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Ein Papst, für den ein Papst starb

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Schon das Buch Hiob sollte es deutlich machen, daß zu den wichtigsten Problemen und Lösungsversuchen der jüdisch-christlichen Religion die Interpretation des Schicksals auf ihren letzten Sinn hin ist. Dem nach Rationalität suchenden Intellekt leistet das Schicksal wohl zä-hesten Widerstand.

Die Propheten des Alten Bundes, Jesus und seine Apostel interpretierten das Schicksal. Es geht oft krumme Wege, aber es geht zu einem letzten, von der überragenden Intelligenz Gottes bestimmten ZieL Gegen alle Widerstände des Bösen wird gemäß eines sich bedingungslos zur letzten Rationalität bekennenden Glaubens, letztlich über die scheinbar widersinnigsten Umwege hinweg, das letzte Ziel erreicht, das dieser Welt gesetzt ist.

Tatsächlich gehört es zu den Grunderfahrungen religiöser Existenz, daß sich als widersinnig und bösartig erlebte Abschnitte des eigenen Lebens dann verblüffend in einen unerwarteten, aber höheren Sinn als etwas höchst Positives erweisen.

So gibt es ein Gefühl für Schicksal und seinen Sinn. Paul Claudel hat in seinem „Seidenen Schuh“ gerade versucht, einen unerhörten Umweg zum göttlich geplanten Ziel an einem konkreten, individuellen Schicksal aufzuzeigen.

Und so nennt das im Vollsinn uner-forschliche, aber planmäßig treibende Element der Geschichte und der Evolution das Alte Testament „Geist Gottes“, den etwa Moses beschwor, als er Josua die Hände auflegte. Mit dem Wort „unerforschlich“ soll gesagt werden, daß es letztlich unmöglich ist, in seiner Gesamtheit die Rationalität des Schicksals auszuloten.

Und dennoch versuchen wir doch immer wieder, das Schicksal seinem Sinn nach zu erforschen, und freuen uns, wenn uns die Rationalität da und dort aufleuchtet und wir meinen, guten Grund zu haben, den Sinn einzelner Teilstrecken zu erfassen. Sicher-

lieh: für eine umfassende und letzte Rationalität und damit Sinnhaftig-keit des Menschen und des Kosmos gibt es keinen Beweis. Hier schließt der Glaube die Lücke unserer Entscheidungssituationen.

So ringt Hiob um die Sinnhaftig-keit seines Schicksals und Jesus am Kreuz, und sie ringen auch gleichzeitig um die Sinnfrage der gesamten Menschheit.

Daß Gottes Geist letztlich die Geschichte treibt, glauben wir, und es gibt eine Reihe von Symbolen für sein Wirken: So weht der Geist wie der Wind, „der weht, wo er will“, der Sturm und das Säuseln, so fließen die Ströme lebendigen Wassers und lodert das Feuer - vom brennenden

gen unanständigerweise und ohne kirchliche Approbation.

Und daher besteht auch, da sich die Quanten des Heiligen Geistes der ohnehin mit ihm so reichlich bedachten Kardinäle ja wieder zum Strom vereinigen, die •- bei Gott naive - Annahme, daß, je größer die Mehrheit für einen Papst in einem Konklave ist, um so mehr von Gottes Geist hinter ihm stehen mag.

Sieht man sich nun die Päpste der letzten drei Jahrzehnte an und fragt sich, wie es denn bei ihrer Wahl zuging, dann wird man freilich bemerken können, daß sich der Heilige Geist recht originelle Kapriolen leistete.

So wurde Eugenio Pacelli mit

Dieser Beitrag des bekannten katholischen Psychologen wird nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Ein Anstoß zuni eigenen Nachdenken über das, was wir den Heiligen Geist nennen, kann er auf jeden Fall sein.

Dornbusch bis zu den Flammen von Pfingsten. Und wir fragen uns immer wieder, wie weit wir nicht doch Einsicht gewinnen können in die Gesetzlichkeit dieses Wirkens, so sehr sie letztlich unsere Vernunft übersteigt.

Ich erinnere mich hier an meinen Freund August M. Knoll, der zu wiederholter Erheiterung erzählte, in welch einfältiger Weise ein Pater dereinst das Wirken von Gottes Geist sah: Streng hierarchisch, wie es sich für jemanden, der für die Abstufungen der Menschen etwas übrig hat, gehört, stürzt sich dieser Geist zunächst auf den Papst, den er total durchbraust, dann verästelt er sich jedoch wie in einem Flußdelta und erreicht schon in wesentlich schmäleren Flüssen Kardinäle und Bischöfe, verdünnt sich zu Bächlein bei Pfarrern und Kaplänen und erreicht in seltenen Tropfen ein paar Laien. Und außerhalb der Kirche wirkt er (das jetzt von mir formuliert) sozusa-

überwältigender Mehrheit zum Papst gewählt. Der Pastor Angelicus Pius XII. mußte sich eine ganz gehörige Entzauberung durch die konkrete kritische Prüfung seiner Taten gefallen lassen.

Nach ihm kam ein päpstliches Wunder: Johannes XXIII. Aber er war gar kein Favorit. Er Wurde keineswegs mit überwältigender Mehrheit gewählt, und er und die Kirche verdanken seine Wahl sozusagen einer „Fehlleistung“. Man wählte einen alten Papst als „Ubergang“ zu dem wieder so klagen Favoriten Montini. Einen „Ubergangspapst“.

Doch wie sehr haben sich hier die Kardinäle geirrt! Man muß schon in der katholischen Kirche Papst sein, um im achten Lebensjahrzehnt eine Revolution zu machen! Johannes XXIII. wurde derentscheidene Papst des „Ubergangs“ - jedoch in einem Sinn, den die Kardinäle nicht einmal ahnten!

Und dann wählte man, wie es heißt, wieder mit überwältigender Mehrheit Paul VI..

Als er starb, fand man so schnell wie kaum je einen relativ jungen Papst Zwar hätte man jetzt die nichtitalienische Mehrheit im Konklave gehabt, um einen Nichtitalie-ner zu wählen und damit die Ubernationalität der Kirche zu demonstrieren. Aber den Kardinälen fehlte hierzu der Mut.

Und so fand man einen wirklich netten, unerhört liebenswürdigen Papst, der sich Johannes Paul I. nannte, wohl um Pauls VI. Andenken nicht zu kränken, was er wohl getan hätte, hätte er sich Johannes XXIV. genannt.

Und siehe da: nach kaum mehr als einem Monat starb dieser Papst! Wie sollte man das verstehen? Hatte man etwas falsch gemacht? War das, wie es so schön heißt, ein „Wink des Schicksals“, nun endlich den Mut zu finden, den Nachfolger der Apostel längst hätten haben sollen?

Wenn ja, dann war der Tod dieses Papstes ein Opfer, das den Kardinälen die Einsicht einhämmern sollte, daß die Ubernationalität der Kirche auch in der Wahl der Päpste demonstriert werden soll.

Und so nahm man sich einen erstaunlichen Mut - ein Mut, der für Menschen, die die Welt erobern wollen, eigentlich selbstverständlich sein sollte: Man wählte einen Polen zum Papst, der wohl hauptsächlich eingedenk des Opfers seines Vorgängers sich Johannes Paul II. nannte.

Hätte Johannes Paul I. fünf Jahre noch gelebt, hätte man weitere fünf Jahre versäumt, jenen spektakulären Akt zu setzen oder auch wieder nicht! Nach dem Schock eines nur 33 Tage langen Pontifikats war man jedoch von heilsamer Konfusion erfüllt, die zu einem wahrlich historischen Akt befähigte.

Der Geist weht, wo er will, aber er hat es offenbar nicht überall gleich leicht, zu wehen.

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