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Die „Oggi“- Veröffentlichung

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Rom, im November

Für die römischen Korrespondenten der Weltpresse schien der 18. November wie jeder andere, nur der Routinearbeit gewidmete Tag zu Ende gehen zu wollen. Die meisten von ihnen hatten sich aus dem Auslandspresseklub entfernt, der sonst Umschlagplatz für Neuigkeiten zu sein pflegt. Als in vorgeschrittener Stunde Paris, London, New York dringend nach ihren Berichterstattern am Telephon verlangten, fanden sie kaum einen zur Stelle. Einige große Agenturen hatten durch die Redaktion dei Mailänder Wochenblattes „Oggi“ erfahren, daß es im Begriffe sei, eine sensationelle Nachricht zu veröffentlichen, geeignet, die katholische Welt tief zu beeindrucken. Es handle sich um eine Christusvision, die Pius XII, im Dezember 1954, zur Zeit der gefährlichsten Krise während seiner schweren Erkrankung, gehabt habe, und auf die dann plötzlich und rasch seine Genesung erfolgt sei. Nur zögernd, voll Unglauben und Vorbehalten nahmen die Agenturen diese Nachricht auf. Von offizieller Stelle, also vom Staatssekretariat des Vatikans, ein Dementi oder eine Bestätigung zu erhalten, war zu dieser Stunde nicht mehr möglich.

Aber auch am folgenden Tage gelang es niemandem, eine Stellungnahme der berufensten Stelle zu erreichen. Inzwischen hatten sich jedoch die Korrespondenten, um die Schlappe vom Vorabend auszumerzen, mit allem Elan und Spürsinn an die Arbeit gemacht, und es dauerte nicht lange, so konnten sie ihren Redaktionen melden, daß der Artikel des Wochenblattes über das Leben des Papstes in Castel Gandolfo, in dem von der wunderbaren ErscheinungN Christi fast nur beiläufig gesprochen wurde, keineswegs das Produkt journalistischer Phantasie war, sondern offensichtlich das „placet“ höchster kirchlicher Stellen gefunden hatte. Die ungewöhnlich reiche Bebilderung war durch den Photographen des päpstlichen Hofes, F e 1 i c i, besorgt worden. Von diesen Tatsachen ausgehend, konnte den Zeitungen jene Fülle von Einzelheiten, Informationen und Mutmaßungen zugeschickt werden, die, sich der Kontrolle entziehend, einen journalistischen „scoop“ zu begleiten pflegen. Es bedeutete wohl einen Versuch, diesem Ueber-schwang zu steuern, wenn der Pressedienst des „Osservatore Romano“ — wohlgemerkt: nicht das Staatssekretariat selbst — den drängenden Anrufern mitteilen konnte, daß die Enthüllungen des Mailänder Blattes weder bestätigt, noch dementiert werden würden, daß sie „in alto loco“, also an höchster Stelle, genehm seien und nicht auf listige oder betrügerische Weise errafft worden waren. Diese Formulierung hätte zur Vorsicht mahnen sollen, aber die Zweifel an der Authentizität des Berichtes dauerten fort, so daß schließlich, drei Tage nach seiner Publizierung, der ersten Sensation eine weitere folgen sollte: ein knappes Kommunique des Pressedienstes, in dem es hieß, man sei zu der Erklärung ermächtigt, daß alles, was die Wochenschrift „Oggi“ über die Vision des Papstes während seiner Erkrankung veröffentlicht hatte, der Wahrheit entspreche. Ermächtigt von wem? Nur das Staatssekretariat konnte es tun und dieses kaum, ohne Pius XII vorher konsultiert zu haben.

Es entspricht nicht den Tatsachen, wie verschiedentlich behauptet worden ist daß die nächste Umgebung des Papstes bis dahin noch keine Kenntnis von der außerordentlichen Erscheinung gehabt habe. Pius XII hat davon seinen engsten Mitarbeitern sofort nach der Krise während seiner Genesung gesprochen, zugleich aber dem Wunsch Ausdruck gegeben, daß sie darüber Stillschweigen bewahren sollten. Ein Geheimnis dieser Art war jedoch auf die Dauer nicht zu bewahren, und früher oder später mußte eine „liebevolle Indiskretion“ auch zur Oeffentlich-keit gelangen. Zweifellos hat man in der Um-

gebung des Papstes die Wirkung unterschätzt, die eine derartige Mitteilung in der Welt hervorrufen mußte. Nicht daß wunderbare Erscheinungen als solche ein so seltenes Phänomen wären. Die Geschichte der Kirche verzeichnet ihrer zahllose, selbst in den neuesten Zeiten. In den romanischen Ländern, mit einer im Volk verwurzelten naiven Wundergläubigkeit, gehören sie fast zu alltäglichen Ereignissen, wie ein Blick in die Zeitungen beweist. Aber nur in den seltensten Fällen entschließt sich die Kirche zu einer Bestätigung, wenn die Evidenz derart ist, daß keine Zweifel mehr erhoben werden dürfen. Ein einzigartiger Fall ist jedoch die Erklärung eines Oberhauptes der katholischen Kirche, selbst eine Vision gehabt zu haben. Man wollte an Petrus erinnern, dem Christus auf der Via Appia erschienen sei. Aber auch hier handelt es sich nur um eine fromme Legende, die von der Kirche niemals anerkannt worden ist. Dieser Einmaligkeit — vielleicht auch die Enttäuschung über einen versäumten „scoop“ — hat verschiedene freisinnige Blätter Italiens veranlaßt, spitze Bemerkungen gegen die Art zu machen, wie die Oeffentlichkeit mit dem Ereignis vertraut gemacht wurde. Wäre eine feierliche Bekanntgabe durch einen hohen Würdenträger der Kirche oder doch zumindest durch das Blatt des Vatikans, den „Osservatore Romano“, nicht eher am Platz gewesen? Man dürfte nicht fehlgehen, anzunehmen, daß gerade die Unverbindlichkeit dev.Mitteilung durch eine illustrierte Wochen-

schrift, sei es auch eine mit katholischer Tendenz, der richtigere Weg schien. Der Papst wollte als einfacher Gläubiger sprechen, nicht als Lehrer der Kirche. Kein Katholik ist in seinem Gewissen verpflichtet, an Wundererscheinungen als solche zu glauben. Die Kirche selbst mag die Vision jener Dezembernacht 1954 eines Tages anzweifeln, auch wenn dies wegen der Herkunft des Zeugnisses unwahrscheinlich ist. Tatsächlich unterscheidet die Theologie zwischen biblischen und außerbiblischen Erscheinungen; wenn die ersteren durch die Zeugenschaft Gottes selbst garantiert sind (da die Bibel von Gott inspiriert ist), so werden es die anderen nur in Anbetracht des Wertes des Zeugnisses. So groß der Wert der Zeugenschaft des Papstes erscheinen mag, so schließt das nicht aus, daß die Kirche auch zu einem anderen Urteil gelangen kann. Pius XII. freilich ist von der Körperlichkeit der Christus-Erscheinung an seinem Krankenbett überzeugt und hat dieser Ueberzeugung in sehr dezidierter Form Ausdruck gegeben. Dennoch hat er verhindert, daß eine Veröffentlichung in einem offiziösen Organ auch nur den Anschein einer Garantieerklärung in verpflichtender Weise erhalte. Man wird daher vergeblich warten, daß der „Osservatore Romano“ zu dem Fall Stellung nimmt, und je näher ein Blatt der Kirche steht, desto behutsamer wird es sich mit ihm beschäftigen.

Wie sehr die skrupelhafte Vorsicht des Staatssekretariats berechtigt ist, hat ein Präzedenzfall bewiesen, der auf den Spätherbst des Jahres 1951 zurückgeht. Pius XII. hat bereits einmal Visionen gehabt, und die Welt erfuhr von ihnen aus dem Munde des Kardinals Federico Tedeschini, der, in seiner Eigenschaft als Kardinallegat bei den Feierlichkeiten zum Gedächtnis der Wundererscheinung in Fatima, Portugal, im Jahre 1917, davon Mitteilung machte. Im Oktober 1950 schickte sich Pius XII. an, das Dogma der Aufnahme Mariens im Himmel zu verkünden; er befand sich in höchster geistiger Spannung und verbrachte seinen gewohnten Spaziergang am Nachmittag in den vatikanischen Gärten im Gebet. Als er seinen Blick der Sonne zuwandte, sah er diese in lebhafter Bewegung um sich selbst rotieren und dann am.Himmel das Kreuzzeichen vollführen: eine Wiederholung des Wunders von Fatima also, das im Jahre 1917 tausende portugiesische Landleute beobachtet hatten. Die Vision des Papstes wiederholte sich in den folgenden Tagen noch dreimal. Am 18. November 1951 — genau vier Jahre vor dem Bekanntwerden seiner zweiten Wundererscheinung, was jedoch nur ein seltsames zufälliges Zusam-

mentreffen ist — veröffentlichte der „Osservatore Romano“ die Mitteilungen des Kärdiia's, und obwohl das Blatt nicht versäumte, ausdrücklich hinzuzufügen, daß Tedeschini „a titolo personale* gesprochen habe, rief die Publizicrung in kirchlichen Kreisen einige Kritik hervor.

Visionäre Erscheinungen dürfen vor allem nicht mit Wundern verwechselt werden. Der Papst ist nur Objekt eines übersinnlichen Phänomens gewesen und nicht aktiv wirkend, wie es die katholische Theologie bei den Prozessen der Seligsprechung oder Kanonisierung voraussetzt. In einem solchen Prozeß würde den Visionen in keiner Weise entscheidendes Gewicht zukommen. Man weiß, daß die Kirche bei ihren Kanonisationsprozessen „mit bleiernen Füßen“ schreitet, wie es die heikle Materie erfordert. Der 195 3 heiliggesprochene Papst Pius X. konnte ärgerlich werden, wenn man ihn schon bei seinen Lebzeiten als Heiligen bezeichnete: „Ich heiße Sarto“, pflegte er zu sagen, „nicht Santo“. *

Die vatikanische Sonntagszeitung „L'Osservatore delia Domenica“ wird in ihrer Ausgabe vom 4. Dezember einen Bericht über die Erscheinung publizieren. Der „Quotidiano“, das Blatt der Katholischen Aktion, ist schon jetzt in der Lage, einen Vorabdruck zu veröffentlichen Diese Darstellung weicht nicht unwesentlich von der bisher bekannt gewordenen Version der Mailänder Illustrierten „Oggi“ ab. Am 1, Dezember 19 54 soll der Papst, wie es in dem neuen Bericht heißt, „eine sehr entfernte Stimme vernommen“ haben, die ihm eine Erscheinung ankündigte. „Diese geheimnisvolle Vorhersage bewahrheitete sich am nächsten Morgen. Am 2. Dezember sah der Papst im ersten Morgengrauen den Herrn schweigend und voll Majestät dicht neben sich stehen. Pius XII. vermutete, Jesus sei gekommen, um ihm zu sagen: .Folge mir.'. Er deutete das Schweigen der Gestalt im Sinne der Worte .Magister adest et vocat te' (Der Herr ist da und ruft dich). Er antwortete: ,0 bone Jesu, voca me, jube me venire ad te' CO guter Jesus, rufe mich und befiehl mir, zu Dir zu kommen). Es ist aber unrichtig, wenn behauptet werde, der Heiland selbst habe zum Heiligen Vater gesprochen.“

Nach der weiteren Darstellung des „L'Osservatore della Domenica“ habe sich der Papst an diesem Morgen nur zu sehr wenigen Vertrauten über die Erscheinung geäußert. Am Abend verschlimmerte sich das Befinden des Heiligen Vaters so sehr, daß seine Umgebung vermutete, die Erscheinung habe tatsächlich zu bedeuten, daß Christus ihn zu sich berufen habe. Bald aber genas der Papst und erlangte nach -iniger Zeit seine Kräfte wieder.

Schließlich heißt es in dem Vorbericht, der Papst habe die Veröffentlichung des Berichtes über die Vision sehr bedauert. Deswegen bleibe freilich Wahrheit doch Wahrheit.

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