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Wo Christen Partei ergreifen sollen

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Der Katholische Laienrat Österreichs sorgte auf sei- nem „Forum Ostarrichi" jüngst für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Apostolischen Schrei- ben „Christifideles laici".

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Der Katholische Laienrat Österreichs sorgte auf sei- nem „Forum Ostarrichi" jüngst für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Apostolischen Schrei- ben „Christifideles laici".

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Christliche Weltverantwortung versteht sich als integrale Hilfe am ganzen Menschen, damit sein Le- ben in allen seinen Dimensionen gelingen kann. Dazu gehört ganz selbstverständlich auch die politi- sche Dimension, weshalb „Christi- fideles laici" ganz selbstverständ- lich sagt, alle in der Kirche seien „Adressaten und Protagonisten der Politik": „Um die zeitliche Ord- nung im genannten Sinn des Dien- stes am Menschen christlich zu inspirieren, können die Laien nicht darauf verzichten, sich in die ,Poli-

tik' einzumischen, das heißt in die vielfältigen und verschiedenen Ini- tiativen auf wirtschaftlicher, sozia- ler, gesetzgebender, verwaltungs- mäßiger und kultureller Ebene, die der organischen und systematischen Förderung des Allgemeinwohls die- nen." (Nr. 42)...

Diesen in der Sicht des christli- chen Evangeliums unauflösbaren Konnex zwischen individueller Hil- fe und sozialkritischer Diakonie in der Weltverantwortung der Laien hat kein zweiter so früh und so deutlich gesehen wie der Begrün- der der Bewegung der katholischen Arbeiterjugend, der belgische Kar- dinal Joseph Cardijn. Er hat diesen unlösbaren Lebenszusammenhang zudem mit einem anschaulichen Vergleich dargetan. Für ihn kann es dann nicht mehr ausreichen, daß sich die Kirche allein um die einzel- nen „Fische" kümmert, wenn das „Fischwasser" selbst krank gewor- den ist. In dieser Situation können für die christliche Kirche, sofern sie ihrer Sendung treu bleiben will, nicht nur die einzelnen „Fische", sondern muß vielmehr auch das „Fischwasser", dies bedeutet: die konkreten gesellschaftlichen, wirt- schaftlichen und politischen Ver- hältnisse Themen des kirchlichen Denkens und Handelns sein. Gera- de wenn die Kirche wirklich be- sorgt ist um den einzelnen Men- schen, kann sie diese Sorge nicht mehr gleichsam in politischer Neu- tralität oder gar Unschuld wahr- nehmen, da das konkrete Leben des einzelnen Menschen eben zutiefst geprägt ist vom politischen, wirt- schaftlichen und gesellschaftlichen „Fischwasser"...

Die Weltverantwortung der Kir- che und deshalb der Laien weilt von daher immer eine sozialkriti- sche und politische Dimension auf, und zwar im besten christlichen Sinn dieses Wortes. Mit Recht hat anläßlich der 80-Jahr-Feier der Veröffentlichung der ersten Sozial- enzyklika von Papst Leo XIII. - „Rerum novarum" - Papst Paul VI. die Politik die „vorzügliche Weise, den christlichen Einsatz im Dienst der anderen zu leben", genannt. Mit dieser treffenden Definition hat der Papst eine wahrhaft christliche Ehrenrettung der politischen Auf- gabe vorgenommen, die die Chri- sten verpflichtet, die Definition der Politik nicht denjenigen „Politi- kern" zu überlassen, die sie manch- mal furchtbar ramponieren, son- dern ihnen zu Hilfe zu kommen bei der Wiedergewinnung der gehalt- vollen Ausrichtung der politischen Verantwortung, wie sie in den Quellen des christlichen Glaubens aufscheint, und zwar genauerhin in zweifacher Hinsicht:

• Nicht wenige Politiker pflegen heute die Christen davor zu war- nen, sich auf politische Auseinan- dersetzungen einzulassen. Sie le

gen ihnen nahe, die Finger vom politischen Geschäft zu lassen, weil sie sich ansonsten die Hände schmutzig machen könnten... Da- bei muß es freilich zu denken ge- ben, wenn Politiker selber keine größere und bessere Meinung von ihrer ureigenen Aufgabe haben.

Dieser Meinung können und dür- fen sich Christen auf keinen Fall anschließen. Sie haben vielmehr energisch in Erinnerung zu rufen, daß es Politik im christlichen Ver- stände gerade nicht mit Gemein- heiten zu tun hat, sondern mit der All-Gemeinheit und deshalb mit Gerechtigkeit. Unter der politischen Verantwortung ist jegliches Bemü- hen der Menschen zu verstehen, das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen gerecht zu ordnen... Mit Recht hebt „Christifideles lai- ci" hervor, eine „Politik, die auf den Menschen und auf die Gesell-

leben, können aus ihrer eigenen Glaubensüberzeugung heraus Po- litik gar nicht anders definieren und verwirklichen denn als die Kunst, das angeblich Unmögliche doch noch möglich zu machen, genauer- hin als die Kunst, das angesichts der heutigen gesellschaftlichen Plausibilitäten und politischen wie wirtschaftlichen Sachzwänge an- geblich Unmögliche - im Gegenzug zu aller parteipolitischen Kurzat- migkeit - aus dem tiefen und lan- gen Atem des Glaubens heraus doch noch zu ermöglichen.

Diesen utopisch-politischen Überhang des Glaubens konsequent zu vertreten, präzis dies macht denn auch die spezifische Sendung der Christen in ihrer politischen Ver- antwortung aus. Es stellt deshalb das große Verdienst von Papst Paul VI. dar, stets eingeschärft zu haben, der Christ sei in seinem Glauben

schaft ausgerichtet ist", finde ihre „kontinuierliche Richtlinie" in der „Verteidigung und Förderung der Gerechtigkeit", die sie als „morali- sche Kraft" versteht, „die das Be- mühen um die Anerkennung der Rechte und Pflichten aller und ei- nes jeden auf der Grundlage der Personwürde des Menschen trägt" (Nr. 42).

• Von dieser Neudefinition der po- litischen Verantwortung her ver- steht es sich von selbst, daß der christliche Glaube auch eine ent- schiedenere Ausrichtung der poli- tischen Aufgabe freizusetzen ver- mag. Denn im alltäglichen Verstand wird die „Politik" zumeist als die „Kunst des Möglichen" betrachtet. Tiefer gesehen, handelt es sich dabei jedoch um eine furchtbar resigna- tive Definition der Politik. Nur zu oft und zu schnell wird dann im konkreten politischen Alltag unter dieser „Kunst des Möglichen" die „Kunst" der Beschränkung des Not- Wendenden und in diesem Sinn Notwendigen auf die gerade noch „mögliche" Verwirklichung dessen verstanden, was von den politischen „Machern" für eben noch „mög- lich" und „machbar" gehalten wird.

Christen hingegen, die aus dem langen Atem der möglichen Un- möglichkeiten Gottes selbst heraus

leben, können aus ihrer eigenen Glaubensüberzeugung heraus Po- litik gar nicht anders definieren und verwirklichen denn als die Kunst, das angeblich Unmögliche doch noch möglich zu machen, genauer- hin als die Kunst, das angesichts der heutigen gesellschaftlichen Plausibilitäten und politischen wie wirtschaftlichen Sachzwänge an- geblich Unmögliche - im Gegenzug zu aller parteipolitischen Kurzat- migkeit - aus dem tiefen und lan- gen Atem des Glaubens heraus doch noch zu ermöglichen.

Diesen utopisch-politischen Überhang des Glaubens konsequent zu vertreten, präzis dies macht denn auch die spezifische Sendung der Christen in ihrer politischen Ver- antwortung aus. Es stellt deshalb das große Verdienst von Papst Paul VI. dar, stets eingeschärft zu haben, der Christ sei in seinem Glauben

verpflichtet, „seine politischen Ent- scheidungen im Zusammenhang mit dem Evangelium zu sehen"... Dabei sind es vor allem zwei funda- mentale Parteilichkeiten, die das spezifische Gesicht der politischen Verantwortung im Geist des christ- lichen Evangeliums prägen:

• Die politische Verantwortung der Christen zeichnet sich erstens aus durch eine fundamentale Partei- lichkeit für das Ganze, für das ganze Haus Welt, in dem die Menschen leben. Dem oberflächlichen Be- wußtsein von heute erscheinen frei- lich Parteilichkeit und Ganzheit- lichkeit sehr schnell als konträre Gegensätze, gleichsam wie ein höl- zernes Eisen. Dieser Schein ver- flüchtigt sich aber sofort, sobald man bedenkt, daß die Parteilich- keit im Sinn des christlichen Glau- bens gerade nicht auf eine bestimm- te Partei zielt, sondern ein tatkräf- tiges Plädoyer für das Ganze meint - im Gegenzug zu allen politischen Einäugigkeiten, die auch in der heutigen politischen Landschaft - leider - nicht selten anzutreffen sind:

Da finden sich auf der einen Seite politische Parteien, die sich enga- gieren für das Überleben eines je- den Vogels, die aber das kostbare, noch ungeborene menschliche Le-

ben völlig ungeschützt lassen wol- len. Und da gibt es auf der anderen Seite auch politische Parteien, die sich - mit Recht - gegen das in der heutigen Gesellschaft grassierende Übel der Abtreibung engagieren, die aber kaum genügend Wider- standskräfte mobilisieren gegen die Gefahr einer „kollektiven Abtrei- bung" der ganzen Menschheit durch atomare und chemische Massen Ver- nichtungsmittel und gegen die Gefahr einer „universalen Abtrei- bung" der ganzen Schöpfung durch einen bedrohlich nahen ökologi- schen Kollaps.

Im Urteil des christlichen Glau- bens müssen freilich beide politi- schen Richtungen als in demselben Spital krank erscheinen, wenn auch in extrem anderen Abteilungen. Solchen Extremen gegenüber zeich- net sich jedoch christlich orientier- te wie inspirierte Politik - sie sollte und könnte es jedenfalls! - dadurch aus, daß sie stets das Ganze im Auge behält, aus der Überzeugung her- aus, daß das sicherste Erkennungs- zeichen der Wahrheit deren Ganz- heitlichkeit ist. „Christifideles lai- ci" hebt deshalb mit Recht hervor, die Politik finde ihr Grundkrite- rium in der Bemühung um das All- gemeinwohl" , verstanden als „Wohl aller Menschen und des ganzen Menschen" (Nr. 42).

Konkret impliziert diese ganz- heitliche Option, nicht nur alle Aspekte eines politischen Problems ins Blickfeld zu rücken, sondern auch dieses Problem selbst im grö- ßeren Kontext der zahllos anderen politischen Probleme von vornehe- rein zu verorten. In diesem Sinne sind Christen in besonderem Maße verpflichtet, den unteilbaren Ein- satz für die Würde des menschli- chen Lebens zu favorisieren und deshalb sowohl für die Lebendig- keit der Ungeborenen als auch für die Menschlichkeit der Geborenen einzutreten - wie dies beispielswei- se Franz Alt hellsichtig propagiert: „Abtreibung und Aufrüstung, der Krieg gegen die Ungeborenen und der Krieg gegen die Geborenen, hängen so zusammen wie der Frie- de in der Familie und der Friede zwischen den Völkern."

• In einer Welt wie der heutigen, die unter Ungerechtigkeit und Ge- walt leidet, muß die christliche Lie- be für Gerechtigkeit von selbst die konkrete Gestalt der leidenschaft- lichen Vorliebe für die Unterdrück- ten und Armen annehmen und muß sich die christliche Parteilichkeit für das Ganze von selbst zweitens als Parteilichkeit für die Armen aus- legen. Doch auch diese parteiliche Entscheidung für die Armen stößt im öffentlichen Bewußtsein von heute auf energischen Widerstand und wird nicht selten selbst von Christen als mit dem kirchlichen Versöhnungsauftrag unerträglich eingeschätzt. Bedenkt man aber, daß der christliche Geist des Frie- dens und der Versöhnung auf kei- nen Fall mit einer - furchtbar schlechten - Ideologie der Konflikt- verdrängung und Neutralität ver- wechselt werden darf, dann ist es für den christlichen Glauben eine elementare Frage der Gerechtig- keit selbst, daß er Partei für die Un- terdrückten und Leidenden ergreift und auf ihrer Seite Stellung be- zieht.

Der Autor ist Professor für Dogmatik an der Theologischen Fakultät Luzern. Gekürzter Aus- zug aus seinem Vortrag zum „Forum Ostarrichi" Ende August 1990 in Neuhofen/Ybbs.

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