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Aktualitätsbezogen auch in der Sprache

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Auch der allgemeine Gedankenstil dieses Dokumentes ist beachtlich. Man trifft hier nicht mehr den typischen Kanzleistil der früheren offiziellkirchlichen Aussagen: feierlich, ein wenig hyperbolisch und selten sehr präzis. Vielmehr wird die Absicht deutlich, allgemeinev aber unverbindliche, rein spekulative Aussagen möglichst zu vermeiden und aktualitätsbezogen in einer Sprache, die verstanden wird, zu reden. Man darf 'hierin ohne Zweifel eine Bekräftigung der neuen Tendenzen in der Sozialethik sehen, die mehr und auch in kompetenter Weise mit den Methoden und Ergebnissen der empirischen Sozialwissenschaften zu rechnen versuchen.

Wie steht es nun mit dem sogenannten Sozialismus von „Populorum progressio“? Der Papst ist nicht Richter zwischen konkurrierenden Ideologien und Gesellschaftssystemen. „Das Wort .christlich'“, sagt A. Langner, „kommt nicht den Ordnungen und — würde ich hinzufügen — den ideologischen Systemen zu, vielmehr kommt es nur den Gliedern der Kirche zu, die sich in den Ordnungen zu bewähren haben.“ Das Christentum ist keine Ideologie — sagen moderne Theologen —, und das soll heißen, daß die Christen weder den Sozialismus noch den Liberalismus zu vertreten oder zu verteidigen beauftragt sind. Der Auftrag der Christen ist vielmehr, die gesellschaftliche Wirklichkeit und ihre Rechtfertigungen der ständigen „Kritik des Evangeliums zu unterwerfen“. Und dafür ist „Populorum progressio“ ein Vorbild.

Ist der Papst ein guter Sozialist? Ich würde mit dieser Formel einstimmen, wenn damit gesagt wird, daß viele seiner kritischen Äußerungen und bestimmte der vorgeschlagenen Maßnahmen für die Entwicklungshilfe in antildlberalem Sinn formuliert sind und sich einigen der klassischen sozialistischen Positionen annähern. Trotzdem halte ich diese und dergleichen Formeln für unangemessen, weil sie fest unvermeidlich in dem Sinne verstanden, wenn nicht schon gemeint werden, daß der Papst sich für die sozialistische Theorie als solche oder für das sozialistische System ausspricht. Und das ist bestimmt nicht der Fall.

Zunächst ist in der Enzyklika nirgends vom Sozialismus oder Marxismus die Rede, weder im negativen noch im positiven Sinn, mit allerdings dieser nicht zu gering zu schätzenden Ausnahme, daß der sogenannte .geschlossene Humanismus“ als letzten Endes antihuman abgelehnt wird. Außerdem zielen die antiliberalen, antikapitalistischen Aussagen auf eine „gewisse Form des Kapitalismus“ und nicht so sehr auf die (liberale Theorie als solche.

Weitaus das Wichtigste ist, daß die Enzyklika im Namen der christlich verstandenen Entwicklung aller menschlichen Möglichkeiten zum mehr und besser Menschwerden einfach die besten, die am meisten zu rechtfertigenden und sachgemäßen Maßnahmen zu formulieren versucht. Nebensächlich und ganz zweitrangig wird dann die Frage, ob die Lösungen der menschlichen Probleme der neoliberalen oder der marxistischen Gesellschaftstheorie entsprechen.

Ein Mißbrauch der Enzyklika Ist es, sie als autoritative Rechtfertigung des sozialistischen oder marxistischen Systems heranzuziehen. Eine solche Interpretation ist im Grunde ein neuer Dogmatismus, der genau dieselben Fehler macht wie zahlreiche sogenannte konservative oder integralistische Katholiken. Und dies gerade in einer Epoche, in der die Kirche als solche sich von allen falschen Dogmatismen zu befreien versucht.

Die Aufgabe der Christen ist nicht, eigene soziale Theorien au entwerfen. Sie sollen vielmehr darum bekümmert sein, das Evangelium aus jeder Abgeschlossenheit immer wieder zu befreien. Sie sollen die authentische Menschlichkeit überall anerkennen und fördern, wo sie offenbar wird und wo sich Menschen für sie einsetzen. Manchmal wirkt der Geist Gottes, wo die institutionelle Kirche ihn verkennt. Es gibt ein „Incognito Gottes“ in der Welt, wie schon die frühen religiösen Sozialisten sagten.

Die Christen sind dazu berufen, die gesellschaftliche Wirklichkeit der ständigen Kritik des Evangeliums zu unterwerfen. Dies ist das eigentlichste Prinzip der christlichen Pro-gressivität, der „linken“ Einstellung im Wesen des Ohristseins: mit dem Bestehenden, dem schon erreichten Erfolg keinen Frieden schließen, die gegebene Ordnung immer erneut in Frage stellen, kritisch alle Erstarrungen und Konservativismen, alles, was festgelegt und verhärtet ist, aufzeigen, für das immer Neue optieren kraft der Hoffnung auf die Verheißunigen Gottes, der die Zukunft der Menschheit ist und von dem wir glauben dürfen, daß Er in den Daten selbst der profanen, von Menschen, gemachten Geschichte das letzte Heil für alle bereitet

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