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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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UNGLÜCKLICHES ECHO. Der Leitartikel der „Furche” vom 14. November hat weithin Widerhall gefunden. Das Echo zeigt einige Tatsachen auf, die kurz fesfgehalten werden müssen. Seit es eine katholische Presse und Publizistik in Europa gibt, gehört zu ihren heiklen und wichtigen Aufgaben auch die Auseinandersetzung im innerkatholischen Raum. W i e diese nun durchgeführf wird, das ist die Frage! Unser ehrenwerter Kontrahent in einem Morgenblatt übergeht, ohne auch nur mit einem Wort darauf Bezug zu nehmen, den Aniah unseres Aufsatzes; nämlich gewisse Taktlosigkeiten gegenüber dem päpstlichen Nuntius in Wien, und schreibt von ganz anderen Dingen, die mit unserem Leitartikel gar nichts zu tun hoben. Dann kommt ein Bekenntnis. Unser Hinweis darauf, dah das besagte Blatt vor mehr als drei Jahrzehnten mit den Groschen des katholischen Volkes geschaffen wurde, sei irreführend, denn: „Das .Kleine Volksblatf“ von damals ist durch den Nationalsozialismus ausgelöscht worden. Es entstand 1945 als eine neue Zeitung wieder, die andere Funktionen hatte und hat als ,Das Kleine Volksblatt' der Zeit vor 1938.” Gut und schön, dieses Eingeständnis. Wenn dem aber so ist, sollte offen die Konsequenz gezogen werden. Außerdem: Schade, für uns alle,

schade: wie hier die Chance vertan wurde, sich sachlich einem Partner zu stellen, im meist so windstillen Raum der christlichen Presse in Oesterreich,

„VOLKSHOCHSCHULEN IN NOT." Unter diesem Titel lädt die „Arbeitsgemeinschaft für Kunsf und Wissenschaft" zu einer Enquete über die Probleme der österreichischen Volkshochschulen in Wien ein. Einige Sätze aus ihrem Aufruf verdienen, als Merksätze nicht nur für unsere Berufspolitiker festgehalten zu werden. „Die Bedeutung der Volksbildung, die von der Allgemeinheit erkannt wird, hat nicht verhindern können, daß die meisten Institutionen der Erwachsenenbildung sich in einer ausgesprochenen Notlage befinden. Die Folgen dieses Umstandes sind unter anderem Raumnot, ungenügende Honorierung der Kursleiter und Vortragenden und vor allem die Nichtbewältiguna der Hauptaufgabe der österreichischen Volksbildung, das Fundament des höchst notwendigen Umbildungsprozesses der Gesellschaft zu sein.” „Für eine Kursstunde inklusive Vorbereitung und Fahrtspesen erhält der Kursleiter 27 Schilling, ein Universitätsprofessor für einen wissenschaftlichen Vortrag 50 Schilling.”

. . Die Erwachsenenbildung muß von einer demokratischen Regierung als ihre wesentliche Stütze anerkannt und ausreichend gefördert werden. Die Erwachsenenbildung ist eine wichtige Voraussetzung einer lebendigen Demokratie." Lebendige Demokratie! Dieses glückliche Sfichwort sollte richtig verstanden werden. Wenn heute bereits und morgen riesenhafte Freizeitprobleme heranstehen, wenn die Barbarisierung von Jugendlichen und Erwachsenen den Gerichten, der Polizei, den Kliniken und der Trinkerfürsorge immer noch wachsende Massen zuführt, dann wird auch hier deutlich sichtbar: die „Unerzogenheit" breitester Schichten unserer Gesellschaft aller Rang- und Ge- halfsklassen, täglich im Straßenverkehr schmerzlich spürbar, stellt ein politisches Risiko ersten Ranges dar: Wie sollen diese konsumsüchtigen und genußsüchtigen, denkfaulen Großaruppen Verteidiger der Freiheit werden? Gewiß: die Volkshochschulen selbst werden sich gründlich umbilden müssen, um ihren Bildungsaufgaben in der Gesellschaft von morgen gewachsen zu sein. Dieser Umbildungsprozeß ist aber selbst zu fördern durch eine tatkräftige und weifzielende Unterstützung ihrer Arbeiten. Hoffen wir, daß mit der Enquete die Zukunft dieser Institutionen beginnt.

DAS NEUE PROGRAMM DER SPD. Mit 340

gegen 16 Stimmen hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands aut dem außerordentlichen Parteitag in Bad Godesberg ein neues Grundsatzprogramm beschlossen, das alte Heidelberger von 1925 damit ablösend. Ziel des neuen Programms: die SPD nimmt Abschied von Karl Marx und wird zur Volkspartei. In diesem Sinne wurde ein klarer Trennungsstrich gegenüber den Kommunisten gezogen, bekennt sich doch die SPD zur Landesverteidigung und zur Zusammenarbeit mit den Kirchen. „Sozialistisch" sind an diesem Programm die Forderungen einer öffentlichen Kontrolle der wirtschaftlichen Machf- zusammenballung und einer staatlichen Min- desfrente. Der Parteivorstand lehnte den Antrag ab, die Ueberführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum zu einer Grundsatzforderung zu erheben. Erste Kommentare der Gegner: die SED wirft der SPD Verrat am Sozialismus vor, die CDU/CSU meint, nur das Vokabular habe sich geändert, der linke Flügel in der SPD selbst spricht von Unterwerfung unter das Wirtschaftswunderklima der Bundesrepublik. Die Folgen dieser Programmänderung werden sich wohl nicht über Nacht zeigen. Gerade die politischen Gegner der SPD in der CDU werden gut daran tun, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, und diesen Versuch, eine „Volkspartei" zu werden, ernst zu nehmen. Das österreichische Exempel ist hüben und drüben lehrreicher, als man zugeben will...

ACHT NEUE KARDINALE. Papst Johannes XXIII. hat acht Prälaten zu Kardinälen erhoben: von diesen sind drei deutscher Abstammung, nämlich der Jesuitenpater Bea, der Beichtvater Pius' XII., Erzbischof Meyer von Chicago und der Apostolische Nuntius in Deutschland, Münch, die beiden letzteren sind amerikanische Staatsbürger; drei sind Italiener, der Nuntius in Paris, Marella, der Sekretär der „Segnatura”, Morano, und der Nuntius in Bern, Testa; dazu kommen noch ein Schotte, der Dekan der „Rota”, Heard, und ein Spanier, der Sekretär der Religiosen-Kongregation, Larraona. Die Besetzung der kürialen höchsten Aemfer ist ein sichtbares Ziel dieser Kardinalserhebung: mit Ausnahme des Erzbischofs von Chicago werden alle anderen Kardinäle Kurienämfer übernehmen: im Hinblick auf die Vorbereitung des

Oekumenischen Konzils ist diese Tatsache besonders beachtlich. Ein gewisses Aufsehen erregt die Ablösung des Kardinals Tisserant als

Leiter der Ostkirchen-Kongregation durch Kardinal Cicognani, die gleichzeitig bekannfgege- ben wurde. Zum erstenmal seit 1934 ist Deutschland, durch Pater Bea, wieder unter den Kurien- kardinälen vertreten.

GRONCHI NACH MOSKAU. Der letzte Parteikongreß der Demoerisfiani in Florenz stand bereits im Schatten der Einladung Chruschtschows an Gronchi zu einem Staatsbesuch in Moskau. Seither bildet dieses Thema den Mittelpunkt innenpolitischer Auseinandersetzungen in Italien. Rechtskreise benützen diesen Anlaß zu einer großangelegfen Offensive gegen die „Linkskatholiken", denen der Staatspräsident nahesteht, und weisen in diesem Zusammenhang auf die Unpäßlichkeiten hin, die für den Vatikan im Falle des Gegenbesuches von Chruschtschow in Rom entstünden. Falls der sowjetische Repräsentant um einen Besuch beim Heiligen Vater an- suchen würde, was wahrscheinlich sei, entstünde eine schwierige Lage: der Präzedenzfall von 1939 passe nicht recht: Pius XI. konnte sich damals beim Besuch Hitlers in Rom nach Castei uandolfo zurückziehen; die Beziehungen zu

Hitler waren nach dem vielfachen Bruch des Könkörckits düüäH? die Retohsregifefufig bereits auf dem Gefrierpunkt angelangt. Heute sieht die weltpolitische Situation anders aus. Die Bemühungen Papst Johannes XXIII. um Kontakte mit den Ostkirchen, die Vorbereitungen des Konzils lassen einen Affront Moskaus als unpassend erscheinen. Die „Kirche des Schweigens” wiederum läßt eine persönliche Begegnung in Rom als verfrüht erscheinen. Ein Ausweg schein) sich, für Italien zumindest, anzubahnen. Das italienische Kabinett hat die Einladung Gronchis nach Moskau gebilligt, als Termin Mitfe Jänner vorgeschlagen. Eine Zeit zwischen der Westkonferenz in Paris und der Osf-West-Gipfelkonferenz. Sie feilte der sowjetischen Regierung mif, daß sie für den Gegenbesuch in Rom nicht Chruschtschow, sondern den weniger hart akzentuierten Staatspräsidenten Woroschilow einladen wolle.

WEISE NEGER. Im kommenden Jahr werden auf dem afrikanischen Kontinent Gebiete von insgesamt zwei Millionen Quadratkilometer mit einer Bevölkerung von mehr als 30 Millionen, nämlich Nigeria, Togoland, Kamerun und das unter italienischer Treuhandverwaltung stehende Somalia, ihre staatsrechtliche Unabhängigkeit erlangen. In den Augen Sekou Toures, des Präsidenten von Guinea, der die Ambition zu hegen scheint, einstmals als der afrikanische Mazzinl in die Geschichte einzugehen, mag die bevorstehende Emanzipation jener ehemaligen Kolonien einen weitreichenden Schritt zur Schaffung der ihm vorschwebenden allafrikanischen Union bedeuten. Bei näherer Betrachtung zeigt es sich allerdings, daß nicht alle Afrikaner sich dieses Ziel bedenkenlos zu eigen gemacht haben. Die wenig über eine Million zählende Bevölkerung von Britisch-Kamerun, für die ein eigenes Staatswesen zunächst nicht in Frage kommen kann und die sich daher vor die Wahl eines Anschlusses an das in hohem Maß prosperierende große Nigeria oder eines weiteren Verbleibens unter britischer Administration gestellt sah, hat sich mif beträchtlicher Mehrheit für letzteres entschieden. Sie hat erkannt, daß dem Wohl eines afrikanischen Volkes mit der Befreiung von europäische' Vormundschaft wenig gedient ist, solange die ersten Voraussetzungen einer geordneten Selbstverwaltung fehlen und solange keine Gewähr gegeben ist, daß nicht eine neue afrikanische Herrenschichf, so wie etwa in Ghana, dem Ausbau ihrer Machtstellung und der Gewinnung persönlicher Vorfeile weif mehr Aufmerksamkeit schenkt, als den Lebensnofwen- digkeifen der breiten Masse.

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