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österreichisches Echo

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Wendger kritisch, weniger facettenreich als in anderen Ländern — in Italien beispielsweise oder in den USA, aber auch in Deutschland — waren die Reaktionen der österreichischen Presse auf die Enzyklika „Populorum progressio“ Papst Pauls VI. Zwar stehen detailliertere Analysen noch aus, allgemein wird jedoch die Bemühung der Kirche, „die Völker zum wahren Menschentum zu führen“, anerkannt, einmütig der „neue Appell an das Gewissen der Welt“, das „Konzept einer internationalen Solidaritätspflicht“, der Aufruf des Papstes, einen Weltfonds zur Unterstützung der Entwicklungsländer zu gründen, begrüßt. Die Einmütigkeit geht so weit, daß die Enzyklika, ebenso wie dies schon bei „Mater et Magistra“ der Fall war, sowohl von Vertretern des Neoliberalismus, der Sozialen Marktwirtschaft als auch vom demokratischen Sozialismus und orthodoxen Marxismus als geistiges Eigentum reklamiert wird. Man mag das als Indiz für die große Autorität des Papstes und das moralische Prestige, das die Kirche heute genießt, werten. Daneben — und abgesehen von den Fällen bewußten propagandistischen Mißbrauchs — liegt aber auch ein fundamentales Mißverständnis der sozialen Lehre der Kirche vor, die als exklusive Unterstützung einer bestimmten politischen Doktrin verstanden wird.

Den krassesten Ausdruck findet dieses Mißverständnis in einem Artikel William S. Schlamms in den „Salzburger Nachrichten“ (8. April 1967, „Sankt Marx?*'), der der Enzyklika totalen Widerspruch mit den Denkergebnissen der modernen Wissenschaft, Identifikation mit dem Sozialismus gegen den Kapitalismus, Verrat der Person an das Kollektiv, Aufgabe des 2000 Jahre alten personalistischen Konservativismus und — last, not least — offene Häresie vorwirft. Zwar stellt dieser Artikel die Position einer extremen Rechten dar, von der sich die „Salzburger Nachrichten“ in einer Antwort des Chefredakteurs distanzieren („Marx wird nicht heiliggesprochen“), er zeigt aber doch, wenn auch in überspitzter Form, welche Reaktionen päpstliche Äußerungen auf nichtkatholischer Seite provozieren können. Begünstigt werden solche Verdammungsurteile und Verdächtigungen, der Papst sei den Einflüsterungen von Marxisten oder zumindest gefährlicher französischer Linkskatholiken erlegen, von den überschwängldchen Lobeshymnen, die die kommunistische Presse in aller Welt dem päpstlichen Dokument zollt. Auch die „Volksstimme“ (31. März 1967) steht hier nicht zurück, wenn sie die Enzyklika als ein Manifest gegen Imperialismus (wobei natürlich nur von den USA die Rede sein kann) und Monopolkapitalismus, gegen „freie Marktwirtschaft“, für die Revolution preist: „Der Kernpunkt dieser Botschaft, den vollen Humanismus zu entfalten — das ist das Programm des Kommunismus.“ Die Nebensätze des Papstes, in denen vor totalitären Ideologien, vor den noch immer vofhandenen materialistischen und atheistischen Weltanschauungen gewarnt wird, kurzum alles, was die kurzschlüssige Identifikation von päpstlicher Enzyklika und kommunistischer Programmatik erschweren könnte, fallen dabei unter den Tisch.

Die SPÖ, unter ihrem neuen Vorsitzenden offenbar zur intensiven Diskussion mit den Katholiken entschlossen, sieht in der Enzyklika eine wichtige Möglichkeit, die Katholiken für sich zu gewinnen. „Kreisky unterstreicht die Sozialthesen des Papstes. Enzyklika sozialistischen Grundsätzen näher als VP-Programm“, meldet in Schlagzeilen die „Arbeiter-Zeitung“ vom 2. April 1967. Eine nähere Ausführung dieser Thesen blieb die SPÖ bis jetzt jedoch noch schuldig. Darauf konterte die ÖVP, die Enzyklika enthalte keine Elemente, zu denen ihre Grundauffassungen in Widerspruch stünden, Papst Paul VI. lehne sich an frühere Sozialenzykliken an, die für die ÖVP schon immer einen wertvollen Orientierunigsbehelf bildeten. Kritische Äußerungen des Papstes bezogen sich nur auf die Entwicklungsländer, deren gesellschaftliche Struktur andere Maßstäbe wirtschaftlicher Ordnung und wirtschaftlichen Aufbaus verlange. Welche Bedeutung Bundeskanzler Klaus dieser Enzyklika beimesse, gehe schon daraus hervor, daß der Appell des Papstes als Punkt 1 im Ministerrat behandelt wurde („Volksblatt“, 5. April 1967). Dieselbe Einschränkung der päpstlichen Aussagen auf den Bereich der Entwicklungsländer nimmt auch das offizielle Organ der Vereinigung österreichischer Industrieller, „Die Industrie“ (Nr. 14 vom 7. April 1967), vor, das manche Formulierung als „überscharf“ für den „Beobachter auf dem Boden der Sozialen Marktwirtschaft“ kritisiert und „leichte Vorbehalte“ im Hinblick auf die Verbindung von Industrialisierung und liberalem Kapitalismus anmeldet, im übrigen jedoch die Enzyklika als eine Pionierleistung auf dem Weg zu einer großzügigen Konzeption der Entwicklungspolitik würdigt und sich damit in begrüßenswerter Weise von ausländischen Wirtschaf tszeitungen unterscheidet

Der Gegensatz zwischen reichen Industriestaaten und armen Entwicklungsländern, die Konzeption einer Entwicklungspolitik, die nicht nur die Wirtschaft, sondern den ganzen Menschen im Auge hat, ist zwar sicher das zentrale Thema der Enzyklika „Populorum progressio“. der sozialen Botschaft der Kirche von heute, die sich als Anwalt der Armen und Unterdrückten versteht. Aber über dem Hauptaspekt der Hilfe für die Entwicklungsländer alle Kritik am bestehenden wirtschaftlichen System zu übersehen, hieße nicht nur den Aussagewert der Enzyklika schmälern, sondern auch „Populorum progressio“ aus dem größeren Zusammenhang der allgemeinen katholischen Soziallehre und ihrer historischen Entwicklung reißen. Die Kritik der Kirche am herrschenden wirtschaftlichen System hält nicht beim Stand von „Rerum Novarum“ von 1891, Enzykliken sind keine Wiederholungen der einen, transzendenten Offenbarungswahrheit, sondern Stellungnahmen zur jeweiligen historischen Situation, Interpretation der „Zeichen der Zeit“. Der heutige Stand der katholischen Soziallehre, vielfach durch die Begriffe „Sozialisation“ als zunehmende Vergesellschaftung des Menschen und „Mitbestimmung“ gekennzeichnet, wird dabei weniger von der direkten Auseinandersetzung mit dem Marxismus als von den Ideen „progressiver“ französischer und auch deutscher katholischer Sozialwissenschaftler bestimmt. Dies zeigen nicht erst die letzte Enzyklika des jetzigen Papstes, sondern sein Brief an die Socialen Wochen in Frankreich oder die bei uns wenig bekannte Ansprache an italienische Unternehmer, in der der Papst die Kritik am Kapitalismus mit der „realen Utopie einer auf solidarischer Kooperation beruhenden Wirtschaftsgesellschaft verknüpfte“ (Herder-Korrespondenz 11,1964).

Es mag uns heute bereits ungewöhnlich erscheinen, wenn sich die offizielle Kirche mit solchen Äußerunigen nicht überall Lob und Anerkennung holt, zu sehr haben wir uns schon an ihre „olympische Überparteilichkeit in gesellschaftspolitischen Fragen“, an ihre „neutrale Mittlerfunktion zwischen und über den Parteien“ gewöhnt. Wenn die Kirche sich heute auch nicht mehr als verlängerter Arm, als Instrument einer politischen Macht mißbrauchen läßt, wenn sie auch nicht mehr Bündnisse mit einer Partei eingeht, so bedeutet dies nicht den Rückzug in den apolitischen Raum. Die Kirche „könnte und sollte“, wie H. Th. Risse in seinem Beitrag über die Entwicklungstendenzen der katholischen Sozialbewegung in der „Bilanz des deutschen Katholizismus“ betonte, „der Partner aller Gruppen und gesellschaftlichen Kräfte sein, die für eine humane, allen Menschen zumutbare gesellschaftliche Ordnung kämpfen“.

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