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Bischofskritik an der US-Wirtschaft

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Der Wirtschaftsboom in den USA war ein Grund für die Wiederwahl Reagans zum US-Präsidenten. Wie kommen da die Bischöfe der USA dazu, kurz darauf das US-Wirtschaftssystem zu kritisieren?

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Der Wirtschaftsboom in den USA war ein Grund für die Wiederwahl Reagans zum US-Präsidenten. Wie kommen da die Bischöfe der USA dazu, kurz darauf das US-Wirtschaftssystem zu kritisieren?

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Die Stimme am Telephon klang gereizt: „Kommen jetzt die Sozialenzykliken aus den USA?" Ich konnte den Anrufer mit einem Hinweis auf das Sozialschreiben Papst Pauls VI. „Octogesima ad-veniens" beruhigen. Dort wird ausdrücklich gesagt, daß es für die Kirche in einer Welt mit verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systemen immer schwieriger wird „ein für alle gültiges Wort zu sagen".

Es ist vielmehr die Aufgabe der christlichen Gemeinden, in Verbindung mit ihren Bischöfen „Direktiven für die Praxis" zu finden, „um die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Reformen herbeizuführen" (Nr. 4).

Die amerikanischen Bischöfe nehmen diese Aufforderung sehr konkret. 1980 veröffentlichten sie ein Schreiben über den Marxismus, 1983 folgte das heiß diskutierte Dokument über Friede und atomare Rüstung. Am 11. November dieses Jahres gaben sie den ersten Entwurf ihres Schreibens über die Soziallehre der Kirche und die amerikanische Wirtschaft zur Diskussion frei.

Es ist bedeutsam, daß sie diese Diskussion bewußt suchen. Der endgültige Text wird für November 1985 erwartet. Die angesehene amerikanische Wirtschaftszeitung „Businessweek" schrieb bereits am 12. November: Dieses Schreiben wird einen Sturm auslösen.

Die Verfasser des Entwurfes und die 150 Experten, die herangezogen wurden, konnten eines nicht übersehen: Die amerikanische Wirtschaft kann heute mit eindrucksvollen Tatsachen aufwarten. In wenigen Jahren wurden Hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen, die Arbeitslosigkeit sank nahe bis an die Sieben-Prozent-Grenze, und der Dollar ist so stark wie schon lange nicht mehr.

Das Schreiben der Bischöfe anerkennt den „stolzen Erfolg", betont aber gleichzeitig, daß zur selben Zeit Fehler begangen wurden, einige davon „massiv und beschämend". Und genau das ist der

Grund, warum sich die Bischöfe verpflichtet fühlen, ihre Stimme zu erheben.

Bischof Weakland, der Vorsitzende des Vorbereitungskomitees formulierte dies so: Die Bischöfe nehmen zur amerikanischen Wirtschaft nicht als Wirtschaftswissenschafter Stellung. Sie gehen von gesicherten Tatsachen aus und sprechen „über die positiven und negativen Auswirkungen der Wirtschaft auf den Menschen".

Hier wissen sie sich eins mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das unmißverständlich feststellte: „Im Wirtschaftsleben sind die Würde der menschlichen Person und ihre ungeschmälerte Berufung wie auch das Wohl der Gesamtgesellschaft zu achten und zu fördern, ist doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft" (Kirche in der Welt, Nr. 63).

Es ist bedeutsam, daß die amerikanischen Bischöfe ihre Aussagen nicht von einer bloß innerweltlichen Ethik herleiten, sondern immer wieder auf die Bibel zurückgreifen. Sie folgen hier dem Beispiel Johannes Paul II., der in seinem Rundschreiben über die menschliche Arbeit ebenfalls vom Wort der Schrift ausging.

Dahinter steht eine sehr grundsätzliche Überlegung: Die Bischöfe sehen voraus, daß ihnen von verschiedenen Seiten die Kompetenz in Fragen der Wirtschaft abgesprochen werden wird. Dort, wo es sich um Fragen „technischer Art" handelt, ist ihre Zuständigkeit tatsächlich nicht größer als die Beweiskraft ihrer Argumente.

Wo es aber um die Würde des Menschen und um die sittlichen Ziele geht, fühlen sich die Bischöfe nicht nur kompetent, sondern unter dem direkten Auftrag des Evangeliums.

Die Sorge und die Verantwortung um den Menschen ist der Grund, warum die amerikanischen Bischöfe ihre Stimme erhoben. Sie fassen diese Verantwortung noch konkreter: Sie ist eine Entscheidung zugunsten der Armen und Benachteiligten. Auch hier wissen sie sich eins mit Johannes Paul II.

Aber die Armen in den USA? Manche glauben, das reiche Amerika habe die Armut unter Kontrolle. Die amerikanischen Bischöfe bezweifeln es. Wieder sagt Bischof Weakland: „Wir bezeichnen des als eine Schande, daß 35 Millionen Amerikaner unter der Armutsgrenze leben und Millionen knapp darüber dahinvegetieren." Und er fügt sofort hinzu: „Wir sind entsetzt im Anblick der erschütternden Armut in anderen Teilen der Welt."

Diese Tatsache führt die amerikanischen Bischöfe zu einer fundamentalen Aussage. Sie sind überzeugt, daß die Ungleichheit in den Einkommen und im Besitz im eigenen Land und noch mehr auf Weltebene als „moralisch unannehmbar" bezeichnet werden muß.

Aus dieser Feststellung ziehen sie eine Reihe sehr konkreter wirtschafts- und sozialpolitischer Folgerungen: Das bestehende staatliche Wohlfahrtssystem reicht nicht aus und muß revidiert werden. Die hohe Arbeitslosigkeit ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem, sondern für die Betroffenen eine gesamtmenschliche Bedrohung. Darum muß alles darangesetzt werden, auch durch direkte Intervention des Staates, dieses Problem zu lösen.

Ungleichheit im Einkommen und Besitz sind nur dann moralisch vertretbar, „wenn die Grundbedürfnisse aller erfüllt sind". Wenn nach der Soziallehre der Kirche die Arbeit den Vorrang vor dem Kapital hat, dann müssen neue Wege gefunden werden, um die Mitverantwortung der Arbeit im Prozeß der Wirtschaft zu sichern, und dann muß

alles unterlassen werden, was auf eine Diskriminierung hinausläuft, besonders auch gegen die Frauen, die Minoritäten und die Farbigen.

Die Solidarität zwischen Kapital und Arbeit und den anderen sozialen Schichten ist eine wesentliche Voraussetzung für die Lösung der anstehenden Probleme. Eine besondere Herausforderung sieht der Entwurf der amerikanischen Bischöfe in der Verantwortung für die Dritte Welt.

Hier wird nicht mit Kritik gespart und gleichzeitig die Forderung erhoben, daß sich diese Verantwortung nicht zu militärischen Interessen verfälschen darf, sondern auf die gesamtmenschliche Entwicklung der Dritten Welt ausgerichtet bleiben muß. Es folgen noch eine Reihe ähnlicher wirtschafts- und sozialpolitischer Forderungen.

Die „New York Times" hat Recht behalten, als sie sagte, daß der Entwurf des Schreibens der Bischöfe über die amerikanische Wirtschaft mehr Staub aufwirbeln wird als das Dokument über Friede und atomare Rüstung. Der erste Widerspruch kam von einer Gruppe einflußreicher katholischer Laien, die „vom Glauben an die Marktwirtschaft und ihrer Fähigkeit zur Selbstkorrektur überzeugt sind".

Auch sie verfaßten ein Dokument. Sein Hauptautor, Michael Novak, formuliert ihre Uberzeugung so: „Wenn es darum geht, daß den Armen geholfen werden soll — und das ist tatsächlich das Weltproblem von heute — dann ist es genau der Kapitalismus, der dieses Problem lösen kann."

Es wird sicher nicht bei dieser einen Kritik bleiben. Sie wird sich sicher nicht so sehr auf die Ziele des Schreibens, sondern auf die angeführten Mittel konzentrieren. Der Entwurf sagt in Ubereinstimmung mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, daß es gerade in der Frage der Mittelwahl auch unter Katholiken verschiedene Meinungen geben kann.

Darum erwarten die Bischöfe auch Widerspruch, aber noch mehr den Dialog. Er soll in die Endfassung des Dokumentes eingebracht werden.

Von einem aber sind die amerikanischen Bischöfe zutiefst überzeugt: Ihr Land steht vor einer zweifachen Herausforderung: tiefgreifende wirtschaftliche, soziale und kulturelle Veränderungen nach innen und die ungeheure Verantwortung Amerikas für die Zukunft der Welt. Die Beantwortung dieser Herausforderung kann nicht einer „unsichtbaren Hand" und nicht wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mechanismen überlassen werden.

Sie verlangt das Bekenntnis zu sittlichen Werten und Zielen. Die amerikanischen Bischöfe haben sie mit aller Deutlichkeit angesprochen. Die letzte Formulierung steht noch aus. Die Welt wird mit Spannung den eingeleiteten Dialog verfolgen.

Der Autor ist Professor an der päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.

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