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Hitler, der Papst und das Reichskonkordat 1933

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Nahezu 40 Jahre nach dem Abschluß des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 erschien unlängst die von dem Jesuiten Ludwig Volk verfaßte Untersuchung der Vorgeschichte dieses heute heiß umstrittenen Ereignisses in der Ära der Appease-ments der dreißiger Jahre. Die aktuelle Bedeutung des Werkes besteht vor allem darin, daß es in einem Zeitpunkt der Öffentlichkeit übergeben wird, in dem sich des politischen Denkens großer Teile des deutschen Volkes eine seltsame Schizophrenie bemächtigt hat.

Während nämlich einerseits die gegenwärtig im Umgang mit totalitären kommunistischen Staaten praktizierte Appeasementpolitik einzelner Regierungen der freien Welt des Westens als ent-ideologisierte, vernünftige Realpolitik in Worten und Taten bekräftigt wird, gerät anderseits die in den dreißiger Jahren geübte Appeasementpolitik, mit der die „großen Demokratien“ anfänglich den Hitlerismus in Europa einzudämmen versuchten, in eine bodenlose Diskriminierung. Der Autor des vorliegenden Werkes stellt das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 richtigerweise in den Gesamtzusammenhang der Eindämmungsversuche, mit denen nacheinander Polen (1934), Großbritannien (1935), Österreich (1936), Frankreich und Großbritannien (1938) sowie die UdSSR (1939) ihre Beiträge zu einer von Hitler mißbrauchten Entspannungsund Revisionsbereitschaft nolens vo-lens geleistet haben.

Aber nicht nur in den internationalen Beziehungen von Staaten mit „verschiedenen legitimierenden

Staatsideen“ sind damals sowohl der Faschismus als auch der Nationalsozialismus akzeptabel geworden. Auch der Systemgedanke beider Bewegungen sowie Duce und Führer fanden Bewunderer in Kreisen, die heute derlei Sympathien von damals sorgfältig unter Verschluß behalten und außer Evidenz bringen möchten. Ea ist bekannt, daß US-Präsident

Franklin D. Roosevelt zu Zeiten Mussolini und dessen System sehr hoch eingeschätzt hat und sich dazu vor aller Welt bekannt hat. Der Schwede Gunnar Myrdal, eine Persönlichkeit, die heute zu den historischen Größen des demokratischen Sozialismus gehört, nannte den aufkommenden Nationalsozialismus eine „Bewegung der Jugend und der Zukunft“, die ihm nicht wenige Modelle lieferte. Unter dem Münchner Abkommen von 1938, jetzt Inbegriff einer Politik der Schwäche gegenüber einem totalen Staat, steht die Unterschrift des französischen Volksfrontpolitikers Edouard Daladier. Und der französische Sozialist Leon Blum verfehlte nicht, das Ribbentrop-Molotow-Abkommen von 1939 als einen Beitrag zum internationalen Frieden zu begrüßen. Die Geschichte aller derartigen unterschiedlichen Beiträge zur Appeasementpolitik der dreißiger Jahre und zur moralischen

Aufwertung des Nationalsozialismus ist noch nicht geschrieben; die Folgen dieser Politik sind allerdings inzwischen vielen Millionen Menschen in aller Welt spürbar geworden. Das kalkulierte Risiko der angesichts eines erfolgreich vordringenden Kommunismus betriebenen Appease-meratpolitik der siebziger Jahre vermag zunächst wohl niemand endgültig abzuschätzen; gewisse bereits erkennbare Folgen dieser Politik einmal auch am eigenen Leibe (und nicht nur an hilflosen Asiaten) auskosten zu müssen, ist sicher nicht jedermanns Ehrgeiz.

An Hand nunmehr zugänglicher staatlicher und kirchlicher Akten stellt Ludwig Volk die unwiderlegliche Tatsache fest, wonach es sich im Jahre 1933 kirchlicherseits weder um den simplen Versuch eines Appeasements noch um eine Solidarisierung von Christentum und Nationalsozialismus gehandelt hat, wie sie jetzt von nicht wenigen katholischen Theologen in den Beziehungen Katholizismus-Marxismus nachdrücklich unternommen wird. Noch weniger wollte sich die Kirche auf eine „Vermittlung der bleibenden Differenzen“ mit einer „mehr praktischen als theoretischen“ Methode einlassen, wie das heute vielfach das erklärte Ziel jenes Appeasements ist, das besagte Theologen in bezug auf den Marxismus exemplifizieren möchten. (Herders Theologisches Taschenlexikon, hgg. von Karl Rahner, Freiburg im Breisgau 1973, Band 5, S. 12 ff.).

In einem Gespräch, das Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli in der Zeit zwischen Abschluß und Ratifizierung des Reichskonkordats 1933 mit dem damaligen britischen Geschäftsträger beim Heiligen Stuhl, Ivone Kirkpatrick, führte (Ludwig Volk, S. 250 ff.), kommt klar zum Ausdruck, daß der Staatssekretär und spätere Papst Pius XII. das fragliche Konkordat in erster Linie als eine wenigstens in Teilen haltbare Verteidigungslinie für den Katholizismus in Deutschland ansah; er war sich klar darüber, daß Hitler auf die Dauer nicht gewillt war, alle Artikel des Konkordats einzuhalten; aber er kalkulierte — und wie sich später herausstellte mit Recht —, daß Hitler die von ihm übernommenen Verpflichtungen „nicht alle auf einmal verletzen würde“.

Hitler hat für sich die Lehren aus der verfehlten Politik gezogen, mit der einmal Otto von Bismarck der Katholischen Kirche im Kulturkampf begegnen wollte. Daher zerschlug Hitler zuerst die katholischen Massenorganisationen ; die politischen Parteien, Verbände, Vereine, Verbindungen usw. und ließ das, was man heute die „Amtskirche“ nennt, vor allem die noch im Lichte der Öffentlichkeit wirkenden Bischöfe, vorläufig ungeschoren. Jene Prominenten der Amtskirche, die man zu Bjs-marcks Zeiten inhaftierte, aus ihren Diözesen entfernte usw. Die quasi Umkehrung der Politik Bismarcks hatte 1933 und nachher den Effekt, daß die in die Isolierung gebrachten Priester und Laien als Einzelkämpfer einem System gegenüberstanden, dessen Ordnungsmacht ein Netz ohne Lücke wurde.

Hitler wußte genau, wie groß in der Wende 1932/33 noch der Selbstbehauptungswille des „politischen Katholizismus“ in Deutschland war: Bei der letzten, ohne behördliche Unterdrückungsmaßnahmen durchgeführten Reichstagswahl vom 6. November 1932 hatte es sich nämlich herausgestellt, daß der NSDAP der Durchbruch zur relativen oder absoluten Mehrheit unter dem Wäh-lervolk fast überall gelungen war — nur nicht dort, wo sich die katholische Zentrumspartei und die Bayrische Volkspartei unerschütterlich behaupten konnten. Uberraschenderweise erfolgte in den dreißiger Jahren der Durchbruch des Nationalsozialismus an die Macht im Staat in denselben Gebieten, in denen 40 Jahre später die SP und ihre Verbündeten ihren Siegeszug antreten konnten.

In einer Zeit wie der jetzigen, in der es nach dem Aufkommen einer sozialistisch-liberalistischen Regierungskoalitionen in der BRD (aber auch anderswo) üblich wurde, den Katholizismus in Deutschland dafür anzuklagen, daß er nach 1933 nicht in eine Einheitsfront mit Liberalen und Marxisten eingeschwenkt ist. Was Ludwig Volk bei der Erkundung der politischen Szenerie der dreißiger Jahre versäumt hat, ist die etwas detailliertere Dokumentation jener Erfahrungen, die Katholiken bis 1933 im Umgang mit Liberalen und Marxisten gewonnen hatten. Vor diesem historischen Hintergrund würde es dem heutigen Leser besser verständlich, warum vor 40 Jahren jene Einheitsfront nicht zustande kam, um die sich gerade damals die Linke unter Anleitung der Kommunisten in Form der „Volksfront“ so sehr bemühte.

Was weiß der heutige Leser davon, daß es in den Pariser Aufständen der Revolutionen von 1789, 1848 und 1871 quasi zum Programm gehörte, den Erzbischof von Paris umzubringen. Welcher Liberale von heute weiß, daß 1799, Jahre nach dem Ende des Terrors der Jakobiner, von einer liberalen französischen Regierung 9000 katholische Priester verhaftet und deportiert wurden, weil sie sich weigerten, die Unterwerfung der Kirche unter den Staat anzuerkennen. Wer kennt noch jene seit den Religionskriegen des 17. Jahrhunderts ungewohnte Härte, mit der 70 Jahre später die Nationalliberalen im Deutschen Reich während des Kulturkampfes über den Katholizismus herzogen. Und wer erinnert sich im Rückblick auf die Belle Epoque Frankreichs, daß es damals die bürgerlichen Atheisten unternahmen, eine Organisierung der Menschheit „ohne Gott“ von der Schulstube aufwärts zu beginnen. Von den heutigen, zwar weniger brutalen, dafür aber um so wirksameren Methoden der zumeist von liberalen Intellektuellen gesteuerten Massenmedien zur Diskriminierung und Auslöschung der Religion und der Kirche ganz zu schweigen.

Im Hinblick auf den Marxismus bestanden um 1933 nicht nur die damals noch recht frischen Erinnerungen an die gegen Religion und Kirche gerichteten Terroraktionen der Pariser Kommune von 1871; man war ja Tatzeuge dessen gewesen, was die diversen Räteregierungen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges der Kirche zugedacht und angetan hatten; die 1931 begonnenen Unterdrückungsmaßnahmen der republikanischen Regierung Spaniens, unterstützt von den Kirchenfeinden in aller Welt, waren gerade in Gang gekommen. Die deutschen Katholiken brauchten um 1933 nicht den heute zuweilen auch von Theologen anempfohlenen „Nachholunterricht in Marxismus“; es war damals, wenigstens in intellektuellen Kreisen, bekannt, daß seit Anselm Feuerbach jede im Anschluß an Marx entstandene Philosophie die Realisierung eines sozialistischen Humanismus mit dem Prinzip des Atheismus, als dem „offiziellen Prinzip der Politik“ begonnen hat. Auch wenn viele solcher Philosophen, wie zuletzt Max Horkheimer, ihren Kreisgang in der Nähe eines parareligiösen Denkens geschlossen haben.

Der Autor hätte sein bemerkenswertes Werk nicht schreiben können, wären nicht vorher von der Kommission für Zeitgeschichte bei der Katholischen Akademie in Bayern neben vielen anderen einschlägigen Publikationen die staatlichen sowie die kirchlichen Akten der Verhandlungen über das Reichskonkordat 1933 der Öffentlichkeit und der Forschung zugänglich gemacht worden. Eine ähnliche Direktive fehlt zum Beispiel in der jetzigen Polemik über den politischen Katholizismus in Österreich und das Dollfuß-Konkordat 1933. Von größtem Wert ist, was Ludwig Volk aus dem Nachlaß Pater Robert Leiber SJ zitiert. Pater Leiber stand Pius XII. wie kein anderer lange und persönlich nahe. Jene Einschätzung des kalkulierten Risikos, die Pater Leiber im Sommer 1933 dem damaligen Staatssekretär Eugenio Pacelli betreffs des Reichskonkordats vorlegte, ist bestechend in ihrer Klarheit, Offenheit und Un-nachsichtigkeit, ,vor allem in den Punkten, in denen der Jesuitenpater sich nicht scheut, dem Kardinalstaatssekretär manche vermutete Basis seines politischen und diplomatischen Handelns um der Wahrheit und Sachlichkeit willen zu entziehen.

Es war ein Segen für die in den fünfziger Jahren begonnenen Vorverhandlungen zur Sanierung des österreichischen Konkordats 1933, daß auch in diesem Fall Pater Leiber mehrmals seine Ansichten dort vorbrachte, wo kirchlicher- oder staat-licherseits Utopien oder augenblicklicher politischer Opportunismus verfolgt wurden.

Das vorliegende Werk ist zusammengefaßt ausgedrückt in dreifacher Hinsicht bemerkenswert: Erstem basiert es zum Unterschied von verschiedenen „zeitgeschichtlichen“

Publikationen nicht auf der Pamphletistenliteratur der Streitteile der Vergangenheit und Gegenwart und auch nicht nur auf Akten, die bekanntlich zuweilen lügen, sondern auf jenen sorgfältig erkundeten „Gedanken und inneren Vorhaben“, die von den in der Geschichte handelnden Personen nicht immer zu Papier, wohl aber zur Ausführung gebracht werden. Zweitens durchleuchtet es die zumal kirchlicherseits um 1933 angestellten Erwägungen des kalkulierten Risikos bei Abschluß eines völkerrechtlichen Vertrags mit dem hitleritischen Deutschen Reich. Und drittens bemüht sich Ludwig Volk um eine sachliche Analyse der Politik der katholischen Zentrumspartei und insbesondere ihres 1. Vorsitzenden Prälat Ludwig Kaas (t 1952) in der Wende von 1933. Das Werk ist in diesem Punkt komplementär und wohl auch kritisch in bezug auf die Memoiren des letzten Vorsitzenden der Zentrumspartei Heinrich Brüning.

Willy Brandt, Regierunschef der sozialistisch-liberalistischen Koalition in Bonn, leistete im Juni 1973 seinen Beitrag zum Appeasement unserer Zeit, indem er den Generalsekretär des ZK der KPdSU Leonid Iljitsch Breschnew unter anderem mit folgendem Satz begrüßte:

„Herr Generalsekretär, wir behelligen Sie nicht mit Philosophien.“ Ist die Philosophie im Umgang mit Marxisten, namentlich mit Kommunisten, tatsächlich nur eine Strapaze in dieser von Appeasement geschwängerten politischen Luft des Sommers 1973? Vielleicht kam dem Kommunisten Breschnew dabei in den Sinn, was Lenin von jenen Leuten hielt, die in der Politik die Philosophie ausschalten möchten:

„Die parteilosen Leute sind in der Philosophie ebenso hoffnungslose Stümper wie in der Politik.“

Aber: Wer möchte schon Lenin in diesem Punkt folgen? Nicht einmal ein zur Solidarisierung mit dem Marxismus geneigter katholischer Theologe.

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