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Vor der ersten Enzyklika

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Wer auf die erste große Auslandsreise Papst Johannes Pauls II. zurückblickt, erkennt ganz bewußt gesetzte Schwerpunkte. Gerade sie geben Auskunft über die großen Anliegen des knapp vier Monate alten Pon-tifikats, und das vor den großen personellen Änderungen, die man im Vatikan für die kommenden Monate erwartet, sowie vor der ersten Enzyklika, der man mit besonderem Interesse entgegensieht.

Konnte man die großen Anliegen Papst Johannes' XXIII. mit den Worten „Öffnung“ und „Aggiornamen-to“, die Pauls VI. mit „Kirche im Dialog“ bestimmen, so die Papst Johannes' Pauls II. mit den Worten „Menschenwürde und Zeugnis“.

Besonders deutlich arbeitete der Papst dieses Anliegen der Menschenwürde in seinem langen und äußerst gründlich erstellten Einleitungsreferat zur Eröffnung der Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischofskonferenz am 28. Jänner heraus. Es kann geradezu als eine kleine Enzyklika für Lateinamerika angesehen werden und dürfte auf Entwürfe zurückgehen, die noch unter Paul VI. erstellt worden waren.

Wie ein roter Faden durchzieht das Anliegen, die religiöse Dimension im Menschen zu schätzen und zu fördern, die im modernen Leben durch Säkularismus, Laizismus und durch verschiedene Ideologien stark gefährdet ist.

Neuinterpretationen des Evangeliums, die diese religiöse Dimension verkürzen, sollten daher von den Bischöfen entschieden zurückgewiesen werden. Jesus von Nazareth war weder ein Revolutionär noch ein Klassenkämpfer noch ein Politiker, das müsse für alle Überlegungen der Kirche auf sozialem, gesellschaftlichem und politischem Gebiet zur verpflichtenden Orientierung werden.

„In dem umfangreichen Material zur Vorbereitung dieser Konferenz“, führte der Papst besorgt aus, „wird zuweilen eine gewisse Verlegenheit in der Auslegung von Eigenart und Sendung der Kirche vermerkt. Zum Beispiel wird auf die Trennung von Kirche und Reich Gottes hingewiesen. Das Reich Gottes erlange man nicht, heißt es, durch Glaube und Zugehörigkeit zur Kirche, sondern durch eine bestimmte Art von Engagement und Aktion für die Gerech-

tigkeit - dort, so behauptet man, sei „das Reich Gottes gegenwärtig“. Auf solche und ähnliche Interpretationen antwortete der Papst mit einem Zitat seines Vorgängers Pauls VI.: „Es ist ein Irrtum zu behaupten, daß die politische, wirtschaftliche und soziale Befreiung mit der Erlösung durch Jesus Christus zusammenfällt oder das ,regnum dei' (Reich Gottes) mit dem ,regnum hominis' (Reich des Menschen) identisch ist.“

Der schönste Abschnitt in der Ansprache bezog sich auf den Menschen: „Es kann sein, daß die auffälligste Schwäche der gegenwärtigen Zivilisation in ihrem unzulänglichen Bild vom Menschen liegt. Unsere Zeit mag die Epoche sein, die am meisten über den Menschen geredet und geschrieben hat... Paradoxerweise ist sie jedoch auch die Epoche der tiefsten Ängste des Menschen, des angstvollen Fragens nach seiner Identität und seiner Bestimmung, eine Epoche der Erniedrigung des Menschen bis in ungeahnte Abgründe.“

Wie erklärt sich dieser Widerspruch? Der Papst antwortete mit seinem großen Anliegen: „Es ist das Drama des Menschen, dem man eine wesentliche Dimension seines Seins amputiert hat, die Dimension des Absoluten.“ Und weiter:

„Die Sicht vom Menschen wird dann auf den wirtschaftlichen, theologischen oder psychischen Bereich verkürzt. Angesichts dieser Lage hat die Kirche das Recht und die Pflicht, die umfassende Wahrheit vom Menschen zu verkünden. Gerade sie ist das Fundament einer wahrhaften Befreiung.“

Doch der Papst war nicht nur deshalb nach Mexiko gekommen, um dieses bedeutsame Referat zu halten. Mit der Erfüllung eines Programms, das an seine Kräfte härteste Anforderungen stellte, wollte er sein persönliches Zeugnis für die erwähnten Hauptanliegen abgeben. Wer die Schriften des Papstes noch aus seiner Krakauer Zeit kennt, weiß, welches Gewicht er dem persönlichen Zeugnis im Leben eines Christen beimißt.

Seine unverkennbare Vorliebe galt dem einfachen gläubigen Volk, den Arbeitern und den Indios. Vor ungefähr 100.000 Indios versicherte er in Oaxaka, daß der Papst ihre Stimme sein wolle, „die Stimme derer, die nicht sprechen können oder zum Schweigen gebracht werden“. Er kritisierte die mächtigen Klassen, die manchmal Brachland besitzen und es denen vorenthalten, die davon leben könnten. „Es ist nicht menschlich und es ist nicht christlich, zuzulassen, daß gewisse Situationen, die eindeutig ungerecht sind, fortdauern.“

Vor den Arbeitern in der Industriestadt Monterrey erklärte Johannes Paul II., daß die Kirche ihre Augen nicht vor der Situation vieler Millionen Menschen verschließe, die ihre Heimat und oft auch ihre Familien verlassen müssen, um in der Fremde Arbeit und Brot zu finden. Die Kirche appelliere daher an alle, die Verantwortung tragen, einzusehen, daß nicht die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder politischen Gesichtspunkte in der Gestaltung des modernen Lebens die entscheidende Rolle spielen dürften, sondern der Mensch in seiner Würde. Sie habe ihren Ursprung in einer Berufung, die in die Ewigkeit reicht.

Man hat in der stark auf das Reli-, giöse hinweisenden Ansprache an die Bischöfe und in den stark sozial bezogenen Ansprachen vor der Bevölkerung Mexikos einen Widerspruch herausgelesen. Für Papst Johannes Paul II. sind aber die Bemühungen auf religiösem und sozialem Bereich nur zwei Dimensionen an der einen umfassenden Entwicklung des Menschen. Dieser gilt offenbar das Hauptanliegen seines Pontifikates.

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