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An den Rand geshrieben

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EINE MAHNUNG DES PAPSTES. Vor einigen Tagen nahm Papsi Johannes XXIII. in einer Ansprache bei einer Generalaudienz in Castel- gandolfo zu der besorgniserregenden Entwicklung der Weltlage Stellung. Es scheine, so sagte der Heilige Vater, als würde die Welf immer mehr in ein Chaos gestürzt. Das einzige wirksame Heilmittel für die Welt wäre eine konsequente Anwendung der christlichen Lehre von der Vergebung. Wenn dieses Prinzip allgemeine Anwendung fände, dann könnten die Verantwortlichen der Welt, die eifrig hier und dort zu politischen und diplomatischen Gesprächen zusammenkommen, um die Gefahr eines Krieges zu bannen und den Frieden zu sichern, sich viel Mühe ersparen, denn ihr Bemühen würde in Kürze zu christlichen Lösungen führen. Diese Papstworte gehen alle an; nicht zuletzt die Regierungen in Rom und Wien, das italienische und österreichische Volk, zwei Völker, in denen christlich-demokratische Politiker führend mitverantwortlich sind für die Befriedung in Südtirol. Hat Scelba dieses Papstwort vernommen, als er kurz darauf die Politiker der Südtiroler Volkspartei zu Gesprächen nach Rom bat?

STUDENTISCHE OSTKONTAKTEI über studentische Beziehungen zwischen Westen und Osten ist in den letzten Jahren nicht wenig debattiert, geschrieben und auch gewagt worden. In der letzten Nummer der lebendig redigierten Zeitschrift des Österreichischen Cartellverbandes wird nun von einem Doktor der Theologie ein Vorschlag zur Diskussion gestellt, der hoher und ernster Beachtung wert ist. Mutig wird hier dem so beliebten „Maginotliniendenken" entgegengetreten und ein „offensiv-dynamisches, weltoffenes Denken’ gefordert. „Absolut abzulehnen ist ein Studentenaustausch von ungeschulten Leuten." Hingegen gilt: „Der Kommunismus hat durch den Marxismus-Leninismus kritisiert zu werden." Hier wird der Nagel auf den Kopf und das Problem in seiner Herzmitte getroffen: wirklich ansprechbar und interessiert sind marxistisch geschulte studentische Eliten in den Ostländern „nur” an den Konsequenzen und Problemen ihrer Welt. Die Anerkennung dieser Binsenwahrheit un iüßte unsererseits bedeutende K6hs9qü Mwv,d herben: die Schulung und Vertrautheit von jüngeren Menschen, die es wirklich wagen wollen, an die Front zu gehen — an die Front des Menschen — mit den immanenten Fragen der kommunistischen Ideologie. Von Marx und Lenin her lassen sich nicht nur der russische Imperialismus von gestern und heute und der Stalinismus, sondern, konsequent weitergedacht, der dialektische Materialismus und die sich auf ihn berufenden Ideologien der heutigen kommunistischen Parteien in Frage stellen. Es ist vielleicht kein Zufall, dal; ein Theologe diesen Vorschlag macht: die Kirchenväter haben einst die „heidnische" Philosophie zu Ende gedacht, die großen katholischen Theologen der Gegenreformation haben Luther und Calvin bis in ihre letzten Konsequenzen durchdacht — und dadurch nicht zuletzt eine echte Konversion ermöglicht. Schicksalsfrage für den heutigen Westen: wird sich hier eine jüngere Generation heranbilden, die es wagt, frömmer zu s e i n und mutiger zu denken — und die ohne falsche Angst und falsche Hoffnung das langwierige, größte Geduld, Herzkraft und Denkkraft fordernde Geschäft des Geisteskampfes auf sich nehmen wird?

KARDINAL TARDINI *. Einer der profiliertesten Kardinale der römischen Kurie ist am letzen Sonntag gestorben. Kardinalstaatssekretär Domenico Tardini, der „Außenminister" des Vatikanstaafes, hatte sich eines fast legendären Rufes erfreut, Dieser Mann der konservativen Rechten war persönlich allem Ruhm abhold. Tardini liebte es nicht, hervorzutreten. Arbeit, zähe Arbeit im stillen, war lange Jahrzehnte das sichtbarste Kennzeichen dieses Mannes, dem von manchen Seiten ein so hervorragender Einfluß auf die Weltpolitik der Kurie zumal in den letzten Jahren des Papstes Pius XII. zugeschrieben wurde. Tardini wurde 1912 zum Priester geweiht und war dann als Professor am päpstlichen römischen Priesterseminar tätig. Erst 1921 tritt er in die unteren Ränge der Kongregation für außerordentliche kirchliche Angelegenheiten ein: ein emsiger, sachkundiger, leidenschaftslos sachlicher Arbeiter, der 1929 hier ünfersfaatssekretär und 1937 Sekretär wurde. Dazu wurde Tardini Präsident der 1933 gegründeten Kommission „Pro Russia”. Johannes XXIII. ernannte ihn 1958 zum Staatssekretär und verlieh ihm den Kardinalshut. In vergangenen Jahren hatte man des öfteren Spekulationen angestellt über einen möglichen Gegensatz zwischen Tardini als Führer eines „rechten" Flügels der römischen Kirchenpolitik und Montini als Sprecher eines „linken" Flügels. Die Wirklichkeit war anders und komplexer: weder Tardini noch Montini lassen sich mit diesen Begriffen aus der Parteiengeschichfe Westeuropas richtig erfassen. Dies ist gegenwärtig auch deshalb bedeutungsvoll zu wissen, da als einer der möglichen Nachfolger Tardinis eben der Erzbischof von Mailand, Giovanni Battista Montini, genannt wird, der so lange Jahre als sein Gegenspieler angesehen wurde …

AUSSICHTEN FÜR 1980! 1903 wurde das Erste Programm der russischen Kommunisten entwickelt, 1919 folgte das Zweite Programm der KPdSU. Am 30. Juli 1961 veröffentlichte die „Prawda" den Entwurf Chruschtschows für das Dritte Programm, der bis zum XXII. Parteikongreß im Oktober dieses Jahres diskutiert und verbreitet werden soll. Die führenden Männer der Sowjetunion sind fest überzeugt vom Sieg des Kommunismus in allen Ländern der Erde. Man hofft, ohne Krieg das Z;el zu erreichen. Der Programmentwurf bekennt sich zur Koexistenz, gleichzeitig zum Krieg — im Falle eines Angriffes auf die Sowjefunion. Dies und vielerlei dazu, was seit vielen Jahren durch tausend Reden bekannt ist, steht auch im neuen, Dritten Pro- aramm der KPdSU, überraschend für den Westen und die nichtkommu- nisfische Welt ist ein anderes: peinlich aenau wird das aufqezählt, was die Bevölkerung des Riesenreiches bis 1970 und schließlich 1980 alles erhalten wird an wirtschaftlichen Gütern, kostenlos, frei, nach Bedarf des einzelnen. Wie stark muß nicht nur der Nachhotbedarf, sondern auch der Nachholwille breitester Massen sein, daß diesem Bedürfnis so beredter und genau umrissener Ausdruck geaeben wurde In diesem Sinne ist dieser Entwurf bei all seiner Rhetorik ein Dokument für die wirklichen Zustände in der Sowjetunion. Aus der Fülle der Versprechungen seien kurz notiert: die Produktion

JTO. gebrauch . soll erhöhf werden. Di® Bedienung in den Geschäften soll S3 ’und d'Aündgh ' r angepaßt werden. Innerhalb der Kommunistischen Partei soll für größere Demokratie Platz gemacht werden. Für Frauen und Kinder soll mehr als bisher gesorgt werden. Fast sieht es so aus, als hätten die Herren im Kreml (assistiert von Frau Furfsewa) so für sich eine kleine Meinungsumfrage veranstaltet, um einige besonders dringende Bedürfnisse und Nöte des Volkes zu festen. Ist es ein Zufall, daß seif einigen Monaten zum erstenmal in der Geschichte der Sowjefunion die Presse von meinungsforschenden Umfragen berichtet. deren veröffentlichte Antworten teilweise erstaunlich offen aussagen, wo überall der Schuh drückt?

DIE REAKTION IN PERSIEN. Was wird aus den vor einigen Wochen groß angekündigten Reformmaßnahmen der neuen persischen Regierung? Schneller als selbst Pessimisten annahmen, scheint die Reaktion, das heißt feudale Großgrundbesitzerkreise rund um den Hof, zum siegreichen Gegenschlag auszuholen. Die Beschränkung des Landbesitzes ist zurückgestellt worden. Die angekündigte Festnahme von 140 untreuen Staatsdienern verlief im Sande. Die Gerichtsverhandlungen gegen die bestochenen Generäle haben noch immer nicht begonnen. Generalankläger Asmuden, prominenter Sprecher des angeklagten Systems, wurde aus der Haft entlassen. Die Zensur setzte wenige Wochen nach der Proklamierung der Pressefreiheit wieder ein. Einige Zeitungen wurden verboten. Richtlinien an die Herausgeber über Themen, die nicht berührt werden dürfen, wurden erlassen. Ministerpräsident Amini besitzt keinerlei persönlichen Einfluß auf die Armee, Polizei und die staatliche Sicherheitsorganisafion: diese gehorchen der Regierung nur, solange sie nicht von höherer Stelle andere Weisungen erhalten. Die um den intriganten Hof, der den Schah gerne als seinen ersten Gefangenen betrachten möchte, gesammelten Kreise holen zu neuen Schlägen gegen Amini und die kleine Reformgruppe um ihn aus: Es könnte ein ganz großer Sieg dieser Reaktion werden. Einer jener großen Siege, die so mancher großen Reaktion nicht nur in Europa gelungen sind: und die ihr selbst die Vernichtung gebracht haben. Wenn die Reform äb- qewürgt wird, bleibt als letzter Sieger der lachende Dritte auf der Walstatt stehen: die rote Revolution.

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