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Eine humane Wel

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Progressio! Nicht zu allen Zeiten Ihrer fast zweitausewdjährigen Geschichte war es selbstverständlich, daß die Kirche programmatische Erklärungen mit Worten wie „Fortschritt“ begann. Der Christ, der Zufälle ausschließt, weiß die Symbol-kraft der schlichten Tatsache zu schätzen, daß Papst Paul VI. just dieses Wort an den Anfang der neuen Enzyklika — „Die Furche“ bringt als erste österreichische Zeitung heute ihren vollen Wortlaut —, seiner Botschaft über den „Fortschritt der Völker“ zum „vollen Humanismus“, zur „Entwicklung des ganzen Menschen und der ganzen Menschheit“, setzte. Zwar hat, wie der Papst sagt, die Kirche sich immer bemüht, die Völker „zum wahren Menschentum“ zu führen, doch hat sie dieses Menschentum nicht immer auf Seiten des Fortschritts gesucht. Grund genug, die Enzyklika „Populorum progressio“ auch als einen Fortschritt kirchlichen Denkens und Handelns, als ein würdiges Zeugnis des Geistes zu begrüßen, den das Zweite Vaticanum geweckt hat.

Freilich datiert dieser Fortschritt In der Haltung zur sozialen Frage im weitesten Sinn nicht erst vom jüngsten Konzil. „Populorum progressio“ ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die, einem Paukenschlag gleich, mit „Rerum novarum“ eingesetzt und konsequent, obschon nicht ohne Zugeständnisse an den Zeitgeist, über „Quadragesimo anno“ zu „Mater et magistra“ geführt hat. Was Leo XIII. säte und Pius XI. pflegte, ließ Johannes XXIII. reifen, damit es sich unter Paul VI. nun zur vollen Frucht entfalten konnte.

Selten hat die Botschaft eines Papstes das, worum es geht, so direkt ausgesprochen, so herzhaft beim Namen genannt wie diese Enzyklika Pauls VI. Da wird nichts diplomatisch umschrieben, was Mächtigen unangenehm sein, nichts umgangen, woran dieser oder jener Anstoß nehmen, nichts verschwiegen, was Hochmögenden dissonant in den Ohren klingen könnte. Offen sagt der Papst, was ihn sein Gewissen zu sagen drängt. Und so spricht aus ihm das Gewissen der Welt.

Nicht alle aber schätzen das. Im reichsten Land der Welt hat die neue Enzyklika herbe Kritik ausgelöst. „Ein fast marxistisches Dokument“, entsetzte sich die „New York Times“. Der Papst ein Kommunist — das mußte sich bisher nur Johannes XXIII. sagen lassen! österreichischen Katholiken dagegen ist diese Taktik von heimischen Verteufelungskampagnen her bestens vertraut. Wer an die heiligsten Güter (im Besitz weniger Auserwählter) rührt, muß des Teufels sein, also Kommunist, und sei er der Papst.

Die Güter, sagt nämlich dieser Papst, sind für alle Menschen da. Folglich sind dem fundamentalen Recht jedes Menschen, das zu finden, was er nötig hat, alle anderen Rechte unterzuordnen, auch das Recht auf freien Handel. Was „Rerum novarum“ über den gerechten Lohn ausgesagt hat, will er heute auf internationaler Ebene angewendet wissen, „um die Wirtschaftsdiktatur des freien Wettbewerbs zu vermeiden“. Denn für sich allein könne das Prinzip der freien Marktwirtschaft nicht die internationalen Beziehungen regieren, stelle doch die wachsende Ungleichheit wirtschaftlicher Bemühungen zwischen reichen und armen Völkern das Grundprinzip des Liberalismus als der Regel des Handels in Frage.

Zu viele Menschen lebten im Elend, als daß es noch genügte, Almosen zu geben. Was not tut, ist Entwicklungshilfe in einem wahrhaft umfassenden Sinn, nicht auf wirtschaftliches Wachstum beschränkt, sondern den ganzen Menschen und die ganze Menschheit erfassend. Dazu genügten aber Einzelinitiative und das freie Spiel des Wettbewerbs nicht mehr: Sache des Staates sei es, die Vorhaben, die Ziele und die Mittel zu bestimmen. „Ketzerische“ Worte aus dem Mund eines Papstes, der weiß, daß man den sozialen Problemen dieser Welt mit dem System der Klostersuppe nicht mehr beizukommen vermag!

Pauli VI. ist überzeugt davon, daß die weltweiten Probleme unserer Zeit nur noch global zu lösen sind. Die Probleme von Krieg und Frieden, aber auch, ja gerade jene „des unermeßlichen Hungers und Elends in der Welt“.

Vom einzelnen — von dir, von mir — fordert der Papst dafür „ein besonderes Maß an Hochherzigkeit, große Opfer, unermüdliche Anstrengungen“! Von den Lenkern der Staaten fordert er neuerlich die Errichtung eines Weltfonds für Entwicklungshilfe, finanziert durch den Verzicht auf einen Teil der Ausgaben für militärische Zwecke. Worum geht es? Um eine ^.wirksame Partnerschaft der einen mit den anderen, in gleicher Würde, um eine menschlichere Welt zu bauen“.

Eine menschlichere Welt! Denn unsere Welt, in der wir leben, ..krankt an Egoismus“. Sie könne davon nur genesen, wenn sie zum Geist der Brüderlichkeit zurückfinde, sagt der Papst. Und darum mahnt er auch „die anderen“, die Unrecht leiden, der Versuchung zu widerstehen, das Unrecht mit Gewalt zu beseitigen; das zeuge nur neues Unrecht. Angesichts des Unrechts aber, des unermeßlichen Elends, sei jede öffentliche oder private Vergeudung, jede aus nationalem oder persönlichem Ehrgeiz gemachte Ausgabe, jedes die Kräfte erschöpfende Rüstungsrennen „ein unerträgliches Ärgernis“! Harte Worte aus purem Gold.

Wenn Paul VI. mit der Mahnung schließt, auf dem Spiel stünden nicht weniger als der Frieden dieser Welt und die Zukunft der Kultur, hat er wahrhaftig nicht zuviel gesagt. „Wenn nun Entwicklung der Name für Frieden ist, wer wollte nicht mit ganzer Kraft daran mitarbeiten?“ Wer?

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