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Schlimmer als ein Kriminalfall

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Keine sensationelle Mordtheorie, sondern eine ebenso seriöse wie unnachsichtige Darstellung des Vatikans liefertdas bisher mit Abstand beste Buch über den Tod des Luciani-Papstes.

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Keine sensationelle Mordtheorie, sondern eine ebenso seriöse wie unnachsichtige Darstellung des Vatikans liefertdas bisher mit Abstand beste Buch über den Tod des Luciani-Papstes.

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Weltfremdheit wäre einer Institution, deren Daseinszweck einer anderen Welt gilt, durchaus angemessen, wenn dabei nicht auch ihr Gespür für Menschlichkeit und -Wirklichkeit zu verkümmern drohte. „Der Vatikan glaubt nur das, was er wünscht“, notierte der preußische Gesandtschaftsrat Schlözer in Rom vor 125 Jahren Sein Urteil hielt den Zeitläuften besser stand als man meinen möchte. Denn nach wie vor gedeiht Wunschdenken im höfischen Klima einer absoluten Monarchie wie der päpstlichen mehr als in einer offenen Gesellschaft. Es behindert sogar die Empfindsamkeit für das eigene tatsächliche Befinden und macht so zuweilen blind für das Risiko, sich selbst bloßzustellen...

Nur so läßt sich erklären, daß mit aktiver Unterstützung, ja eifriger Mitwirkung zahlreicher vatikanischer Bediensteter und Würdenträ-ger-vomTürsteherbiszumBischof, ja bis zum Papst selbst - ein Buch Zustandekommen konnte, das anders als alle modischen antirömischen und antiklerikalen Bestseller, aber durch Selbstzeugnisse sehr viel glaubhafter, ein bestürzend banales, menschlich abstoßendes Bild vom „Betrieb“ in der katholischen Kirchenzentrale zeigt: John Corn-wells Werk „Wie ein Dieb in der Nacht“ über den Tod von Papst Johannes Paul I.

Der Autor war lange Jahre der Leiter der Auslandsredaktion des Londoner „Observer“; er hatte einmal Theologie studiert, sich jedoch längst von der Kirche so abgewendet, daß er weder zum zornigen noch zum nostalgischen Rückblick neigte. Für den amerikanischen Erzbi-schof John Foley, den Präsidenten der päpstlichen Medien-Kommission, war das offenbar genau die richtige Voraussetzung, um Corn-well einen Vorschlag zu machen: Ein guter, vorurteilsloser Journalist wie er könnte durch eine genaue Untersuchung im Vatikan die unbewiesene, doch viele Gläubige erschrek-kende These des Kriminalschriftstellers David Yallop („Im Namen Gottes?“) widerlegen, wonach Albino Luciani 1978 dreißig Tage nach seiner Wahl zum Papst einem vatikanischen Mord-Komplott zum Opfer gefallen sei.

Foley versprach, dem Journalisten zur Zeugenbefragung „den Vatikan zu öffnen“-was tatsächlichgeschah. Fünfeinhalb Monate lang konnte Comwell mit dem Mikrofon (das er nur selten verstecken mußte, um seine Gesprächspartner nicht scheu zu machen) Erzählungen und Meinungen aller wichtigen Personen, aber auch mancher aufschlußreicher Randfiguren registrieren. Ihre wörtlichen, dank Cornwells Befragungstechnik oft verblüffend ungeschminkten Aussagen wurden durch einen - sogar schriftlich bestätigten - Segen des Papstes ermöglicht und füllen den größten Teil des Buches. Nur der Leibarzt des Papstes und seines Vorgängers, Doktor Renato Buzzonetti, verschanzt sich, wenn auch eher erfolglos, hinter dem ärztlichen Berufsgeheimnis...

Und das Ergebnis? Comwell selbst nennt es - und man kann ihm nur zustimmen - „noch beschämender und tragischer als irgendeine der Verschwörungstheorien, die bisher im Umlauf waren“. Er hat im Vatikan keine Mörder, Räuber und Betruger gefunden, doch einen Palast voll Klatsch und Komplexen, Eifersüchteleien und Intrigen, falschen Rücksichten und hartherzigen Verklemmungen. Es war diese Atmosphäre, in die der arglose „empfindsame, gesundheitlich schon angeschlagene Luciani-Papst geraten war und wo es ihm buchstäblich den Atem verschlug angesichts dessen, was an Unbekanntem auf ihn einstürzte“.

„Jeder wußte, daß er nicht zu Rande kam“, erinnert sich einer der zahlreichen Monsignori, die entweder die Nase rümpften oder milde überlegen lächelten - wie Luciani selbst, der sich als „lachender Papst“ mit kindlich-heiteren Reden Luft zu schaffen versuchte. Seine beiden Sekretäre, die Cornwells Befragung bis zu Tränenausbrüchen in Widersprüche verstrickt, waren offenkundig von Konkurrenzneid geplagt. John Magee, der schon Papst Paul VI. gedient hatte („der mich nie auch nur um ein Glas Wasser bat“) empfand es fast als Zumutung, daß ihn Johannes Paul I., der dauernd an Kopfschmerzen litt, schon am ersten Tag in die Küche schickte, um eine Tasse Kaffee zu holen...

In seinem „goldenen Käfig“ (so Kardinal Andre Deskur), überhäuft mit Papieren und Vorgängen, die er nicht zu überblicken vermochte, befielen den gestreßten Papst deutliche Vorzeichen einer Lungenembolie. An ihr starb er, ohne daß in den dreißig Tagen unübersehbarer Alarmsignale auch nur einmal ein Arzt ihn untersucht hätte. Warum? Weil er selbst (vielleicht aus unbewüßtem Verlangen, daß seine Qual zu Ende gehe) keinen Arzt rufen ließ und weil man „einem Papst ja nicht sagen kann, was er zu tun hat“. Jedenfalls nicht in einem Milieu, in dem es wichtiger erscheint, das Gesicht zu wahren als die Wahrheit zu sagen.

So mußte dann auch der Tote, den man am Morgen fand (nachdem man ihn -obwohl er über starke Schmerzen geklagt hatte - allein gelassen hatte) in gehörige Positur gebracht werden. Denn ein Papst darf ja nicht im Nachthemd auf dem Weg zur Toilette tot umfallen... So sah ihn dann seine Nichte (eme Ärztini) erst als er im Bett, fromm entschlafen, zurechtgemacht war - mit zerrissenem Talar...

„Er starb' an Vernachlässigung und Mangel an Liebe“, lautet das Fazit Cornwells, der auch genug Indizien dafür zusammentrug, daß eben diese milieubedingten Umstände die Verschwörungslegende entstehen ließen - nicht zuletzt das Verhalten derer, die ein schlechtes Gewissen hatten, weil sie den Papst gleichsam „umgebracht“ hatten.

Im Vergleich zu ihnen wirkt der Mann, den Yallop ins Zentrum seiner Komplott-Story gestellt hatte, geradezu normal: Erzbischof Paul Marcinkus, der Bankier des Vatikan, präsentiert sich Comwell ohne Beschönigung als handfester, umgänglicher Amerikaner, der sich in seinem weltlichen Job weltlich verhielt - nicht wie ein schwammiger geistlicher Bürokrat.

Doch weil er sich dabei „dem Niveau der italienischen Geschäftswelt“ und ihrer Skandale anpaßte, riskierte Marcinkus nicht nur den finanziellen Reinfall, zu dem es kam, sondern auch noch den moralischen. Denn der Vatikan (laut Marcinkus „ ein Dorf von Waschweibern“) wird auch von Leuten, die selbst nicht so moralisch sind, an den Maßstäben gemessen, die er aufstellt. Grundsätzlich wenigstens...

Iii der Praxis ließ man ungerührt auf Marcinkus den absurden Mordverdacht sitzen. Das entsprach auch einer Mentalität, der es ein Greuel ist, wenn ein Bischof Golf spielt, und früher sogar Bäume fällte -„einfach um das Schlechte in mir loszuwerden“ (Marcinkus).

Oder wenn er gar statt einer Nonne eine tüchtige Sekretärin aus der amerikanischen Geschäftswelt engagierte. Sie mußte es schnell aufgeben, ihrem Chef auch bei der Bewirtung von Gästen behilflich zu sein. „Diese Priester tasteten mich mit ihren Blicken von oben bis unten ab... Ich könnte nicht einmal eine Runde Tennis mit ihm spielen, ohne einen Skandal auszulösen.“

So wird in diesem Buch aus der Klärung eines vermeintlichen Kriminalfalls ein Sittenbild. Es zeigt, wie sich die Trennung von Religion und Welt, von Heiligem und Profanem auswirken kann. Nicht muß. Denn so unversöhnlich, wie Comwell meint, ist „die Spannung zwischen übernatürlichem Verlangen und zeitlicher Eitelkeit“ nicht. Es sei denn, man verwechselt das eine mit dem anderen.

WIE EIN DIEB IN DER NACHT. Der Tod von Papist Johanne Paul L Von John ComwelL Au dem Englischen von Maua PernseL Paul Zaolnay Verlag, Wien-Dannstadtim432SeitervöS325^

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