dürfte mit dem westlichen Wunsch Zusammenhängen, der sowjetischen Propaganda um Berlin nicht unnötig Material zu liefern. Das ist die strategische Seite dieser Auflösung. Deutscherseits stimmt sie nachdenklich. Die Kampfgruppe begann als ein legitimes Reis am vielfach verstümmelten Baum der deutschen Widerstandsbewegung. Und verdarb, da es ihr nicht gelang, neue Formen des Kampfes um die Freiheit, neue Formen des politischen Widerstandes zu finden.

KEIN KONKORDAT HL. STUHL—FRANKREICH. Die in Rom beharrlich umlaufenden Gerüchte von dem Abschluß eines Konkordats zwischen dem Hl. Stuhl und der Regierung de Gaulle werden von maßgeblicher vatikanischer Seife ebenso beharrlich dementiert. Das gaullistische Frankreich genießt zwar hinter der Bronzepforfe des Apostolischen Palastes außerordentliche Sympathien, und man wäre fast geneigt, es anderen Ländern, Italien etwa, als Vorbild hin- zustellen, doch würde es als kurzsichtig befrachtet werden, die Kirche selbst an das Regime des Generals zu binden. Ein Konkordat wäre auch eine unnötige Belastung der Politik de Gaulles. Wenn der Heilige Stuhl in diesem Augenblick weniger an einem Konkordat mit Frankreich interessiert isf, so deckt sich diese Auffassung auch mit der des Generals. Er weiß, daß er sich in anderen Fragen genug Feinde machen wird und daß 60 Prozent aller Franzosen, auch sehr viele Katholiken, einen derartigen Vertrag mit der Kurie oblehnen.

DIE SCHATTEN BLEIBENI Am Karsamstag hat der spanische Staatschef das Ehrenmal für die Toten des Bürgerkrieges der Oeffentlichkeit übergeben, am 20. Jahrestag der Beendigung dieses Krieges, der weit über eine Million Opfer forderte und dessen Spuren tief in Spanien eingegraben sind. Gleichzeitig erreichte aus Spaniens Kerker ein Hilferuf den Heiligen Vater und den spanischen Episkopat: spanische Sozialisten appellieren hier, zum erstenmal in der Geschichte, an die Führer der katholischen Kirche. Die geschichtlichen Verdienste des Generalissimus Franco sind bekannt. Sie gipfeln in zwei Leistungen: es gelang Franco, trotz des Druckes von Hitler, und Mussolini, Spanien aus dem zweiten Weltkrieg herauszuhalten und er schuf,’ gestützt ai/f die Armee, jenen bewaffneten „Landfrieden”, der größere Unruhen verhindert. Es gelang jedoch dem Regime nicht, jene „nationale Wiedergeburt’ heraufzuführen, die in diesen zwanzig Jahren bei allen Feiern und Staatsakten versprochen wurde. Waren es in den letzten Jahren zumeist Arbeiter und Studenten, die in der Oeffentlichkeit sehr deutlich ihr Mißfallen an der Diktatur bekundeten, so sind es heute führende Kreise der spanischen Kirche und’der spanischen Wirtschaft, die dem Regime ihr Vertrauen entziehen. Franco selbst weiß sehr genau, daß das zwanzigjährige Provisorium dringend einer Rekonstruktion bedarf. Die freie Welt und gerade auch Oesterreich, das sich durch die Geschichte und viele innere Verwandtschaften mit Spanien verbunden weiß, können in dieser heiklen Situation viel für das spanische Volk tun. In Oesterreich sollten vor allem Plätze für spanische Studenten und Kontakte mit Spaniens Jugend intensiviert werden. Jeder von den Impulsen der freien Welf ergriffene junge Spanier kann ein Baustein sein für eine bessere Zukunft, auf die Spaniens Volk nunmehr mit großer Geduld und Ungeduld seit zwanzig Jahren wartet.

DIE ERHEBUNG IN TIBET: Zwei Millionen Tibetaner versuchen, sich gegen 650 Millionen Chinesen, die das riesige Land überschwemmen, zu halten. Bis zum Sieg der Kommunisten in China staute sich die chinesische Welle an den Grenzen Tibets, das sich durch eine drakonische Fremdengesetzgebung vor der Ueberflufung zu schützen suchte. Die „rote Flut’ vermochte der kleine Mönchsstaat nicht aufzuhalten. 1951 erzwang Peking einen Vertrag, der Tibet militärisch, politisch und vor allem auch wirtschaftlich dem rotchinesischen Imperium eingliedert. Gegen diesen Vertrag erhob sich nun die nationale Bewegung. Ueber die Kämpfe, das Blutvergießen, die Greuel in der Heiligen Stadt, die mit Budapest 1956 verglichen wird, sind nicht verläßliche Nachrichten zu erhalten. Die einzige ausländische Vertretung, die Peking in Tibet duldete, ein indisches Konsulat, hat seine Tätigkeit eingestellt. Die Welt ist also weiterhin auf Gerüchte und auf die Reaktionen der Großmächte angewiesen. Die tibetanische Tragödie wird von der freien Welt mit Schmerz und Empörung und Hilflosigkeit, von Indien mit Angst, von Peking mit großem Unbehagen verfolgt, bildet sie doch keine Visitenkarte zur Anmeldung für die Aufnahme in die UNO. Eine einzige Regierung beobachtet dieses Drama, so scheint es, nicht ohne ein gewisses Behagen: der Kreml, der seinem großen Bruder gern diese Niederlage in Asien gönnt…

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