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Sendungsbewußtsein als Ballast

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Frankreich ist die europäische Na- ion, die ihr Selbstbewußtsein, ihr lendungsbewußtsein am systematischen zu einer starren Ideologie hat /ersteinern lassen und diese Ideologie n den Schulen immer noch als kompaktes Paket an die aufsteigenden Senerationen weitergibt. Man darf sich iurch die fröhlichen Witzeleien des :inzelnen Franzosen über Zustände ,:nd Vorgänge in seinem Lande nicht :äuschen lassen (und vor allem nicht uif sie eingehenl) — im Grunde seines Herzens ist er doch fest überzeugt, laß Paris die Hauptstadt der Welt ist, laß die französische Art des Denkens die allgemeingültige bleibt, daß die lanzösischen Frauen die schönsten und elegantesten von allen sind. Und die Politik ist für ihn eine immerwährende Repetition der gleichen Vorgänge; immer wieder entfaltet sich der Hof des Sonnenkönigs und immer wieder werden unter der Trikolore die Bastillen gestürmt. Aber manchmal bekommt er doch von der brutalen Wirklichkeit zu spüren, daß die Welt sich gewandelt hat.

In den Jahren seit dem zweiten

Vgl. Armin Möhler: Versuchung „direkte Aktion“, „Furche“ Nr. 34 vom 26. August 1961.

Weltkrieg sind in Frankreich zwe Männer aufgetreten, welche die Fran zosen zur Anpassung an die neue Lagi nötigen wollten. Der eine, Pierr Mendis-France, versuchte e mit Nüchternheit; seine Schockthera pie bestand in der ständigen Konfron tation jener starren Ideologie mit der auf Zahlen reduzierten Fakten. Wel chen Widerstand er damit hervorrief ist bekannt. Als dann Charles d i Gaulle von neuem die Bühne be trat, sagte man: „Der ist geschickte: als Mendės-France, der weiß, wie mai den Franzosen die bitteren Wahrheitei psychologisch beibringen muß. Di Gaulle ist der einzige Mann, der dei notwendigen Rückzug Frankreichs au nicht mehr zu haltenden Positionen ii einen französischen Triumph zu ver wandeln vermag.“

Heute ist das nicht mehr so sicher Gemessen an dem Haß, den de Gaulli inzwischen auf der Rechten gegei seine Person geweckt hat, wird jene : Haß gegen Mendės-France rückblik kend zu einer bloßen Gereiztheit Immer wieder bekommt man von An gehörigen der Rechten zu hören „Mendės-France hatte wenigstens de: . Vorzug seiner Ehrlichkeit; er verlangt einfach ohne Umschweife unsere Ka

Kombinationen enthalten war. Die Unsicherheit des ersten Augenblicks, verständlich einem Mann gegenüber, der bisher keineswegs zu den bekanntesten Persönlichkeiten der Kurie gehörte und auch nicht zu den Diplomaten der vordersten Linie, ist dann sehr bald einer zufriedenen Genugtuung gewichen, weil ihn seine menschlichen und charakterlichen Qualitäten für das hohe Amt so geeignet erscheinen lassen, ungeachtet des hohen Alters. Im übrigen entspricht sein Alter dem Durchschnitt im Heiligen Kollegium, wo viele bejahrtere Kirchenfürsten verantwortungsvolle Ämter bekleiden. Die linksextreme Presse war die einzige Seite, von der keine lebhafte Zustimmung, sondern Kritik an der Wahl des Papstes gekommen ist, aus vorgefaßter Meinung und Enge des Horizonts, indem sie die Ernennung politisch interpretierte: der lange Aufenthalt Cicognanis in Washington habe Johannes XX1I1. bestimmt, den „atlantischen“ Staatssekretär neben sich zu rufen, man weiß nicht recht, ob er damit den Amerikanern eine Freude machen wollte oder um die Bindung der katholischen Kirche an den Westen zum Ausdruck zu bringen. Nichts dergleichen konnte dem Papst ferner stehen. Amleto Giovanni Cico- gnani hat in den Vereinigten Staaten keinen politischen Einfluß gehabt noch geltend machen wollen. Er hat dort seine Aufgabe in erster Linie pastoral aufgefaßt, wofür die insgesamt dreitausend Ansprachen und Predigten sprechen, die er in fünfundzwanzig Jahren dort gehalten hat, also fast eine jeden dritten Tag: er hat versucht, das Schicksal der Bombardierung Roms während des vergangenen Krieges abzuwenden, er hat sich für die Ernennung eines persönlichen Vertreters Roosevelts bei Papst Pius XII. in der Person Myron Taylors eingesetzt, er hat sich für die italienischen Kriegsgefangenen und ihre raschere Heimschickung verwendet, er hat dann in den Nachkriegsjahren die Entwicklung des Katholizismus in Nordamerika gefördert, in dem Maße, wie es seiner Stellung zukam. Als Cicognani sein Amt in Washington antrat, fand er 106 Diözesen mit 118 Bischöfen und zwanzig Millionen Katholiken vor; als er es verließ, waren die-Diözesen auf 150 angewachsen, die Zahl der Katholiken tf-'Sfc Millidnėn, die ' der Bischöfe auf 220, von denen er sechzig selbst konsekriert hat. Daß ein solches stürmisches Aufblühen in dem Apostolischen Delegaten Eindruck hinterließ und den Dynamismus und Aktivismus des amerikanischen Episkopats bewundern ließ, kann nicht geleugnet werden. Es gibt sogar Leute, die behaupten, daß das Antlitz Cicognanis mit der Zeit dem amerikanischer Priester zu gleichen begann, so wie sich zwei lange und glücklich verheiratete Gatten einander auch äußerlich zu ähneln beginnen.

Keiner Gruppe und Clique zugehörig

Die lange Abwesenheit von Rom hätte ebensogut als Hindernis für seine Ernennung zum Staatssekretär aufgefaßt werden können, in dem Sinne, daß er die Arbeit der Kurie aus den Augen verlor. In Wirklichkeit ist Amleto Cicognani ein ausgezeichneter Kenner der Kurie, wenn er auch nicht gerade die Arbeit des Staatssekretariats im besonderen zu verfolgen Gelegenheit fand, wegen der vielen Ämter, die er vor seiner Berufung nach Washington an ihr bekleidet hat. Zudem hätte die lange Abwesenheit, wenn es nicht schon in seinem Naturell läge, bewirkt, daß sich Cicognani allen Gruppenbildungen fernhielt, die an der Kurie und innerhalb des Heiligen Kollegiums Vorkommen. Cicognani ist Einzelgänger, seine Kontakte mit den Amtsbrüdern beschränken sich auf die dienstlichen Angelegenheiten, selbst die mit dem Bruder Gaetano sind lose, denn die beiden waren viel zu lange voneinander getrennt gewesen. Darf man gerade darin einen der Gründe erblicken, warum Johannes XXIII. gerade ihn ausersehen hat?

Eine zweite Kritik ist in der linksextremen Presse lautgeworden: sie fand es anstößig, daß Kardinal Amleto Cicognani nicht nur das Staatssekretariat, sondern auch den Vorsitz über die Kommission der Vatikanstadt und der Verwaltung der Güter des Heiligen Stuhles erhalten hat, damit die Finanzverwaltung der kirchlichen Zentrale kontrolliert und eine ungewöhnliche Machtfülle neben der des Papstes in den Händen hat. Ob Cicognani diese Kontrolle tatsächlich auszuüben gedenkt oder ob er sie nicht den gleich zeitig ernannten Propräsidenten der Kommissionen, den Kardinalen Di Jorio und Testa, überlassen wird, muß sich erst zeigen. Die oberste Aufsicht über die Finanzgebarung stand immer den Staatssekretären zu, und nur die Tatsache, daß ein solcher eben nicht vorhanden war, hatte Pius XII. veranlaßt, den kürzlich verstorbenen Kardinal Canali damit zu betrauen. Auch ist das Verhältnis der Päpste selbst zu den Finanzangelegenheiten nicht das gleiche: Pius XI. hat sich kaum um sie gekümmert, während bekannt ist, daß Papst Pacelli ihnen ein besonderes persönliches Augenmerk gewidmet hat. Man hat den Eindruck, daß Johannes XXIII. wieder möglichst wenig damit belastet zu werden wünscht.

Zuerst Priester, dann erst Beamter

Kardinal Cicognani hat sein Amt bereits angetreten, aber noch nicht den Fuß in das Staatssekretariat gesetzt. Er wohnt auch immer noch in dem etwas düsteren Palast des Heiligen Offiziums, hinter den Kolonnaden des Petersplatzes, ohne Eile zu zeigen, die Dienstwohnung des Staatssekretärs im Apostolischen Palast zu beziehen. Er empfängt vorderhand seine engsten Mitarbeiter und die anderen Beamten des Staatssekretariats bei sich. Die Kontakte zwischen diesen und ihrem neuen Vorgesetzten haben sich überraschend leicht herstellen lassen. Der Charakter des neuen Staatssekretärs ist grundverschieden von dem seines Vorgängers, des Kardinals Tardini, dessen stürmische, blutvolle, ausfüllende Persönlichkeit, dessen brillanter Witz, ätzender Sarkasmus voll von dem „römischen Salz", dessen großzügige Geistigkeit bei gleichzeitigem strengem Festhalten an den als richtig erkannten Prinzipien seiner theologischen und kirchenrechtlichen Wissenschaft einer ganz andersgearteten Persönlichkeit Platz gemacht hat, einem Mann voll stiller Bescheidenheit und gütiger Ruhe, der Gelassenheit, des Verständnisses, der Sachlichkeit, kurz gerade aller jener Eigenschaften, welche Diplomaten ausländischer Staaten im Verkehr mit dem Staatssekretär besonders angenehm finden. Persönlich strenger Askese zuneigend, auch sich selbst gegenüber zu keinen Konzessionen bereit, fühlt er sich in erster Linie als Priester und erst dann als Beamter, und sei es auch einer in höchster Stellung. Seine Untergebenen in der Apostolischen Delegation in Washington hatten sicherlich kein leichtes Leben: um 6 Uhr Wecken, um 7 Uhr

Messe, um 8 Uhr Frühstück, um 8.30 Uhr Dienstbeginn ... Sie nannten ihn einen „Romagnole aus Irrtum", denn die sanguinische, kraftstrotzende, impulsive Art der Romagnolen könnte seinem Wesen nicht fremder sein. Cicognani ist liebenswürdig und schmiegsam, kontrolliert, diszipliniert, von einer nie erschöpfenden lächeln- : den Geduld. Davon kursiert eine : Anekdote, die auf die Zeit zurückgeht, i da er noch Assessor der Kongregation . für die Ostkirche und Kaplan in der 1 „Sapienza“ war, der römischen Uni- 1 versität. Als solcher hielt er die Pre- : digt für Professoren und Studenten.

. Immer wenn ein Zuspätkommender eintrat, rekapitulierte Cicognani kurz seine Predigt von Beginn an, damit : auch dieser Gewinn davon habe. „Wie : ich schon gesagt habe...“, „Wenn i ich auf den Anfang meiner Predigt zurückgreife..." Die Theologie-

Studenten, nicht weniger zu Streichen : aufgelegt als die anderen Studien- i kameraden, verabredeten untereinander, : einer nach dem anderen, in kurzen , Zeitabständen die Kapelle zu betreten. 1 Und Cicognani, obwohl er bald merkte,

was man mit ihm vorhatte, begann mit demütiger und unschuldiger Ge- s duld stets von neuem — was die Pre- : digt einigermaßen in die Länge zog.

lösung. Es ging vor allem um die vermögensrechtlichen „Regelungen wie die Enteignung von Geschäften und Wohnungen, aber auch um die Entfernung von Juden aus Spitälern und Altersheimen, um den Entzug aller sozialen Zuwendungen. Selbst die Frage, ob Juden Hunde halten können oder nicht, hat eine Zeitlang — im Frühsommer 19441 — das Budapester Landwirtschaftsministerium beschäftigt.

Die jüdischen Spitäler, Fürsorgeheime, Waisenhäuser, Blinden- und Taubstummeninstitute wurden nacheinander beschlagnahmt und evakuiert. Die ungarischen Stellen waren nur um das Schicksal des jüdischen Vermögens besorgt. Himmler hatte mit den Inhabern der Manfred-Weiss-Werke von Csepel - ein Zentrum der ungarischen Schwerindustrie — eine Sonderregelung vereinbart, nach der die Aktienmehrheit dieser Werke für 25 Jahre in den Besitz der SS überging. Die ungarische Regierung hat wegen dieser Regelung in Berlin protestiert. Nach langwierigen Verhandlungen erklärte sich schließlich Himmler bereit, über eine eventuelle Änderung nach Kriegsende zu verhandeln.

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