Es gibt keine Zauberformel

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Soziale Marktwirtschaft, was denn sonst? - Eine Erwiderung auf Johann Kohls Kritik an der Wirtschaftsethik von Papst Franziskus (FURCHE 2/9. Jänner 2014).

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Soziale Marktwirtschaft, was denn sonst? - Eine Erwiderung auf Johann Kohls Kritik an der Wirtschaftsethik von Papst Franziskus (FURCHE 2/9. Jänner 2014).

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Zwei Szenen des Films "Romero", der nach der Ermordung des Erzbischofs in den 1980er-Jahren in die Kinos kam, sind mir in Erinnerung geblieben. Oscar Romero ist im Haus eines Großunternehmers zu Gast. Er klagt über die soziale Ausgrenzung und Armut vieler seiner Gläubigen. Da schmettert ihn der Gastgeber mit den Worten ab: "Exzellenz, pardon, davon verstehen Sie nichts!" Die zweite Szene, die mir im Gedächtnis geblieben ist, ist vom Ende des Films: Der Erzbischof vor dem Altar. Ermordet.

Das klingt etwas dramatisch, aber aus eben dieser Welt kommt der Papst. Ein Echo davon findet sich in Evangelii Gaudium, wo es heißt: "Hinter dieser Haltung verbergen sich die Ablehnung der Ethik und die Ablehnung Gottes. Die Ethik wird als kontraproduktiv und zu menschlich angesehen, weil sie das Geld und die Macht relativiert Schließlich verweist die Ethik auf einen Gott, der eine verbindliche Antwort erwartet, die außerhalb der Kategorien des Marktes steht."

Nichts Neues in der Sozialverkündigung

Diesen ethischen und existenziell-geistigen Fragen ist das Schreiben gewidmet. Die Abschnitte, die sich mit der "Krise des gesellschaftlichen Engagements" und mit der "sozialen Dimension der Evangelisierung" befassen, sind zuerst ein Aufschrei gegen Ausgrenzung und Armut. Mit dieser Situation ist der Papst persönlich vertraut. Gegen die Gleichgültigkeit ihr gegenüber kämpft er an. Die Aussagen selbst sind keineswegs neu. Sie finden sich in ähnlicher Form in der katholischen Sozialverkündigung seit Rerum novarum (1891), wo gleich zu Anfang scharf kritisiert wird, dass die Industriearbeiter unter "sklavenähnlichen Bedingungen" leben, während "das Kapital in den Händen einer geringen Zahl angehäuft ist". 40 Jahre später in der Weltwirtschaftskrise formuliert es Quadragesimo anno (1931) von Pius XI. noch härter. Die Enzyklika bezeichnet den Kapitalismus und sein Konkurrenzdenken als "ein System von tragischer und grausamer Härte". Der Kommunismus sei zwar zu verurteilen, aber mehr noch der "Leichtsinn jener, die um all dies unbekümmert Zustände weiter bestehen lassen, die den fruchtbaren Nährboden berechtigter Unzufriedenheit abgeben und so der angestrebten Weltrevolution Schrittmacherdienste leisten". Kardinal Lehmann merkte unlängst an, diese Aussagen dürften schlicht zu wenig bekannt sein, wenn man heute die Aussagen des Papstes kritisiert.

Die Ideologiekritik des Papstes richtet sich dabei nicht gegen die Marktwirtschaft an sich, sondern gegen den Irrglauben, dass der Markt ein nach festen Gesetzen automatisch ablaufender Mechanismus ist, der letztlich allen Wohlstand bringen wird. Der Markt kann eine gerechte Verteilung nicht gewährleisten. Dies hat nichts mit Nostalgie für Planwirtschaft zu tun. Märkte gehören zum Menschen. Der Basar ist keine moderne Erfindung, auch wenn sich anonyme Wirtschaftsbeziehungen im großen Stil nur begrenzt damit vergleichen lassen. Was im Schreiben des Papstes kritisiert wird, sind die zerstörerischen Folgen einer Wirtschaft für jene, die am Markt nichts oder zu wenig anzubieten haben und die daher überflüssig sind und ausgegrenzt werden. Diese Kehrseiten eines ungezähmten Kapitalismus werden heute auf breiter Basis diskutiert. In etwas nüchterner Terminologie finden sich viele dieser Überlegungen inzwischen in den Wirtschaftswissenschaften (Jeffrey Sachs, Joseph Stiglitz et. al.). Sie gehen davon aus, dass es eigene Instrumente zur Armutsbekämpfung braucht, um jenes Sechstel der Menschheit wirtschaftlich zu integrieren, das unter unwürdigen Lebensbedingungen dahinvegetiert. Dass es auch einen ziemlich zynischen Marktfundamentalismus gibt, zeigte freilich die Debatte in den WTO-Verhandlungen in Bali vor einigen Wochen, in denen Indien zuerst von der EU und den USA das Recht abgesprochen wurde, sein Ernährungsprogramm für 800 Millionen Menschen zu starten, in dem der Staat Bauern Reis und Weizen zu Fixpreisen abkauft, weil dies eine Subventionspolitik wäre. Der allgemeine Aufschrei führte dazu, dass dieses Programm, das einen großen Fortschritt in der Armutbekämpfung darstellt, zugelassen wurde. Der Markt allein kann demnach eine gerechte Verteilung nicht gewährleisten. Dies führt, wenn nicht staatliche oder internationale Maßnahmen greifen, zu einer sich weitenden Kluft zwischen Arm und Reich.

Nein zur sozialen Ungerechtigkeit

Auch mit seiner Sorge um einen Überhang der Finanzwirtschaft steht der Papst nicht allein da. Sein "Nein zu einer Vergötterung des Geldes und dazu, dass das Geld regiert, statt zu dienen" spricht zum einen gesellschaftliche Pathologien an, die in den letzten Jahren zugenommen haben. "Alles ist käuflich" - der Slogan eines Wiener Einkaufszentrums spiegelt ein Lebensgefühl wider, dem sich z. B. Michael Sandel im Bestseller "Was man für Geld nicht kaufen kann" widersetzt. Das die Realwirtschaft überwuchernde Finanzsystem mit seinem Übergewicht, das durch Lobbying aufrechterhalten wird, ist bedrohlich. Während die Staaten unter Schuldenlasten stöhnen, waren die Kapitalgewinne heuer so hoch wie vor der Krise. Wie lange kann derartige Privatisierung von Gewinnen verbunden mit der Sozialisierung von Verlusten gut gehen?

Das päpstliche "Nein zur sozialen Ungerechtigkeit, die Gewalt hervor bringt" ist vom lateinamerikanischen Kontext her zu verstehen, wo Armut in eine Gewaltspirale führt. In Europa ist die Lage noch etwas besser. Doch sind die Folgen zunehmender sozialer Ungleichheit nicht unübersehbar. Die soziale Frustration führt gegenwärtig europaweit zu Gewinnen der populistischen Parteien, die jedenfalls für verbale Gewalt stehen.

Wir leben in einer Zeit -so der Papst -, die verantwortliche Entscheidungen braucht. Denn "falls keine guten Lösungen gefunden werden, könnte das Prozesse der Entmenschlichung auslösen, die sich schwer rückgängig machen lassen".

Johann Kohl meinte in der FURCHE, dass die Antwort, die er dem Papst gleich Du per Du mitteilt, doch am Tisch liegt: Sie heißt soziale Marktwirtschaft. Nun ist die soziale, besser noch die öko-soziale Marktwirtschaft - da stimme ich zu -das beste System, das wir kennen. Sie ist aber keine Zauberformel, deren Beschwörung ausreicht, dass alles gut wird. Sie hat vielmehr komplexe Voraussetzungen -etwa ein tragfähiges Ethos der Solidarität, den politischen Willen zum sozialen Ausgleich und die finanziellen Mittel dafür.

Das Ethos der Solidarität wird durch eben jenen Egoismus, den der Papst geißelt, ausgehöhlt. Es wird auch durch einen Marktglauben ausgehöhlt, der sich nicht selten mit sozialdarwinistischen Ideen verbindet: der Stärkere setzt sich eben durch, und das ist gut so. Wer das nicht kann -bad luck. Der gleichfalls nötige politische Wille zum sozialen Ausgleich steht nicht im luftleeren Raum. Um ihn durchzusetzen braucht es vielmehr soziale Aushandlungsprozesse auf Augenhöhe. Diese aber waren bisher fast zur Gänze national verankert. Sie greifen daher unter Globalisierungsbedingungen vielfach nicht mehr. Eine soziale Marktwirtschaft braucht zudem einen Staat, der ausreichend Steuern einheben kann (nicht nur von den Mittelschichten, sondern auch von Großverdienern und -banken). Auch hier schrumpfen die Spielräume, da Großunternehmen bekanntlich längst dorthin ziehen, wo Arbeitslöhne billig und Steuern niedrig sind. Aus den genannten Gründen steht die soziale Marktwirtschaft zunehmend auf schwachen Füßen.

Ihr Hauptproblem, das auch päpstliche Schreiben seit Pacem in terris (1963) benennen, ist dabei, dass eine globalisierte Wirtschaft einen globalen politischen Ordnungsrahmen (um nicht zu sagen einen Staat) voraussetzt, der Regelwerke des sozialen Ausgleichs durchsetzt. Einzig eine derartige politische Weltautorität, die zuletzt auch von der Päpstlichen Kommission Iustitia et Pax gefordert wurde, könnte die Grundlage für eine öko-soziale Weltmarktwirtschaft schaffen.

Transzendentale Dimension des Sozialen

Was sind menschenwürdige Bedingungen für die Armen? Das ist die wirtschaftsethische Frage in Evangelii gaudium - nicht nur eine materielle, sondern auch eine geistliche Frage. Egoismus und Selbstverschlossenheit führen für Papst Franziskus notwendig zur Gottferne. Eine unsolidarische (Welt-)Gesellschaft, in der die einen viel und die anderen zu wenig haben, schadet letztlich allen -und sie macht taub für Gott. Freude und gesellschaftliche Harmonie entstehen durch die Bereitschaft zum Teilen. Sich dieser Frage im eigenen Wirkungskreis zu stellen ist die eigentliche Herausforderung des Apostolischen Schreibens. Eine Immunisierung durch Schlagworte ist nicht die richtige Antwort darauf. Sie fördert vielmehr jene Gewöhnung, "die uns dazu führt, das Staunen, die Faszination und die Begeisterung zu verlieren, das Evangelium der Brüderlichkeit und der Gerechtigkeit zu leben!" Diese transzendente Dimension des Sozialen ruft uns der Papst auf wiederzuentdecken.

Die Autorin ist kath. Sozialethikerin an der Universität Wien sowie Direktorin der Österreichischen Kommission Iustitia et Pax

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